Schwabmünchner Allgemeine

Die zurechtgez­immerte Wahrheit

Ein Blinder malt sich seine Welt aus, bis nichts mehr ist, wie es ist. Peter Turrinis „Alpenglühe­n“jetzt im Abraxas

- VON ALOIS KNOLLER

Manche Theaterstü­cke kommen zu früh, um auf der Bühne voll durchzusch­lagen. Peter Turrinis „Alpenglühe­n“gehört dazu. Im Jahre 1983 sprach noch niemand davon, dass Fake News wissentlic­h die Unwahrheit in die Welt setzen, um die Menschen zu manipulier­en. Heute ist das ganz anders geworden und der freie Münchner Regisseur Peter Glockner trifft mit seiner Inszenieru­ng wohl mitten ins Schwarze. Im Augsburger Abraxas hat er das Stück mit drei Schauspiel­ern in den vergangene­n Wochen einstudier­t. Am Donnerstag, 19. Juli, hat es Premiere.

Ein Blinder, der nichts sieht, malt sich seine Welt selbst aus. Er wohnt in einer einsamen Berghütte, seinem „Glaspalast“. Eines Tages kommt Jasmine zu ihm herauf, sie sei eine Hure und der Blindenver­ein habe sie geschickt, damit sie dem Blinden aus den Klassikern vorlese und auch noch weitergehe­nd ihm zu Dienste sei. Und den Alten ergreift ein Sinnenglüh­en.

Aber so wenig seine Berghütte ein Palast ist, so wenig stimmt das mit der Hure. Sie ist nämlich, so sagt sie, eine brave Sekretärin vom Blindenver­ein. Doch längst ist Eifersucht im Spiel, denn ein ungelenker Bergbauern­bub besucht regelmäßig den Blinden und versorgt ihn. Durch den Auftritt der Frau ist ihre Männerfreu­ndschaft im Bergidyll empfindlic­h gestört.

Die Verwirrung ist jedoch noch nicht zu ihrem Höhepunkt gelangt. Der Blinde wird zu einem Theaterdir­ektor und die Frau zu einer Schauspiel­erin. Der Bergbewohn­er ist vielleicht ein verkappter Nazi – und er stellt sich nur blind, ist es aber gar nicht.

Glockner fasziniert­e dieses absurde Spiel des Vortäusche­ns samt seinem riesigen Durcheinan­der am Ende. Es passe wie gemacht in unsere Zeit, sagt er. Was ist richtig, was ist falsch? Gibt es überhaupt die eine Wahrheit oder muss man viele Wahrheiten nebeneinan­derstehen lassen? Will die Gesellscha­ft überhaupt die Wahrheit wissen oder ist sie auf Erklärunge­n gar nicht so versessen? Die Geschichte von Turrinis „Alpenglühe­n“sei „sehr zwielichti­g, bezwingend schön und brandgefäh­rlich“, meint Glockner. Zu gern hätte er den Stückeschr­eiber bei der Premiere im Abraxas zu Gast. Aber er kann nur postlagern­d zu ihm in Südtirol Kontakt aufnehmen.

Mit drei profession­ellen, freien Schauspiel­ern hat der Regisseur das Stück inszeniert. Berislav Vranesic stellte die Brücke zu Augsburg her; er hat hier selbst schon in „Tartuffe“gespielt, hat mehrmals inszeniert für das Statisten-Theater (Agatha Christies „Die Mausefalle“) und Stücke des Kroaten Miro Gavran übersetzt fürs SensembleT­heater („Wie bringt man den Präsidente­n um?“) sowie fürs Freie Theater Augsburg („Alles über Frauen“). Außerdem sind in „Alpenglühe­n“die beiden Berliner Schauspiel­er Thomas Linz und Patricia von Miserony beteiligt.

Das Bühnenbild fürs AbraxasThe­ater schuf Barbara Bachschmid. Allerdings wird es hier zunächst nur eine einzige Aufführung – die Premiere – geben. Weitere Vorstellun­gen sind vom 21. bis 23. September im Theaterfor­um Kreuzberg in Berlin angekündig­t. Peter Glockner produziert das Stück völlig frei. „Wir müssen uns über unsere Einnahmen finanziere­n“, sagt er. „Wir sind keine feste Truppe, aber oft spielen dieselben zusammen.“

Als Regisseur greift der Münchner auf seine 25-jährige Erfahrung zurück. „Die Vernissage“von Vaclav Havel war 1992 seine erste Inszenieru­ng. Klassiker wie Lessings „Nathan der Weise“, Schillers „Johanna von Orleans“oder Shakespear­es „Ein Sommernach­tstraum“gehören ebenso zu seinem Repertoire wie Elfriede Jelineks „Ulrike Maria Stuart“.

Premiere „Alpenglühe­n“von Peter Turrini am Donnerstag, 19. Juli, um 20 Uhr im Abraxas.

 ?? Foto: Christiane Feder ?? In der Welt des Blinden kann alles auch ganz anders sein. Peter Turrinis absurdes Stück „Alpenglühe­n“widmet sich gründlich den Fake News.
Foto: Christiane Feder In der Welt des Blinden kann alles auch ganz anders sein. Peter Turrinis absurdes Stück „Alpenglühe­n“widmet sich gründlich den Fake News.

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