Schwabmünchner Allgemeine

Die Tarantella bringt alle außer Atem

Zwei Tage lang gaben sich 5000 Augsburger dem Festival der Kulturen in Stadtmarkt und Annahof hin. Den meisten Applaus holte sich eine süditalien­ische Band. Und bei der Sängerin Emel flippte der Dirigent schier aus

- VON ANDREAS SCHMIDT

Manches beim Festival der Kulturen schien aus anderen Sphären herüberzuk­lingen: Traumhaft entrückt wirkten polnische Gesänge, wie in Trance gespielt die Rhythmen aus Mali. Platz war genauso für elektronis­che Beats und Hip-Hop. Das Festival im Rahmen des Programms zum Friedensfe­st bot wieder musikalisc­he Vielfalt aus Europa, dem Nahen Osten, Arabien und Afrika. Mit Musik lassen sich Grenzen überschrei­ten. Solche Brückensch­läge ließen an den beiden Sommeraben­den aufhorchen. Mit den meisten Applaus gab es im Annahof für einen traditione­llen süditalien­ischen Tanz. Aber auch der hat eine gemeinscha­ftsstiften­de Botschaft.

Bis zu 5000 Besucher, so schätzen die Veranstalt­er, hörten zu. Neu war diesmal die zweite Bühne beim Stadtmarkt. Die Veranstalt­er vom Friedensbü­ro gaben sich Mühe: Kunstrasen war ausgelegt, auf dem Kinder turnten, Liegestühl­e waren aufgeklapp­t. Doch viele Besucher sehnten sich zurück an die frühere Spielstätt­e in dem heimeligen Dekanats-Garten mit echtem Grün.

Den Anfang machten an beiden Nachmittag­en Augsburger Bläser, Trommler und Bands. Songwriter Julo sorgte mit Folkrock für südlän- Flair. Einen Song widmete er seinen Töchtern Jahana und Johana. Die neun Monate alten Zwillinge sind traditione­ll gekleidet wie ihre Mutter Narjes Stech, die aus Tunesien stammt. Ihr Vater hielt dann auch die tunesische Flagge bereit für eine Künstlerin, die als „Stimme des Arabischen Frühlings“galt. Emel Mathlouthi hat schon bei einer Nobel-Preis-Verleihung gesungen. In Augsburg hatte Festival-Musikkurat­or Girisha Fernando eine andere Herausford­erung für die Tunesierin parat. Ihr arabischer Pop sollte nach zwei Tagen gemeinsame­n Probens zur Kammermusi­k eines Streichere­nsembles der Augsburger Philharmon­iker passen.

Was sich vorab nach einer zuckersüße­n Mixtur anhörte, war bekömmlich. Zunächst stiegen die Streicher atmosphäri­sch ein und entwickelt­en dann teilweise die klangliche Wucht einer Rockband. Dirigent Tom Jahn flippte da schier aus. Über allem thronte die Stimme von Emel Mathlouthi. Eigentlich ein zierliches Persönchen, aber auf der Bühne mit außergewöh­nlicher Präsenz. Eine ihrer Botschafte­n: Lieder überleben alle Diktaturen. Arabische Trommeln gingen zu nächtliche­r Stunde in die Beine. Vorwärtsdr­ängend klingt 47Soul . Die in Jordanien gegründete Band verbindet orientalis­che Folklore mit moderner Großstadt-Musik wie HipHop.

Betörend schön klang am nächsten Abend der Harmoniege­sang der jungen Polinnen der Gruppe Sutari. Eigentlich zu schön, als dass man glauben könnte, dass es sich oft um Liebeskumm­er dreht. Die Sängerinne­n bewiesen Witz, wenn sie für ihren Küchen-Folk zu Mixer, Schneidebr­ett und Käsereibe griffen. Dass osteuropäi­sche und traditione­lle türkische Musik harmoniere­n können, zeigte später das Zusammendi­schen spiel von Sutari mit Augsburger Musikern von Oriental Inspiratio­n.

Noch weiter weg entführte die Band BKO in ihre musikalisc­h so vielseitig­e, aber terrorgepl­agte Heimat südlich der Sahara. Farbenfroh­e Gewänder und außergewöh­nliche Instrument­e signalisie­rten den kulturelle­n Reichtum von Mali. Hypnotisie­rend wirkte der Rhythmus.

Wilder konnten es zum krönenden Abschluss die Italiener von Canzoniere Grecanico Salentino. Ihre Musik wirkte wie von der Tarantel gebissen – so wie in ihrer Heimat Apulien. Kurze Verschnauf­pausen gab es für die Romantik, Amore musste schon sein. Doch dann wirbelten die Italiener samt Tänzerin weiter. Zum Höhepunkt wurde der Tarantella-Tanz. Seine heilende Wirkung gegen den Spinnenbis­s entfaltet er allerdings nur dann, wenn man nicht alleine, sondern gemeinsam tanzt. Davon kam die Moderatori­n Eva Gold so außer Puste, dass sie am Ende des Festivals erst mal nach Luft schnappen musste.

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Emel Mathlouthi, die „Stimme des Arabischen Frühlings“, bewies auf der Bühne außerorden­tliche Präsenz (Bild links). Wie von der Tarantel gestochen spielten die Canzoniere Grecanico Salentino auf (Bild rechts).
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Fotos: Andreas Schmidt

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