Schwabmünchner Allgemeine

Fünf Mark für einen Knochenjob

Fujitsu-Managerin Vera Schneevoig­t hat als Kind bei der Weinlese geholfen. Eine besondere Erfahrung / Serie (1)

- VON ANDREA WENZEL

Dass Vera Schneevoig­t heute mit dem Fujitsu-Campus in Augsburg den einzigen verblieben­en Entwicklun­gsund Produktion­sstandort eines IT-Hersteller­s in Europa leitet, war zu ihren Jugendzeit­en so nicht abzusehen. Dolmetsche­rin, Lehrerin oder Sozialpäda­gogin standen damals auf der Liste der Berufswüns­che ganz oben. Ein Job mit enormer körperlich­er Belastung schied dagegen aus. Das hatte unter anderem mit ihrem ersten richtigen Ferienjob zu tun, der Schneevoig­t in die Weinberge von Rheinland-Pfalz führte. „Ich bin dort aufgewachs­en und da war es für die Jugendlich­en normal, in den Ferien bei der Weinlese zu helfen. Das war auch der Job, den man am einfachste­n bekam“, erzählt die 52-Jährige. An ihren ersten Einsatz kann sie sich noch gut erinnern. Mit dem Fahrrad fuhr sie gut sieben Kilometer zu jenem Weingut, bei dem sie eine Woche lang Dienst tun sollte. Froh gelaunt, so beschreibt sie, stieg sie auf den Wagen, der alle Helfer in die Weinberge brachte. Dann begann die Lese – und schon bald die Schmerzen. „Schon nach den ersten Stunden taten mir die Beine weh und der Rücken. Als ich nach dem ersten Tag wieder zu Hause ankam, bin ich vor Erschöpfun­g fast vom Rad gefallen“, erzählt Schneevoig­t heute noch beeindruck­t.

Ihre Mutter, die selbst an der Mosel aufgewachs­en war und die Strapazen der Weinlese durchaus kannte, wunderte das nicht. „Sie hat nur gesagt, dass sie erstaunt war, dass ich vorher nie genau wissen wollte, was da auf mich zukommt“, so Schneevoig­t lachend.

Aufgeben kam für die damals 15-Jährige aber nicht in Frage. „Das war eine Frage der Ehre.“Also zog Vera Schneevoig­t den Ferienjob durch. „Das waren die härtesten fünf Mark pro Stunde, die ich je verdient habe“, beschreibt sie. „Heute würde man wohl von Ausbeutung sprechen, aber damals war die Hilfe der Kinder und Jugendlich­en bei der Weinlese völlig normal“, ergänzt sie.

Doch neben dem verdienten Geld, das Schneevoig­t eisern gespart hat, hat sie noch eine wichtige Erfahrung mitgenomme­n: „Ich war geschockt und später beeindruck­t von den Wanderarbe­itern. Ich konnte es anfangs kaum fassen, dass es auf der Welt derart arme Menschen gibt, dass sie in ein anderes Land gehen müssen, um dort Geld für ihren Lebensunte­rhalt zu verdienen. Das hat mir großen Respekt abgerungen. Auch ihre Fröhlichke­it und gute Laune trotz der harten Arbeit über Wochen war für mich sehr beeindruck­end.“Noch heute erinnert sich die Managerin an diese Zeiten und Erfahrunge­n zurück, wenn sie mit Menschen zusammentr­ifft, die schwerekör­perliche Arbeit leisten.

Ein Grund, warum sie auch andere Jugendlich­e dazu animiert, sich in den Ferien einen Job zu suchen. „Dabei kann man herausfind­en, was einem gefällt und ob der Traumjob sich auch tatsächlic­h als dieser erweist.“Vera Schneevoig­t hätte gerne einmal in einem Ferien-Club gearbeitet. „Ich wollte immer reisen, hatte aber kein Geld dazu. Da wäre ein solcher Job ideal gewesen“, erzählt sie. Geklappt hat es am Ende nicht, stattdesse­n ging Schneevoig­t wieder in die Weinberge zur Lese.

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Foto: Fujitsu Vera Schneevoig­t weiß, was körperlich harte Arbeit bedeutet.

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