Die Tarantella bringt alle außer Atem
Zwei Tage lang gaben sich 5000 Augsburger dem Festival der Kulturen in Stadtmarkt und Annahof hin. Den meisten Applaus holte sich eine süditalienische Band. Und bei der Sängerin Emel flippte der Dirigent schier aus
Manches beim Festival der Kulturen schien aus anderen Sphären herüberzuklingen: Traumhaft entrückt wirkten polnische Gesänge, wie in Trance gespielt die Rhythmen aus Mali. Platz war genauso für elektronische Beats und Hip-Hop. Das Festival im Rahmen des Programms zum Friedensfest bot wieder musikalische Vielfalt aus Europa, dem Nahen Osten, Arabien und Afrika. Mit Musik lassen sich Grenzen überschreiten. Solche Brückenschläge ließen an den beiden Sommerabenden aufhorchen. Mit den meisten Applaus gab es im Annahof für einen traditionellen süditalienischen Tanz. Aber auch der hat eine gemeinschaftsstiftende Botschaft.
Bis zu 5000 Besucher, so schätzen die Veranstalter, hörten zu. Neu war diesmal die zweite Bühne beim Stadtmarkt. Die Veranstalter vom Friedensbüro gaben sich Mühe: Kunstrasen war ausgelegt, auf dem Kinder turnten, Liegestühle waren aufgeklappt. Doch viele Besucher sehnten sich zurück an die frühere Spielstätte in dem heimeligen Dekanats-Garten mit echtem Grün.
Den Anfang machten an beiden Nachmittagen Augsburger Bläser, Trommler und Bands. Songwriter Julo sorgte mit Folkrock für südlän- Flair. Einen Song widmete er seinen Töchtern Jahana und Johana. Die neun Monate alten Zwillinge sind traditionell gekleidet wie ihre Mutter Narjes Stech, die aus Tunesien stammt. Ihr Vater hielt dann auch die tunesische Flagge bereit für eine Künstlerin, die als „Stimme des Arabischen Frühlings“galt. Emel Mathlouthi hat schon bei einer Nobel-Preis-Verleihung gesungen. In Augsburg hatte Festival-Musikkurator Girisha Fernando eine andere Herausforderung für die Tunesierin parat. Ihr arabischer Pop sollte nach zwei Tagen gemeinsamen Probens zur Kammermusik eines Streicherensembles der Augsburger Philharmoniker passen.
Was sich vorab nach einer zuckersüßen Mixtur anhörte, war bekömmlich. Zunächst stiegen die Streicher atmosphärisch ein und entwickelten dann teilweise die klangliche Wucht einer Rockband. Dirigent Tom Jahn flippte da schier aus. Über allem thronte die Stimme von Emel Mathlouthi. Eigentlich ein zierliches Persönchen, aber auf der Bühne mit außergewöhnlicher Präsenz. Eine ihrer Botschaften: Lieder überleben alle Diktaturen. Arabische Trommeln gingen zu nächtlicher Stunde in die Beine. Vorwärtsdrängend klingt 47Soul . Die in Jordanien gegründete Band verbindet orientalische Folklore mit moderner Großstadt-Musik wie HipHop.
Betörend schön klang am nächsten Abend der Harmoniegesang der jungen Polinnen der Gruppe Sutari. Eigentlich zu schön, als dass man glauben könnte, dass es sich oft um Liebeskummer dreht. Die Sängerinnen bewiesen Witz, wenn sie für ihren Küchen-Folk zu Mixer, Schneidebrett und Käsereibe griffen. Dass osteuropäische und traditionelle türkische Musik harmonieren können, zeigte später das Zusammendischen spiel von Sutari mit Augsburger Musikern von Oriental Inspiration.
Noch weiter weg entführte die Band BKO in ihre musikalisch so vielseitige, aber terrorgeplagte Heimat südlich der Sahara. Farbenfrohe Gewänder und außergewöhnliche Instrumente signalisierten den kulturellen Reichtum von Mali. Hypnotisierend wirkte der Rhythmus.
Wilder konnten es zum krönenden Abschluss die Italiener von Canzoniere Grecanico Salentino. Ihre Musik wirkte wie von der Tarantel gebissen – so wie in ihrer Heimat Apulien. Kurze Verschnaufpausen gab es für die Romantik, Amore musste schon sein. Doch dann wirbelten die Italiener samt Tänzerin weiter. Zum Höhepunkt wurde der Tarantella-Tanz. Seine heilende Wirkung gegen den Spinnenbiss entfaltet er allerdings nur dann, wenn man nicht alleine, sondern gemeinsam tanzt. Davon kam die Moderatorin Eva Gold so außer Puste, dass sie am Ende des Festivals erst mal nach Luft schnappen musste.