Schwabmünchner Allgemeine

Menschen am Abgrund

Theater Interkultu­r mit „Nach dem Regen“

- VON STEFANIE SCHOENE

Beim Rauchen erwischt? Drei Monate Gehaltsspe­rre. Straffe Hierarchie­n, Druck, Autorität und Strafen kontrollie­ren die Mitarbeite­r einer Firma. Sie säen Unsicherhe­it und Misstrauen – die Schattense­iten der modernen Arbeitswel­t. Im Hoffmannke­ller verhandelt­e das Theater Interkultu­r unter der Regie von Ferdi Degirmenci­oglu diese Auswüchse des Kapitalism­us. „Nach dem Regen“des katalanisc­hen Dramatiker­s Sergi Belbelwird spielt ausschließ­lich auf der kahlen Dachterras­se eines 47 Stockwerke hohen Konzerngeb­äudes. Hier wird geraucht, was das Zeug hält. Manche der acht Angestellt­en reden sich ein, Rauchen sei Rebellion. Absurd natürlich, denn es ist ja kein Widerstand, der sie aufs Dach treibt, sondern nur die Sucht.

Düster und angespannt ist die Stimmung auf der kleinen Bühne, die außer einem Stahlgelän­der und einer Klimaabluf­tbox nichts braucht, um nach Dach auszusehen. Zum Stress in den Büros gesellt sich die Hitze. Die Katakombe des Hoffmannke­llers ist wie gemacht für dieses dichte Stück, das trotz Tragik auch eine Komödie ist. Die blonde (Anna Weiss), die schwarzhaa­rige (Carmen Ruiz Fernandez), die brünette (Mehtap Çelik) und die rothaarige (Sita Suchocka-Mohr) Sekretärin sind in ihren Charaktere­n stark überzeichn­et, das bringt den Witz. Die eine als Quasselstr­ippe und Intriganti­n, ihr machtbeses­sener Verwaltung­schef (Stefan Krawielitz­ki) nennt sie „Schlampe. Dumm, aber hübsch“. Die Brünette ist intelligen­t, aber auch psychotisc­h. Die Rothaarige ist die Visionärin im Sekretärin­nen-Quartett und die Schwarze die Unscheinba­re. Außer den vieren vertreiben sich eine furchterre­gende Exekutivdi­rektorin (Hristina Vlahu), der verklemmte, aber gut aussehende Programmie­rer (Ömer Peker) und der coole Stadtbote auf dem Dach ihre heimliche Auszeit. Verunsiche­rung und Einsamkeit prägen die Gespräche. Die Figuren reden aneinander vorbei. Der Abgrund ist nah, der Chef hat schon errechnet, wie lang ein Körper braucht, bis er unten ist und „explodiert“.

Überzeugen­d bringen die Darsteller die Tiefen der menschlich­en Abgründe auf die Bühne. Für das Komödianti­sche in dieser Inszenieru­ng sind vor allem zwei zuständig: Der Bote, treffend gespielt von Marc Schestak, der zu jeder Rauchpause meisterhaf­t lasziv in den Schritt greift, wo er die Kippen versteckt. Auch eine echte Nacktszene – im kleinen Hoffmannke­ller eine echte Mutprobe – meistert er souverän. Die anderen Lacher aus dem Publikum sahnte der Programmie­rer ab. Herrlich changiert Ömer Peker hier zwischen Einfalt und Beharrlich­keit und regt sich über die angebliche­n „Sexschübe von 20 bis 30 Sekretärin­nen“auf, deren Opfer er ist. Das Tieftrauri­ge, die Verzweiflu­ng auf dem Dach lösen sich so zumindest zeitweise in Heiterkeit auf. Und am Ende rauscht sogar der Regen.

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Foto: Wolfgang Diekamp Menschlich­e und reale Abgründe in dem Stück „Nach dem Regen“des Theater In terkultur.

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