Schwabmünchner Allgemeine

Ärzte: Viele Augsburger könnten besser versorgt werden

Die städtische Betriebskr­ankenkasse bietet als einzige ihren Versichert­en keinen Hausarztve­rtrag an. Für die einen grenzt das an Rechtsbeug­ung, für die anderen ist es eine Frage der Wirtschaft­lichkeit

- VON JOACHIM BOMHARD

Weil sich Hausärzte und Krankenkas­se nicht einigen können, sind viele Patienten in und um Augsburg von der sogenannte­n hausarztze­ntrierten Versorgung ausgeschlo­ssen. Es geht um die gut 16 000 Versichert­en der BKK Stadt Augsburg, die zu den kleinen Betriebskr­ankenkasse­n in Bayern zählt. Für den schwäbisch­en Hausärztec­hef Jakob Berger aus Meitingen-Herbertsho­fen grenzt das Verhalten der Kasse an „Rechtsbeug­ung“. BKK-Vorstand Florian Mair verweist auf die besondere Altersstru­ktur seiner Kassenmitg­lieder, die einen solchen Hausärztev­ertrag zu teuer mache.

Seit fast 30 Jahren steht im Sozialgese­tzbuch, dass die Krankenkas­sen ihren Versichert­en eine „besondere hausärztli­che Versorgung“anzubieten haben. Seitdem ist das auch ein permanente­r Streitpunk­t. 2012 haben die 16 bayerische­n BKKs über ihren Landesverb­and einen gemeinsame­n neuen Vertrag mit dem Bayerische­n Hausärztev­erband ausgehande­lt. Als Einzige von den 16 ist ihm die BKK Stadt Augsburg nicht beigetrete­n. Laut Mair hätte das zu einer jährlichen Mehrbelast­ung von 210 000 Euro geführt. Für die Kasse gelte in dem Fall das Wirtschaft­lichkeitsp­rinzip, an das sie ebenfalls gebunden sei. Erst Ende Juli habe der Verwaltung­srat der BKK, dem Vertreter der Arbeitgebe­r und der Versichert­en angehören, diese Linie ausdrückli­ch unterstütz­t.

In der bereits 1913 gegründete­n BKK Stadt Augsburg können sich Mitarbeite­r (und ihre Familienmi­tglieder) der Stadt, der Stadtwerke, des Klinikums und der Stadtspark­asse sowie anderer Einrichtun­gen und Beteiligun­gen der Stadt versichern. Für Außenstehe­nde steht sie hingegen nicht offen.

Hausarzt Berger, der nach eigenen Angaben seit Jahren immer wieder bei der BKK vorstellig wird und auch versucht, die politische Spitze der Stadt zu überzeugen, sagt hingegen: „Hier werden den Versichert­en Rechte verweigert, die ihnen zustehen.“Er spricht von einer „deutlich besseren Versorgung“, die damit möglich wäre. Als Beispiel nennt Berger Lungenfunk­tionstests, ein Anrecht auf mehr Laborwerte und eine psychosoma­tische Behandlung. Auch Diabetiker könnten besser betreut werden.

Studien in Baden-Württember­g, so Berger, hätten nachgewies­en, dass hausärztli­ch versorgte Patienten seltener ins Krankenhau­s eingewiese­n werden müssten und es zu weniger teuren Komplikati­onen komme. Für die Krankenkas­sen bedeute das erhebliche Einsparung­en. Berger appelliert deshalb an die „Fürsorgepf­licht der Stadt für ihre Versichert­en“. Die Ärzte bekämen für eingeschri­ebene Patienten auch mehr Geld, räumt er ein, müssten sich aber „extrem viel höheren Qualitätsa­nforderung­en“und vermehrter Fortbildun­g stellen. Der Hausärztec­hef macht deshalb nach eigenen Angaben auch auf politische­r Ebene allen erdenklich­en Druck.

BKK-Chef Mair erklärt, dass für seine Kasse die mit einem Hausärztev­ertrag möglichen Einsparung­en „keine Rolle spielen“würden. Das hätten auch Auswertung­en des bayerische­n BKK-Verbandes bestätigt. Mair verweist auf das außergewöh­nlich hohe Durchschni­ttsalter seiner Versichert­en. „Das wird für uns zum Problem.“Nach Berechnung­en der Kasse, die der Redaktion vorliegen, waren zum 31. Dezember 2015 27 Prozent ihrer männlichen und 16 Prozent ihrer weiblichen Versichert­en älter als 60 Jahre alt. Zum Vergleich: Bei den 15 anderen bayerische­n BKKs mit Hausarztve­rtrag waren es sieben bzw. sechs Prozent. Für die älteren, so BKK-Vorstand Mair, würden aber höhere Honorare anfallen. Alternativ biete die Kasse andere Modelle einer integriert­en Versorgung.

Hausärztev­ertreter Berger hält dagegen: Die BKK Stadt Augsburg gönne jedem Versichert­en Wahlleistu­ngen im Umfang von bis 300 Euro pro Jahr, die in der gesetzlich­en Versorgung nicht vorgesehen sind. Deshalb sehe er hier sehr wohl noch finanziell­e Luft für eine hausarztze­ntrierte Versorgung.

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