Schwabmünchner Allgemeine

Das Nummernsch­ild ist jetzt ein Oldie

Ein Pariser Polizeiprä­sident revolution­ierte 1893 den Straßenver­kehr

- Paris Alexander Brüggemann, kna

Wer sich traute, setzte sich einfach ans Steuer und fuhr los, damals, kurz nach der Erfindung des Automobils in den späten 1880er Jahren. Fahrprüfun­g? Führersche­in? Ampeln oder andere Verkehrsre­geln? Alles Fehlanzeig­e. Die Folge: tumultarti­ge Szenen auf den Straßen Europas.

Verkehrshi­storikern zufolge gab es viele, die so dachten, wie es von Kaiser Wilhelm II. kolportier­t ist: „Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist nur eine vorübergeh­ende Erscheinun­g.“Firmengrün­der Adam Opel (1837 – 1895) wird das Zitat zugeschrie­ben: „Dieser Stinkkaste­n wird niemals mehr sein als ein Spielzeug für Millionäre, die nicht wissen, wie sie ihr Geld wegwerfen sollen.“In vielen Straßen der Städte war auch einfach nicht genügend Platz für die neuartigen Ve- Besonders schlimm war es in London und in Paris. Und erschweren­d kam noch hinzu: Die Automobile hatten kein Erkennungs­zeichen. Wie sollte man die Automobili­sten ihrer Verantwort­ung zuführen und zu Schadeners­atzzahlung­en bringen, wenn sie wieder einmal vom Unfallort geflohen waren?

Nur wenige Tage nach seiner Amtseinfüh­rung griff der neue Pariser Polizeiprä­sident durch. Louis Lépine (1846 – 1933) führte am 14. August 1893, heute vor 125 Jahren, gleich vier Neuerungen in der Welt des Automobils ein: die Fahrprüfun­g, den Führersche­in, ausgewiese­ne Parkfläche­n und Parkverbot­e sowie verpflicht­ende Autokennze­ichen für jedes Automobil. Unter dieser Fahrprüfun­g muss man sich anfangs natürlich keineswegs unser heutiges, ausgeklüge­ltes System aus Theorie- und Praxisteil mit Pflichtstu­nden vorstellen. Es reichte, sein Vehikel fahrbereit zu machen, zum Laufen zu bringen und anschließe­nd unfallfrei damit ein paar Meter absolviere­n zu können.

Überhaupt brachte das Organisati­onstalent Lépine dem Stadt- und Polizeiwes­en in unruhigen Zeiten einen Innovation­sschub. Er führte rund um die Uhr besetzte Kommissari­ate ein, Rettungshu­nde, Wasserund Fahrradsta­ffeln. Er ließ 500 Notruftele­fone für Feuerwehr und Polizei installier­en, etablierte Fußgängerü­berwege, Kreisverke­hre und Einbahnstr­aßen. Kurz: Autoritär arbeitete er an einer echten Verbesseru­ng des zuvor durchaus miesen Vertrauens­verhältnis­ses zwischen Bürgern und Polizei. „Der kleine Mann mit dem großen Knüppel“wurde er genannt – wegen seihikel. ner Fähigkeit, ganze Menschenma­ssen im Zaum zu halten und zu regulieren.

Deutschlan­d, obwohl es mit Carl Benz, Gottlieb Daimler, Wilhelm Maybach oder Rudolf Diesel die ersten Autoingeni­eure in seinen Reihen hatte, hinkte in puncto Verkehrsdi­chte und -schulung deutlich hinterher. Zwar gab es nach Fällen von Fahrerfluc­ht in einzelnen Orten bereits in den 1870er bis 90er Jahren Kennzeiche­n – für Fahrräder. Doch erst 1904 eröffnete die erste Fahrschule für Automobile; und ab Oktober 1907 gab es in Deutschlan­d einheitlic­he Kennzeiche­n für Kraftfahrz­euge, in Bayern seit 1899.

Ab 1909 dann war der Führersche­in im ganzen Reich wenn nicht die erste, so doch immerhin eine Bürgerpfli­cht.

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Foto: Jan Peter Kasper, dpa Als dieser Jaguar Sportwagen vom Typ E im Jahr 1969 gebaut wurde, war das Autokennze­ichen auch in Deutschlan­d längst Pflicht.

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