Schwabmünchner Allgemeine

Respekt vor dieser Powerfrau!

Aretha Franklin konnte mit ihrer Soulstimme die Menschen aus den Sitzen reißen. Viele ihrer Songs wurden zu Hymnen der Emanzipati­on – dank eines wirkungsvo­llen Tricks

- VON REINHARD KÖCHL

Wie viel Macht muss ein einzelner Mensch besitzen, wenn er den mächtigste­n Mann der Welt zum Weinen bringt? Nicht mit Waffen oder mit plumpen Drohgebärd­en, sondern einzig mit der Kraft seiner Kunst. Natürlich: Aretha Franklin liebte die große Bühne, das Bad in der Menge. Sie genoss diesen WowEffekt, der sich immer wieder einstellte, wenn irgendwo ihre unvergleic­hliche Stimme erklang.

Am 6. Dezember 2015, bei der 38. Verleihung des Kennedy-Preises in New York, wollte die „Queen of Soul“nichts anderes, als einer guten Freundin den gebührende­n Respekt erweisen. Es war einer der selten gewordenen Auftritte von Aretha Franklin, und es sollte einer ihrer spektakulä­rsten werden. Im Pelz war die Diva aus Memphis/Tennessee auf die Bühne stolziert, hatte sich ans Piano gesetzt, ein paar Akkorde gespielt – und plötzlich lag wieder dieser Zauber in der Luft, den keiner aus der aktuellen Generation heute mehr so zustande bringt. Im Mittelpunk­t der Hommage stand die Komponisti­n und Sängerin Carole King. Ihr zu Ehren hatte Franklin den Klassiker „(You Make Me Feel Like) A Natural Woman“von 1967 gesungen. Schon beim ersten Ton hob es das Publikum schier aus den Sitzen. Die Tochter eines Baptistenp­redigers, die sich schon in jungen Jahren den Ruf einer feurigen Gospelsäng­erin erwarb, hatte sich gewissenha­ft auf diesen Auftritt vorbereite­t – womöglich ahnend, dass es nicht mehr allzu viele große Bühnen in ihrem Leben geben würde.

Die legendäre Franklin-Power, die Generation­en von Musikfans in den Bann geschlagen hatte, überflutet­e das gesamte Gebäude. Irgendwann schwenkten die Kameras auf Barack Obama, in jenen Tagen noch Amerikas Präsident. Ohne es verbergen zu wollen, wischte er sich Tränen der Rührung aus dem Gesicht. Mitnichten ein Zeichen der Schwäche. Denn eine wie Aretha Franklin konnte Berge versetzen, Völker, Geschlecht­er und Rassen verbinden. Sie schenkte den Menschen die Hoffnung auf eine bessere, gerechtere, harmonisch­ere Welt.

Gute alte Zeiten. Nicht nur Obama trägt jetzt Trauer. Sein großes Vorbild ist am Donnerstag­morgen in Detroit im Alter von 76 Jahren für immer verstummt. Schon seit Tagen hatten Meldungen über das bevorstehe­nde Ableben der Sängerin die weltweite Fanschar in Alarmstimm­ung versetzt. Stevie Wonder und der schwarze Bürgerrech­tler Jesse Jackson besuchten die krebskrank­e Weggefährt­in noch am Dienstag, kurze Zeit später starb Aretha Franklin im Kreise ihrer Familie. Sie hinterläss­t ein Erbe, auf dem nicht nur die Popmusik ihr aktuelles Fundament baut, sondern auch die Frauenbewe­gung. Wenn die Grundlage von Soulmusik tatsächlic­h Ungerechti­gkeit, Schmerz, Hoffnung, Glaube und Liebe sein soll, dann besaß die Franklin von all dem eine Überdosis.

Was für eine Karriere! Schon mit 14 nahm sie ihr erstes Album auf, das bezeichnen­derweise den Titel „Songs Of Faith“trug. Ein richtungsw­eisendes Fanal. Denn die junge „Soul Sister“glaubte vor allem an sich selbst. Von Anfang an verstieß sie permanent gegen Regeln – wo immer sie war, galten ihre Regeln. Niemand konnte ihr an Tiefe und Kraft das Wasser reichen. Mit Songs wie „Respect“, die sich zu politische­n Hymnen der afroamerik­anischen und feministis­chen Emanzipati­on aufluden, erreichte sie eine Relevanz, wie sie zur gleichen Zeit eigentlich nur Bob Dylan besaß.

Allein ihr Gesang, der sich vom Ideal weiblicher Pop-Stimmen der 1960er Jahre wie ein leuchtende­r Komet abhob, bescherte der Franklin die Rolle einer Vorkämpfer­in. Niemals klang sie sentimenta­l oder nett wie Ella Fitzgerald oder Mahalia Jackson, sondern stets sicher und stark, selbst wenn sie sich verletzlic­h zeigte. Mochte die wuchtige Powerfrau auch im realen Leben lange Zeit von dominanten Männern umgeben sein: Sobald sie ihre Soulstimme erklang, war sie der Boss.

Aber wie erklärt sich diese Wirkung? Aretha Franklin spielte mit verschiede­nen Bedeutungs­ebenen. Und durch kleinste, häufig improvisie­rte Änderungen am Text legte sie neue Emotionen frei. Aus Sam Cookes Bürgerrech­tshymne „A Change Is Gonna Come“etwa machte sie „My Change Is Gonna Come“. Bei ihr wurde das Private politisch und das Politische privat.

Noch so ein Meilenstei­n war „Think“, 1968 von ihr und ihrem damaligen Ehemann Ted White geschriebe­n. Spätestens seit er 1980 im Blues-Brothers-Film die Situation zwischen der in rosa Schläppche­n tanzenden Imbissbesi­tzerin und ihrem Mann klärt, zählt er zum Allgemeing­ut der Radio-Popkultur. Sogar in den 1990ern konnte Aretha Erfolge einheimsen wie etwa mit „A Rose Is Still a Rose“. Selbst als sie 2011 mit „A Woman Falling Out Of Love“gegen die anschwelle­nde Polizeigew­alt in den USA ansang, fand ihre Stimme noch Gehör. Man kann behaupten: Mitnichten eine Politikeri­n, sondern sie war die mächtigste Frau auf der Welt. Respekt!

Niemals klang sie sentimenta­l oder bloß nett

 ?? Foto: Gary Gershoff, MediaPunch, Imago ?? In den 60ern und 70ern zur Legende geworden: Am Donnerstag starb Aretha Franklin im Alter von 76 Jahren.
Foto: Gary Gershoff, MediaPunch, Imago In den 60ern und 70ern zur Legende geworden: Am Donnerstag starb Aretha Franklin im Alter von 76 Jahren.

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