Weit mehr als ein Relikt aus der Kindheit
Krimi, Detektivgeschichte, Historie: Effektvolle Hörspiele erfreuen nicht nur Kinder. Die Macher setzen längst auf den Markt für Erwachsene, die mit TKKG und den drei Fragezeichen groß geworden sind
Hannover Die drei Fragezeichen, TKKG: Mit solchen Hörspielen sind viele Kinder groß geworden. Viele der damaligen Fans sind auch heute als Erwachsene große Liebhaber von Hörspielen – und die Branche macht sich das Interesse auf ganz verschiedene Arten zunutze.
Ivar Leon Menger aus Darmstadt gehört zu den Stars der Szene. Seine Produktion „Monster 1983“wurde 2016 zum Hörspiel des Jahres gewählt. Derzeit arbeitet er an einer zehnteiligen Hörspielfolge für den Amazon-Ableger Audible, an der 120 Darsteller mitwirken. „Alleine für die Musikproduktion sind zwei Monate vorgesehen. Für Amazon ist das ein Prestigeprojekt, um neue Abonnenten zu gewinnen. Für Autoren und Sprecher ist so ein großes Projekt toll, denn sonst kann sich nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk so etwas leisten“, sagt Menger, der von seiner Arbeit als Hörspielautor leben kann.
Das, was man liebt, zum festen Beruf zu machen: Davon ist Matthias Arnold aus Oranienburg bei Berlin weit entfernt. Für ihn wäre es schon ein Traum, wenn er die Unkosten für professionelle Sprecher seiner Hörspiele, das Tonstudio und die CD-Produktion wieder erwirtschaften könnte. Arnold hat bislang sieben Folgen der Serie „Leo und Abenteuermaschine“produziert. Dabei geht es um die Geheimnisse der Höhlenmalerei, die Mondlandung oder die Relativitätstheorie, die Arnold auf spannende Weise Kindern näherbringen will. Auch die Form – langsam erzählt, längere Geschichten – soll zum Verstehen beitragen. Arnold, der hauptberuflich als Cutter beim Fernsehen arbeitet, verkauft über einen Shop im Internet und über den Buchhandel. Sein Wunsch an Interessenten: „Bitte kaufen Sie nicht über Amazon, denn da bleibt für kleine Verlage kaum Geld übrig.“
Auch Andy Suess von den Berliner Dream-Teamer-Hörspielern setzt auf ein kleines, treues Publikum. Er tritt zweimal im Monat im Theater Verlängertes Wohnzimmer in Berlin bei Live-Hörspielen auf. Die 60 Plätze sind oft ausverkauft. „Wir lesen nicht einfach vor, sondern benutzen Requisiten, agieren, tragen Kostüme“, sagt Suess. Zum Repertoire gehören Komödien, Mittelalter-Krimis, Western, Abenteuergeschichten wie auch die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens. „Davon können wir nicht leben, aber es ist kein Hobby, sondern eine professionelle Tätigkeit“, betont Suess.
Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat es das Format dennoch schwer, gegen das klassische Radioprogramm zu bestehen. Hörspiel- beklagen, dass die Bedeutung des Hörspiels dort sinkt. Immerhin: Deutschlandfunk Kultur strahlt sonntags um 18.30 Uhr und mittwochs um 21.30 Uhr Hörspiele aus, zudem gibt es montags um 21.30 Uhr ein Kriminalhörspiel. Im „normalen“Deutschlandfunk werden
„Allein für die Musikpro duktion sind zwei Monate vorgesehen.“Ivar Leon Menger
samstags um 20.05 Uhr und dienstags um 20.10 Uhr Hörspiele übertragen. Auch die regionalen
ARD-Anstalten senden regelmäßig Hörspiele. „Das Hörspiel ist nur in Deutschland ein eigenes Medium. Dabei gibt es sehr unterschiedliche Formen. Das Hörspiel im Radio kommt eher getragen daher“, sagt Thomas Birker, Inhaber von Dreamland-Productions aus dem hessischen Nidderau mit Schwerpunkt auf Gruselhörspielen: „Die Radiohörspielmacher würden uns vermutlich vorwerfen, dass wir zu effekthascherisch, zu schnell und zu laut sind.“Er blickt etwas sorgenvoll in die Zukunft: „Kinder hören auch noch heute TKKG. Es ist aber schwieriger geworden, sie zu erreidie chen, denn nur Hören oder nur Lesen wird angesichts der Flut der Bilder immer langweiliger.“
Dabei dient das Hörspiel sogar zur kulturellen Verständigung, wie ein Projekt des staatlichen chinesischen Kulturinstituts Konfuzius zeigt. Das Institut hat es sich zur Aufgabe gemacht, die chinesische Kultur im Ausland zu fördern. Mitarbeiter Joachim Ziebe, der am Standort Frankfurt am Main Sprachkurse organisiert, hat das Hörspiel Tiao Tiao geschrieben, mit dem etwa der Taoismus und die chinesische Mythologie deutschen Hörern nähergebracht werden sollen. „Bei den Inhalten war ich ganz frei“, versichert Ziebe, der für das Hörspiel bekannte Stimmen wie Santiago Ziesmer (SpongeBob), Jürgen Thormann (Michael Caine) und Christian Rode (Bert aus der Sesamstraße) engagieren konnte.
Der Film- und Hörspielverlag Pidaxfilm aus dem saarländischen Riegelsberg setzt bei seinen historischen Hörspielen nach Vorlagen etwa von Francis Durbridge oder Karl May ebenfalls auf bekannte Sprecher. „Die Namen von Fernseh-Kommissaren wie Siegfried Lowitz oder Hansjörg Felmy ziehen bis heute“, sagt Timo Schröder, Creative Director beim fünf Mitarbeiter zählenden Verlag und ergänzt: „Unsere Kunden sind etwas älter, Krimis sind bei ihnen am meisten geMacher fragt. Junge Leute interessieren sich eher für Horror- und Gruselhörspiele.“Im Internet werden die Hörspiele von Pidaxfilm auch als Download angeboten. Gegenüber großen Verlagen sieht sich Schröder im Vorteil: „Andere Labels haben fünf- und sechsstellige Auflagen. Wir beginnen ab 500 Stück und können so auch Dinge wagen, an die sich andere nicht trauen.“
Im etablierten Mainstream-Bereich sind prominente Schauspieler wie Ulrich Noethen, Burghart Klaußner oder Iris Berben regelmäßig als Sprecher auf Hörbüchern aktiv. Eva Mattes bekam in diesem Jahr für ihre zahlreichen ausgezeichneten Hörbücher den Sonderpreis des Deutschen Hörbuchpreises. Auf den aktuellen HörbuchCharts der Gesellschaft für Konsumforschung finden sich unter den ersten fünf Titeln vier CDs mit Aufnahmen von Marc-Uwe Kling, dem Autor der „Känguru-Chroniken“, die ursprünglich als Textsammlung viele Leser gefunden hatten.
Knapp zehn Milliarden Euro hat der Buchhandel in Deutschland im Jahr 2017 umgesetzt, rund drei Prozent entfallen davon auf Hörbücher. Von Einbußen in der Buchbranche sind jedoch auch die Hörbücher betroffen – in den ersten fünf Monaten dieses Jahres sank der Umsatz gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 um 11,2 Prozent.