Schwabmünchner Allgemeine

Ein Weltrekord zum 90. Geburtstag

Früher sammelte er Pilze, heute sind es Medaillen. Wie Franz Gries im hohen Alter noch große Weiten im Kugelstoße­n und Diskuswerf­en erzielt und was er noch vor hat

- VON OLIVER REISER

Zusmarshau­sen/Lützelburg „Als meine Gegner gesehen haben, wie ich den Diskus rausgeschl­eudert habe, ist die Hälfte zum Kugelstoße­n gar nicht mehr angetreten.“Kugelstoße­n ist nämlich die Paradedisz­iplin von Franz Gries. Da will er am 28. Oktober einen neuen Weltrekord aufstellen. Einen Tag nach seinem 90. Geburtstag. „Da kommen die meisten mit dem Rollator“, grinst er spitzbübis­ch. In der Tat: Während die meisten Mitbürger in seinem Alter Briefmarke­n sammeln, sammelt Franz Gries Medaillen. Vorwiegend in Gold. Zuletzt derer zwei bei den deutschen Seniorenme­isterschaf­ten: im Diskuswerf­en und im Kugelstoße­n.

Die Reise nach Mönchengla­dbach hat er im eigenen Auto angetreten. „Das fahre ich auf einer Arschbacke. Ich brauche auch kein Navigation­ssystem. Ich finde überall hin“, erteilt er modernen Hilfsmitte­ln eine Absage. Auch auf Medikament­e verzichtet er. „Alles Gift! Wenn ich Kopfschmer­zen habe, stelle ich mich ans offene Fenster und mache meine Massage.“Vier- oder fünf Mal sei er in seinem bisherigen Leben beim Arzt gewesen.

Und das war ganz schön ereignisre­ich. Am 27. Oktober 1928 wurde er in Cheb, dem heutigen Eger, im Sudetenlan­d geboren. „Ich hatte eine tolle Kindheit, bin auf dem Gut von meinem Großvater auf den Pferden geritten.“Der wurde übrigens 96 Jahre alt. Gries Mutter verstarb mit 86 Jahren an einer Lungenentz­ündung, nachdem sie im Winter auf einer Eisplatte ausgerutsc­ht war. Es liegt also an den Genen, wenn man in diesem hohen Alter noch so fit ist? „Ich habe noch nie geraucht, noch nie einen Schnaps getrunken. Ich trinke nur Sprudelwas­ser und Kaffee und esse ganz wenig, vor allem kein fettes Fleisch“, erzählt Gries, „und jeden Tag gönne ich mir einen Mittagssch­laf zwischen 30 und 90 Minuten.“Das hat er schon getan, als er als Architekt noch voll im Berufslebe­n stand. Franz Gries hat auch immer Sport getrieben. Leichtathl­etik, Handball und Tennis als Jugendlich­er beim VfB Stuttgart. „Als junger Mann habe ich einen Rückwärtss­alto aus dem Stand gemacht“, lacht er. Mit 55 Jahren hat er seinen Beruf als Architekt aufgegeben. Doch nur Privatier zu sein, war dem umtriebige­n Geist zu wenig. Nachdem er mit seiner zweiten Ehefrau, die 13 Jahre jünger ist, beim Besuch eines Fitnessstu­dios schlechte Erfahrunge­n gemacht hatte, erwarb Gries selbst den Trainersch­ein, eröffnete in Thannhause­n und Kempten mehrere Studios mit über 200 Mitglieder­n. Ein Ausstieg in die Türkei wollte nicht so recht klappen. „Ich hatte Heimweh“, sagt er zu seiner Rückkehr nach zehn Jahren. In Zusmarshau­sen hat er ein Haus gefunden.

Dort erfolgte auch der Kontakt mit Rolf Kropka, der in Kempten einst im Fitnessstu­dio von Gries gearbeitet hatte. „Er hat mir meinen ersten Job gegeben“, zeigt sich der Inhaber des Relax-Fitnessstu­dios in Zusmarshau­sen dankbar. Heute ist er der Trainer und Mentor des Seniors. Nachdem man sich einige Jahre aus den Augen verloren hatten, hat Kropka bei Gries angerufen, als der aus der Türkei zurückgeke­hrt war. „Er hatte inzwischen aufgehört zu arbeiten. Seine Freizeitbe­schäftigun­g war spazieren gehen und Pilze sammeln. Da habe ich gesagt, komm, lass uns zusammen trainieren“, erzählt der Leichtathl­etikund Personaltr­ainer.

Schon bei den ersten Versuchen hat Franz Gries die Kugel auf neun Meter gestoßen. „Das kommt vom Training im Kraftraum“, sagt der 89-Jährige und deutet auf seine Muskeln. „Ich würde auch über 100 Meter gewinnen, aber das mache ich nicht, wegen der Verletzung­sgefahr. Sport muss Spaß und Freude und nicht kaputt machen.“Sport steht noch immer ganz oben auf seiner täglichen To-do-Liste. Seit einigen Jahren lebt Gries nun in Lützelburg. Jeden Morgen macht er 35 Minuten Gymnastik und 100 Kniebeugen, nachdem er seiner Frau das Frühstück bereitet hat. Dann geht er über die Straße auf den Sportplatz des TSV Lützelburg, um mit Kugel und Diskus zu trainieren.

Schließlic­h will er am Tag nach seinem 90. Geburtstag in Form sein, wenn er in Tussenhaus­en auf Weltrekord­jagd geht und die Weiten, die er in Mönchengla­dbach erzielt hat, bestätigen. Während für deutsche Rekorde das Geburtsjah­r maßgebend ist, muss für den Weltrekord das entspreche­nde Alter der Altersklas­se erreicht sein. Mit diesen Rekorden im Gepäck geht es im März 2019 zur Hallen-WM nach Polen. „Da kann man mit dem Auto fahren, denn fliegen mag ich nicht“, erklärt er den Verzicht auf die WM im August. Die Titel und Medaillen sind für ihn übrigens nur ein Zubrot. „Beim Sport bin ich immer mit jungen Leuten. Das spornt mich an“, sagt Gries. Und es scheint ein Jungbrunne­n zu sein.

 ?? Fotos: Oliver Reiser ?? Alter schützt vor Weite nicht. Zuletzt wurde Franz Gries deutscher Meister im Diskuswerf­en und seiner Paradedisz­iplin Kugelsto ßen. Einen Tag nach seinem 90. Geburtstag will er die dabei aufgestell­ten Weltrekord­e bestätigen.
Fotos: Oliver Reiser Alter schützt vor Weite nicht. Zuletzt wurde Franz Gries deutscher Meister im Diskuswerf­en und seiner Paradedisz­iplin Kugelsto ßen. Einen Tag nach seinem 90. Geburtstag will er die dabei aufgestell­ten Weltrekord­e bestätigen.

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