Eine Wanderung auf zwei Ebenen
In Scherstetten grenzen die Stauden ans Unterallgäu, in Schwabegg sind sie ganz zu Ende. Dafür liegt Mittelneufnach noch mittendrin. Der Ort wirkt wie aus einem Bilderbuch. Deshalb wohnen hier auch gerne „Zugezogene“
Ist es vernünftig, sich bei Temperaturen bei weit mehr als 30 Grad auf den Weg von Mittelneufnach bis nach Hiltenfingen zu machen? Nicht überall führt der Weg durch den Wald, auch viel freies Feld liegt dazwischen und zwei saftige Steigungen. Deshalb beginnt die Wanderung mit einer ersten Rast. Und die könnte kaum stimmungsvoller sein als im kleinen grünen Paradies von Gudrun Staudinger und Udo Leusmann. Unter fast schon reifen Trauben sitzt man bei ihnen unter der Pergola, weiter hinter im Garten hängt ein Zitrusstrauch voll mit Orangen.
Vor 25 Jahren suchte Udo Leusmann nach einem ruhigen Ort auf dem Land. „Zuerst habe ich Mittelneufnach gar nicht auf der Karte gefunden“, erzählt er. Seine heutige Heimat war damals noch ein Austragshaus. Heute ist sein Arbeitszimmer dort, wo einmal die Pferde standen und das große Bad im ehemaligen Heuboden. „Ich war damals der erste Münchner, der hierher gezogen ist“, erzählt Leusmann. Überhaupt habe sich der Ort verändert: Etwa 70 Prozent der Landwirte hätten im Laufe der Jahre aufgegeben. Trotzdem sei das hier so etwas wie ein Paradies, findet seine Frau Gudrun Staudinger. Die verwunschene Staudenbahn, die Besinnungswege, überhaupt, das Kindheitsgefühl, das man beim Leben hier habe – all das trage dazu bei, dass die Stutt- garterin die Großstadt überhaupt nicht vermisst.
Aber wo genau ist denn nun der Weg nach Scherstetten? Erst mal den Hang hinauf, erklärt Josef Hoffmann. Er ist gerade dabei, in seiner Garage ein wenig Ordnung zu machen. Dazu hat er seinen alten Traktor, ein Sammlerstück der Marke Deutz, davor geparkt. Das sei so ein Hobby von ihm und seinem Sohn, sagt er. Der hätte auch einige alte Autos, darunter eine Corvette. Josef Hoffmann selbst sind alte Motorräder lieber. Unter seinen Schätzen ist eine NSU Quick, Baujahr 1952. „So eine hatte der Pfarrer von Schwabegg auch, damit konnte er sogar den Berg hochfahren“, weiß Hoffmann. Denn eigentlich stammt er aus dem nahe gelegenen Ort, auch wenn er schon seit 50 Jahren in Mittelneufnach wohnt. „Was hier toll ist, das ist die Kameradschaft. Jeder ist bei dem anderen wie daheim“, beschreibt er das Lebensgefühl.
Heiß ist es auf der ersten Steigung des Wegs, der Wald beginnt erst oben am Berg. Durch ihn hindurch geht es nach Scherstetten – noch so ein Staudenort wie aus dem Bilderbuch. Apropos Bilderbuch: Auf einer Rast auf dem Friedhof entdeckt die Grenzgängerin das Grab von Annegret Fuchshuber, der Augsburger Kinderbuchautorin und -illustratorin. Die Bilder aus dem „Traumfresserchen“von Michael Ende stammen von ihr oder auch das „Mäusemärchen“.
Weiter geht es nach Schwabegg. Einfacher ist der Weg über die Straße, meint Martin Schreiegg. Sein Großvater hatte vor mehr als 80 Jahren einen Gasthof im Ort gekauft, den heute noch seine Mutter Maria betreibt. Durch den Wald könnte man sich doch leicht verlaufen.
Das meinen auch die Hartls. Sie wohnen seit 20
Jahren in einem Haus am Hang. „Früher war hier mal eine Wochenendsiedlung“, erzählt Peter Hartl. Inzwischen sind die Häuser ausgebaut, zu seinem gehört auch ein toller Swimmingpool – ideal bei der Witterung. Eigentlich könnten Marianne und Peter Hartl noch mehr erzählen – wäre da nicht Rudi. Der Hund ist in etwa so groß wie ein junges Kalb. Und genauso ängstlich. Die Hartls haben ihn von einem Verein, der Straßenhunde in Rumänien rettet. „Wer weiß, was der Hund da durchgemacht hat“, sagt Peter Hartl. Auf jeden Fall bellt er gern.
An der Kapelle Heilige Familie genießt die Grenzgängerin den Blick zurück in die Stauden. Die fast farblos braunen Kühe, die daneben grasen, erinnern daran, dass man hier schon fast im (Unter-)Allgäu ist. In Schwabegg sind die Stauden auf jeden Fall zu Ende. Der Ort liegt auf zwei Ebenen, den Prügelberg hinunter geht der Blick weit ins Lechfeld und auch schon bis zum heutigen Ziel. Es lebe sich hier gar nicht so schlecht, meinen zwei Nachbarn, die zum Feierabend bei Bier und Colamix zusammensitzen. Aber eigentlich sei es ja so, dass Schwabmünchen nach Schwabegg eingemeindet wäre, nicht umgekehrt, meint der eine.
Jetzt geht es an die letzte Etappe der Wanderung. Zwar über eine harte Betonstraße, dafür aber endlich in der Ebene, am Schluss noch über die Wertach, erreicht die Grenzgängerin endlich Hiltenfingen. Zeit für einen Biergarten.