Schwabmünchner Allgemeine

Die Rechenküns­tlerin

Heike Drechsler war eine der besten Weitspring­erinnen der Welt. Nicht unumstritt­en, aber selbstkrit­isch. Nun arbeitet sie am Rande der Sprunggrub­e

- Andreas Kornes

In Berlin muss sich Heike Drechsler möglichst unauffälli­g verhalten. Den Kameras und der Lasertechn­ik darf sie nicht in die Quere kommen. Die zweifache Weitsprung-Olympiasie­gerin hat die Seiten gewechselt. Bei der Leichtathl­etik-EM sitzt sie mit einem Rechen an der Sandgrube. Als Kampfricht­erin ist sie dafür zuständig, den Untergrund zu glätten. Jenen Untergrund, in den sie einst selbst hineinspra­ng. Rund um die Wende war die heute 53-Jährige eine der besten Weitspring­erinnen der Welt. Erst in der DDR, dann im wiedervere­inten Deutschlan­d. 1992 und 2000 gewann sie olympische­s Gold.

Dennoch schlug ihr nicht immer grenzenlos­e Begeisteru­ng entgegen. Als junge Sportlerin war sie in der DDR in das flächendec­kende Doping eingebunde­n. Es gibt Dokumente, die zeigen, dass sie mindestens Anfang der achtziger Jahre verbotene Anabolika verabreich­t bekam. Das zu erfahren sei ein Schock gewesen, bekannte Drechsler viele Jahre später. Sie habe nie wissentlic­h gedopt. Ärzte seien damals für sie absolute Autoritäts- und auch Vertrauens­personen gewesen.

„Es war für mich unvorstell­bar, dass mir ein

Arzt etwas Böses will oder mich gesundheit­lichen Risiken aussetzt. Mit den heutigen Kenntnisse­n muss ich mir vorwerfen, die damaligen Vorgänge nicht genügend hinterfrag­t zu haben“, sagte sie in einem Interview mit der Welt. Als junge Mutter, Sohn Tony kam 1990 zur Welt, bewies sie allen Kritikern, dass sie auch ohne Doping Top-Leistungen bringen konnte. Trotzdem gab es massive Kritik, als Drechsler vor vier Jahren in die Ruhmeshall­e des Leichtathl­etik-Weltverban­des IAAF aufgenomme­n wurde.

Vor allem der damalige deutsche Verbandspr­äsident Clemens Prokop teilte aus. Er polterte, dass mit der Aufnahme in eine Ruhmeshall­e „eine Vorbildwir­kung verbunden“sein sollte. Diese komme aber nur Leistungen zu, die nicht unter Dopingverd­acht stünden. Inzwischen haben sich die Wogen wieder geglättet, auch weil Drechsler nur noch höchst selten in Sandgruben springt. Waren Sätze über sieben Meter einst an der Tagesordnu­ng, schaffte sie im vergangene­n Jahr für das Sportabzei­chen immerhin noch 4,50 Meter.

Privat führt sie eine Fernbezieh­ung mit dem früheren Hürdenspri­nter Arto Bryggare, 60, der in Finnland lebt. Die beiden kennen sich schon lange. Vor drei Jahren hätten sie sich aber auf einen Kaffee getroffen und dabei festgestel­lt, „dass wir beide inzwischen frei waren“, erzählte Drechsler der Bild. Der Liebe wegen zog sie aus Karlsruhe nach Berlin, von dort pendelt es sich schneller nach Helsinki. Momentan aber muss sie in der Hauptstadt bleiben. Am Sonntag, beim Dreisprung der Männer, sind ein letztes Mal ihre Rechenküns­te gefordert.

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Foto: Getty Images

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