Ein Weltrekord zum 90. Geburtstag
Früher sammelte er Pilze, heute sind es Medaillen. Wie Franz Gries im hohen Alter noch große Weiten im Kugelstoßen und Diskuswerfen erzielt und was er noch vor hat
Zusmarshausen/Lützelburg „Als meine Gegner gesehen haben, wie ich den Diskus rausgeschleudert habe, ist die Hälfte zum Kugelstoßen gar nicht mehr angetreten.“Kugelstoßen ist nämlich die Paradedisziplin von Franz Gries. Da will er am 28. Oktober einen neuen Weltrekord aufstellen. Einen Tag nach seinem 90. Geburtstag. „Da kommen die meisten mit dem Rollator“, grinst er spitzbübisch. In der Tat: Während die meisten Mitbürger in seinem Alter Briefmarken sammeln, sammelt Franz Gries Medaillen. Vorwiegend in Gold. Zuletzt derer zwei bei den deutschen Seniorenmeisterschaften: im Diskuswerfen und im Kugelstoßen.
Die Reise nach Mönchengladbach hat er im eigenen Auto angetreten. „Das fahre ich auf einer Arschbacke. Ich brauche auch kein Navigationssystem. Ich finde überall hin“, erteilt er modernen Hilfsmitteln eine Absage. Auch auf Medikamente verzichtet er. „Alles Gift! Wenn ich Kopfschmerzen habe, stelle ich mich ans offene Fenster und mache meine Massage.“Vier- oder fünf Mal sei er in seinem bisherigen Leben beim Arzt gewesen.
Und das war ganz schön ereignisreich. Am 27. Oktober 1928 wurde er in Cheb, dem heutigen Eger, im Sudetenland geboren. „Ich hatte eine tolle Kindheit, bin auf dem Gut von meinem Großvater auf den Pferden geritten.“Der wurde übrigens 96 Jahre alt. Gries Mutter verstarb mit 86 Jahren an einer Lungenentzündung, nachdem sie im Winter auf einer Eisplatte ausgerutscht war. Es liegt also an den Genen, wenn man in diesem hohen Alter noch so fit ist? „Ich habe noch nie geraucht, noch nie einen Schnaps getrunken. Ich trinke nur Sprudelwasser und Kaffee und esse ganz wenig, vor allem kein fettes Fleisch“, erzählt Gries, „und jeden Tag gönne ich mir einen Mittagsschlaf zwischen 30 und 90 Minuten.“Das hat er schon getan, als er als Architekt noch voll im Berufsleben stand. Franz Gries hat auch immer Sport getrieben. Leichtathletik, Handball und Tennis als Jugendlicher beim VfB Stuttgart. „Als junger Mann habe ich einen Rückwärtssalto aus dem Stand gemacht“, lacht er. Mit 55 Jahren hat er seinen Beruf als Architekt aufgegeben. Doch nur Privatier zu sein, war dem umtriebigen Geist zu wenig. Nachdem er mit seiner zweiten Ehefrau, die 13 Jahre jünger ist, beim Besuch eines Fitnessstudios schlechte Erfahrungen gemacht hatte, erwarb Gries selbst den Trainerschein, eröffnete in Thannhausen und Kempten mehrere Studios mit über 200 Mitgliedern. Ein Ausstieg in die Türkei wollte nicht so recht klappen. „Ich hatte Heimweh“, sagt er zu seiner Rückkehr nach zehn Jahren. In Zusmarshausen hat er ein Haus gefunden.
Dort erfolgte auch der Kontakt mit Rolf Kropka, der in Kempten einst im Fitnessstudio von Gries gearbeitet hatte. „Er hat mir meinen ersten Job gegeben“, zeigt sich der Inhaber des Relax-Fitnessstudios in Zusmarshausen dankbar. Heute ist er der Trainer und Mentor des Seniors. Nachdem man sich einige Jahre aus den Augen verloren hatten, hat Kropka bei Gries angerufen, als der aus der Türkei zurückgekehrt war. „Er hatte inzwischen aufgehört zu arbeiten. Seine Freizeitbeschäftigung war spazieren gehen und Pilze sammeln. Da habe ich gesagt, komm, lass uns zusammen trainieren“, erzählt der Leichtathletikund Personaltrainer.
Schon bei den ersten Versuchen hat Franz Gries die Kugel auf neun Meter gestoßen. „Das kommt vom Training im Kraftraum“, sagt der 89-Jährige und deutet auf seine Muskeln. „Ich würde auch über 100 Meter gewinnen, aber das mache ich nicht, wegen der Verletzungsgefahr. Sport muss Spaß und Freude und nicht kaputt machen.“Sport steht noch immer ganz oben auf seiner täglichen To-do-Liste. Seit einigen Jahren lebt Gries nun in Lützelburg. Jeden Morgen macht er 35 Minuten Gymnastik und 100 Kniebeugen, nachdem er seiner Frau das Frühstück bereitet hat. Dann geht er über die Straße auf den Sportplatz des TSV Lützelburg, um mit Kugel und Diskus zu trainieren.
Schließlich will er am Tag nach seinem 90. Geburtstag in Form sein, wenn er in Tussenhausen auf Weltrekordjagd geht und die Weiten, die er in Mönchengladbach erzielt hat, bestätigen. Während für deutsche Rekorde das Geburtsjahr maßgebend ist, muss für den Weltrekord das entsprechende Alter der Altersklasse erreicht sein. Mit diesen Rekorden im Gepäck geht es im März 2019 zur Hallen-WM nach Polen. „Da kann man mit dem Auto fahren, denn fliegen mag ich nicht“, erklärt er den Verzicht auf die WM im August. Die Titel und Medaillen sind für ihn übrigens nur ein Zubrot. „Beim Sport bin ich immer mit jungen Leuten. Das spornt mich an“, sagt Gries. Und es scheint ein Jungbrunnen zu sein.