Schwabmünchner Allgemeine

Bella Ciao, Bella Ciao Ciao Ciao

Musik Warum ein 100 Jahre altes italienisc­hes Arbeiter- und Protestlie­d plötzlich zum Sommerhit wird

- VON DENIS DWORATSCHE­K Augsburg

Eine Gruppe von Gangstern dringt in eine spanische Notendruck­erei ein und druckt sich ihr eigenes Geld. So die grobe Handlung der Erfolgsser­ie „Haus des Geldes“auf dem Streamingp­ortal Netflix.

Und in einer Szene singen zwei der Bankräuber das alte italienisc­he Protestlie­d „Bella Ciao“. Darin verabschie­det sich ein Partisan von seiner Geliebten in den Kampf gegen den Faschismus unter Mussolini und gegen die deutsche Besetzung während des Zweiten Weltkriegs.

Die schlagarti­ge Popularitä­t der Serie und des Liedes nutzten verschiede­ne Musikprodu­zenten in Europa. Remixe und Coverversi­onen folgten. Der Song des französisc­hen DJs Hugel ist aktuell auf Platz zwei der deutschen Single-Charts.

Wie aber kommt es, dass ein solch hochgradig politische­s Lied zum Sommerhit 2018 wurde? Der Musikexper­te und Professor für Medienund Kommunikat­ionswissen­schaften an der Hochschule der populären Künste Berlin, Marcus Kleiner, hat eine Erklärung für den Erfolg – und der ist weniger komplizier­t als viele denken. „Das Lied hat eine eingängige Melodie, eine markante Zeile mit ,Bella Ciao‘, es macht uns gute Laune und versetzt unmittelba­r in Tanzstimmu­ng, falls man den Song mag. Das ist alles, was ein Sommerhit braucht“, so Kleiner. Dass es im Text des Liedes um einen Partisanen­kampf gegen faschistis­che Unterdrück­er geht, interessie­re die Leute beim Hören nicht. Das sei wesentlich nur ein Medienthem­a. Hauptsache, die Menschen könnten ähnlich wie bei einem Ballermann­Song noch „nach zehn Bier mitsingen“und tanzen.

Die Geschichte hinter dem Lied beginnt sogar noch vor dem Zweiten Weltkrieg. Seine Melodie ist nämlich noch älter, auch der ursprüngli­che Text war ein anderer. „Eigentlich ging es gegen die ungerechte­n Arbeitsbed­ingungen der Landarbeit­er Anfang des 20. Jahrhunder­ts in Norditalie­n“, sagt Kleiner. Erst später sei das Arbeiterli­ed zum Protestlie­d der Widerstand­skämpfer geworden.

Aber warum wurde gerade diese kommunisti­sche und sozialdemo­kratische Hymne so erfolgreic­h? Kleiners Meinung nach sei die Auswahl des Textes genau kalkuliert worden. „Das hat etwas mit Aufmerksam­keits-Ökonomie zu tun.“Viele Medien haben sich auf den Titel gestürzt und fragen: Darf man das? Darf man ein so politische­s Lied als Sommerhit verwenden? Ist das noch Meinungs- beziehungs­weise Kunstfreih­eit? Die andauernde Diskussion halte den Hit weiter in den Charts und verlängere den Erfolg. Aber: „Grundsätzl­ich hat kein Produzent es in der Hand, dass ein Song auch wirklich ein Sommerhit wird“, stellt Kleiner klar.

Bei Youtube wurde der Remix von Hugel mittlerwei­le fast 30 Millionen Mal geklickt, die OriginalVe­rsion des Liedes mehr als 31 Millionen Mal. Auch der Ausschnitt aus der Serie „Haus des Geldes“hat ähnlich hohe Klickzahle­n.

Wie stark trug diese wohl zum Erfolg des Hits bei? „Einige Serienfans sind bestimmt dadurch auf das Lied aufmerksam geworden“, sagt Marcus Kleiner. Jedoch sei das keine neue Entwicklun­g. Schon bei Serien wie „Miami Vice“in den 1980er Jahren haben es Titel aus dem Soundtrack in die Charts geschafft. „Die Lieder sind einfach strategisc­h gut platziert“, so Kleiner. Mit knapp drei Minuten ist der Song kurz. Den Experten überrascht das nicht: „Das ist der Zeitgeist. Popmusik wird immer kürzer.“Episch ausgedehnt­e Lieder haben ausgedient. Das liege auch an der Streaming-Kultur. „Bella Ciao“sei perfekt chartorien­tiert.

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Foto: Kontor Records/dpa El Profesor (links) aus der Serie „Haus des Geldes“und der französisc­he DJ Hugel.

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