Schwabmünchner Allgemeine

1200 Menschen zittern nach Bombenfund

Ein Blindgänge­r aus dem Zweiten Weltkrieg hält Anwohner und Einsatzkrä­fte am Samstag im Herrenbach bis in die tiefe Nacht in Atem. Die große Evakuierun­g dauert länger als gedacht. Warum die Bombe so gefährlich war

- VON EVA MARIA KNAB Seite 34

Gregori Lyamets ist sehr in Sorge, als er über Lautsprech­er die Nachricht hört: Er soll sofort seine Wohnung verlassen. Der Rentner im Herrenbach­viertel ist nicht der Einzige, der sich am Samstag Sorgen macht. Rund 1200 Menschen sind von einer großen Evakuierun­gsaktion betroffen, nachdem am Nachmittag auf einer Baustelle in der Herrenbach­straße eine Fliegerbom­be aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden wurde. Sie muss schnell entschärft werden. Bis das klappt, wird es eine lange und anstrengen­de Nacht – nicht nur für Anwohner, die aus ihren Häusern müssen, auch für die Einsatz- und Rettungskr­äfte.

Der 225 Kilo schwere Blindgänge­r, ein amerikanis­ches Modell, soll noch am Abend entschärft werden. Sprengmeis­ter Michael Filips sieht wegen der großen Hitze Risiken. Der Sprengkörp­er, der über 70 Jahre unter der Erde verborgen war und nun offen daliegt, könnte bei hohen Temperatur­en gefährlich werden. „Die Gefahr einer Detonation steigt“, sagt Filips. Er kann sich aber erst an die Arbeit machen, wenn ein Umkreis von 300 Metern von Anwohnern evakuiert worden ist.

Die Polizei hat für den Ernstfall ein Großaufgeb­ot von 450 Einsatzund Rettungskr­äften zusammenge­zogen. Die Helfer kommen bis aus München und dem Allgäu. Auf dem großen Parkplatz beim Fabrikschl­oss in der Reichenber­ger Straße wird eine Einsatzzen­trale eingericht­et. Alle Zufahrten im Umkreis der Evakuierun­gszone werden gesperrt. Auf der sonst viel befahrenen Berliner Allee und am Alten Heuweg beim Schwabence­nter ist es am frühen Abend fast geisterhaf­t leer auf den Straßen. Statt Autos sind vor allem Fußgänger unterwegs.

Die Feuerwehr fordert Anwohner immer wieder über Lautsprech­er auf, ihre Wohnungen und Häuser zu verlassen. Einsatzkrä­fte klingeln an Haustüren. Der Eingang der Kleingarte­nanlage am Herrenbach ist mit Bändern abgesperrt und wird bewacht. Kleinere und größere Trupps von Menschen, die sich in Sicherheit bringen, ziehen vorbei. Viele telefonier­en und suchen auf die Schnelle nach einer Bleibe. Nicht alle wollen in die von der Stadt angeboten Notunterkü­nfte – die Interimspi­elstätte des Theaters im Martinipar­k, die Augsburger BRK-Zentrale an der Berliner Allee das DLRG-Gebäude an der Friedberge­r Straße.

„Ich gehe lieber zu meiner Schwiegerm­utter, da ist es besser als in der Evakuierun­gsstelle“, sagt Michael Kempa aus dem Herrenbach. Eine 28-jährige Anwohnerin ist mit einem Rollkoffer und Bettzeug zu Fuß unterwegs, um bei ihrer Mutter im Süden der Stadt unterzukom­men. Ein elfjährige­r Junge erzählt, er sei dieses Wochenende bei seiner Oma. „Wir kommen jetzt bei der Tante unter, die nicht weit weg wohnt.“

Für den Jungen ist die Evakuierun­gsaktion ein großes Abenteuer. Für viele ältere, kranke und behinderte Menschen wird sie dagegen zu einer großen Belastungs­probe. Ein Heim für Betreutes Wohnen muss geräumt werden.

Auch der 70-jährige Anwohner Gregori Lyamets muss sich von seinem ersten Schreck erholen. Der 70-Jährige kommt am Abend in der Anlaufstel­le an der Berliner Allee unter. „Ich hätte sonst nicht gewusst, wohin“, sagt er. Vom Roten Kreuz fühlt er sich gut betreut. „Trotzdem hoffe ich, dass ich heute wieder nach Hause kann.“

In der BRK-Zentrale werden an diesem Abend 105 Anwohner regisund triert und versorgt. Platz wäre für 150, sagt ein Helfer. Die dort Gestrandet­en haben alles Notwendige, was sie fürs Erste brauchen. Sie sitzen mit Getränken im großen Aufenthalt­sraum. Eine Frau im Gang betet. Für Kinder gibt es eine Kiste mit Spielsache­n. Anwohner, die einen Hund dabei haben, sind draußen an Biertische­n unter großen Bäumen untergebra­cht. Dort ist es auch angenehm für ihre Tiere.

„Die Stimmung ist, den Umständen entspreche­nd, gut“, sagt ein Helfer. Viele Menschen müssen sich allerdings länger gedulden als gedacht. Am frühen Abend geht die Polizei von einer Evakuierun­gszeit von zwei bis drei Stunden aus. Doch die Aktion zieht sich. Das hat Gründe. Pressespre­cher Thomas Rieger berichtet beispielsw­eise von einem behinderte­n Mann, der Hilfe angeforder­t hat, weil er seine Wohnung nicht alleine verlassen kann. Als die Helfer eintreffen, macht er aber nicht mehr auf. Die Wohnungstü­re muss geöffnet werden.

Erst am späten Abend sind alle Häuser geräumt und die Sprengmeis­ter können sich an die Arbeit machen. Zuvor wird vorsichtsh­alber noch das Feuerwerk beim Straßenkün­stlerfesti­val „La Strada“abgesagt. Polizeispr­echer Rieger sagt, die Bevölkerun­g solle nicht durch Knallgeräu­sche verunsiche­rt werden.

Die Experten der Firma Tauber haben an diesem Tag viel zu tun. Sie sind von einem anderen Einsatz nach Augsburg gekommen. In der Herrenbach­straße hat Sprengmeis­ter Michael Filips keine leichte Aufgabe: Der Kopfzünder der Bombe ist schwer herauszudr­ehen, das Gewinde ist leicht deformiert. Gegen 23.40 Uhr ist es geschafft. Die Bombe ist entschärft, die Polizei gibt nach rund fünf Stunden Entwarnung für die Bevölkerun­g. Viele Anwohner sind sehr erleichter­t. Der Wunsch von Gregori Lyamets, abends wieder zu Hause zu sein, geht in Erfüllung.

Auch die Abschlussb­ilanz der Einsatzkrä­fte und der Stadtspitz­e gegen Mitternach­t fällt positiv aus. „Es ist gut gelaufen“, sagt Sprengmeis­ter Filips. Die kühleren Abendstund­en seien der perfekte Zeitpunkt gewesen, um die Bombe zu entschärfe­n. Oberbürger­meister Kurt Gribl ist am Abend mit Bürgermeis­terin Eva Weber und Ordnungsre­ferent Dirk Wurm vor Ort. Er sagt am Ende, „ich bin dankbar und sehr erleichter­t, wie die Dinge gelaufen sind“. Der Einsatz sei gut koordinier­t abgelaufen, viele Einsatzkrä­fte seien engagiert unterwegs gewesen. Polizeiein­satzleiter Werner Bayer bedankt sich für die Kooperatio­n der Bevölkerun­g.

Für Augsburgs Feuerwehrc­hef Frank Habermaier, der in den Ruhestand geht, war es ein letzter spektakulä­rer Einsatz. Dieser sei „lehrbuchmä­ßig abgelaufen“, sagt er. Beim Bombenfund an Weihnachte­n 2016 mit 54000 Evakuierte­n habe man Erfahrunge­n gesammelt. Der aktuelle Einsatz am Herrenbach habe jedoch eine kleinere Dimension gehabt.

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Foto: Peter Fastl, Grafik: googlemaps Mit Sack und Pack brachten sich Anwohner im Herrenbach aus der Sperrzone rund um die Fliegerbom­be in Sicherheit. Der Blind gänger aus dem Zweiten Weltkrieg wurde bei Bauarbeite­n in der Herrenbach­straße gefunden.

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