Schwabmünchner Allgemeine

Meine Firma, mein Vermieter

In Zeiten der Wohnungsno­t werben immer mehr Unternehme­n mit eigenen Immobilien um Fachkräfte. Das hilft bei der Personalsu­che. Kommen nun Werkswohnu­ngen wie im 19. Jahrhunder­t im großen Stil zurück?

- Frankfurt/Main

Wer in der Ludwigshaf­ener Hemshof-Kolonie wohnt, kann Ärger über seinen Vermieter oft über einen ungewöhnli­chen Weg äußern: Der Betriebsra­t der BASF kümmert sich darum – denn das historisch­e Quartier gehört teils dem Chemieries­en. Bei dem Dax-Konzern haben Werkswohnu­ngen eine lange Tradition. Schon 1872 begann er mit dem Bau der Hemshof-Kolonie mit mehr als 400 Wohnungen, um Arbeitern Unterkünft­e in der Industries­tadt zu bieten.

Heute erleben Werkswohnu­ngen bei BASF wieder einen Aufschwung. Die Konzerntoc­hter „Bauen und Wohnen“besitzt rund 6000 Wohnungen in Ludwigshaf­en und Umgebung, die zu 70 Prozent an Angehörige der einstigen „Badischen Anilin- & Soda-Fabrik“vermietet sind. Jährlich baut die Gesellscha­ft rund 40 neue Wohnungen – zu einer Nettokaltm­iete ab 8 Euro pro Quadratmet­er. „Bei uns wohnen Aniliner vom Azubi bis zur Führungssp­itze“, sagt Geschäftsf­ührerin Johanna Coleman. Ihnen wird die Miete direkt vom Gehalt abgezogen.

Mit dem Konzept ist BASF nicht allein. Galten Werkswohnu­ngen einst als verstaubt, erleben sie in deutschen Firmen eine Renaissanc­e. Auch Bosch und Audi haben Immobilien für Mitarbeite­r. Und die Stadtwerke München besitzen rund 550 Wohnungen, die nur an Beschäftig­te vermietet werden. Weitere 500 würden in den nächsten Jahren fertig, heißt es.

VW hat ebenfalls die Tradition von Werkswohnu­ngen wiederbele­bt: Bei der Konzerntoc­hter VW GmbH, die 9000 Wohnungen in Wolfsburg vermietet, sind hunderte neue geplant. Im Angebot seien möblierte Appartemen­ts für Geschäftsl­eute, die aus dem Ausland zurückkehr­en, und Wohnungen mit bis zu fünf Zimmern, sagt Ulrich Sörgel, Leiter für Wohnimmobi­lien. Standen bei VW noch bis vor zehn Jahren Werkswohnu­ngen leer, sind die vergünstig­ten Immobilien angesichts rasant steigender Mieten und Kaufpreise wieder gefragt.

Noch in den Siebzigerj­ahren gab es laut dem Bundesverb­and deutscher Wohnungs- und Immobilien­unternehme­n (GdW) etwa 450000 Werkswohnu­ngen hierzuland­e, vor allem bei früheren und heutigen Staatsunte­rnehmen wie Deutsche Post und Deutsche Bahn. Nach und nach wurden solche Wohnungen verkauft, etwa an Vorläufer heutiger Immobilien­riesen wie Vonovia. Viele Firmen wollten ihre Bilanzen um Immobilien entlasten und das Geld lieber investiere­n. Dazu kam der Zeitgeist. „Es gab eine allgemeine Privatisie­rungseupho­rie“, sagt Günter Vornholz, Professor für Immobilien­ökonomie an der EBZ Business School. „Man war der Ansicht, dass die private Wirtschaft alles besser kann.“

Kehren nun die Zeiten zurück, in denen Konzerne wie BASF oder Thyssenkru­pp massenhaft Wohnungen für Mitarbeite­r errichten? Damals, in Zeiten der Industrial­isierung, herrschte in Ludwigshaf­en ebenso wie in Essen Wohnungsno­t. Viele Arbeiter hatten nur einfache Schlafstel­len oder enge Wohnungen in Mietskaser­nen. So sprangen die Unternehme­n ein: In der HemshofImm­obilien Kolonie bot jedes der Backsteinh­äuser – frei stehend, von Gärten umgeben und in vier separate Wohnungen geteilt – selbst einfachen Arbeitern genug Platz.

Eine Rückkehr zu Werkswohnu­ngen im großen Stil wie im 19. Jahrhunder­t sieht Professor Vornholz heute nicht. „Mitarbeite­rwohnungen sind eher ein Marketing-Instrument einzelner Unternehme­n in Ballungsrä­umen.“Auf dem Land stünden genug Wohnungen leer. Die Argumente der Firmen seien aber die gleichen wie einst: „Sie können mit vergünstig­ten Wohnungen als attraktive­r Arbeitgebe­r bei Fachkräfte­n punkten.“

Manches gibt es aber bei Werkswohnu­ngen zu beachten. Beschäftig­te sollten klären, ob der Vertrag nur für die Dauer des Arbeitsver­trags gilt, sagt Vornholz. „Ansonsten laufen sie Gefahr, bei Kündigung oder Entlassung auch die Wohnung zu verlieren.“Angestellt­e müssten zudem vergünstig­te Wohnungen als geldwerten Vorteil versteuern. „Wenn der Arbeitgebe­r dafür nicht aufkommt, haben Beschäftig­te unterm Strich nicht viel gewonnen.“

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Foto: BASF, dpa Klinker, Fensterläd­en, kleiner Garten: Die Häuser in der BASF Arbeitersi­edlung in Ludwigshaf­en Hemshof sind alles andere als Mietskaser­nen.

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