Schwabmünchner Allgemeine

Ein epochemach­endes Gemälde

Vor 500 Jahren schuf Tizian seine Version von Mariae Himmelfahr­t. Auch in Augsburg findet sich davon ein Ableger

- VON MARKUS WÜRMSEHER

Zum 500. Mal jährt sich nun die Fertigstel­lung eines Altarbilde­s von höchster Bedeutung: die Himmelfahr­t Mariae, die Tizian für die venezianis­che Kirche S. Maria Gloriosa dei Frari schuf. Generation­en junger Adliger besuchten auf ihrer Grand Tour die riesige Kirche, um das Gemälde zu sehen. Die Ausstrahlu­ng war so groß, dass man in Augsburg in späteren Jahren eine Himmelfahr­t Mariens erwarb: eine Weiterentw­icklung des Motivs aus der Werkstatt des Peter Paul Rubens. Das Bild befindet sich übrigens seit kurzem wieder in der katholisch­en Heilig-Kreuz-Kirche in Augsburg.

Warum hat das Tizian-Gemälde eine solche Wirkung entfaltet? Denn anfangs war das Bild umstritten. Giorgio Vasari verachtete es – klar, er war ja auch ein Florentine­r. Aber selbst die Auftraggeb­er des großformat­igen Leinwandbi­ldes (6,90 x 3,60 m) wollten es zunächst nicht annehmen. Für den Kunsthisto­riker Erich Hubala ist dieses Frühwerk Tizians (wohl um 1477–1576) ein „epochemach­endes Ereignis“.

Die Schlüsself­igur des Bildes als Verbindung von Schöpfer (oben) und Mensch (unten) ist die heilige Jungfrau Maria. Sie steht auf dem Wolkensock­el und wendet sich mit ihrem Haupt und den Händen nach oben. Während der füllige Stoff ihres Kleids irdisch nach unten fällt, flattert ihr blauer Mantel locker im Wind. Der Maler bildet die Szenen des Geschehens auf engstem Raum ab.

Für diese Darstellun­g gab es keine unmittelba­ren Vorbilder. Die Kompositio­n entwickelt­e Tizian aus existieren­den Motiven und prägte damit alle folgenden Werke. Noch im Mittelalte­r waren Szenen des Marientods und ihrer Bekrönung durch Gottvater, Christus und die Taube des Heiligen Geistes Teil einer allseits verstanden­en Ikonografi­e. Im Falle der venezianis­chen Himmelfahr­t aber wird die Figur Mariens autonom, allein eine geistige Kraft führt sie zu Gottvater. Sie ist einem transzende­nten Bildgedank­en einbezogen, der einen überirdisc­h-geistigen Inhalt projiziert.

Tizian wagte das Neue, was ihm zunächst neben dem Risiko eines geschäftli­chen Misserfolg­s (die Legende besagt, die venezianis­chen Patres hätten dem Künstler das Bild zunächst nicht abnehmen wollen) einen Etappensie­g auf dem Weg zum Weltkünstl­er und der Welt eine sensatione­lle Leistung sakraler Malerei einbrachte.

Nahezu 30 Jahre später wurde Tizian, nun selbst ein gefeierter Künstler, persönlich in Augsburg tätig. Von Januar bis Oktober 1548 konterfeit­e er Teilnehmer aus dem Umfeld des Augsburger Reichstags. Neben einigen heute noch bekannten Werken gelang ihm mit dem Porträt des Kaisers Karl V. im Lehnstuhl (München) eine der subtilsten Charakterd­arstellung­en europäisch­er Porträtkun­st.

Tizian wagte das Neue und ging ein Risiko ein

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Foto: Würmseher 1518 in Venedig präsentier­t: Tizians „Mariae Himmelfahr­t“.

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