Schwabmünchner Allgemeine

Gibt es in Genua noch mehr Opfer?

Während sich die Rettungsar­beiten hinziehen, streiten die Betreiberg­esellschaf­t und die italienisc­he Regierung heftig miteinande­r

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN Genua

Zwei Tage nach dem Einsturz einer Autobahnbr­ücke in Genua werden die Rettungsar­beiten fortgesetz­t. „Es könnten immer noch zwischen zehn und 20 Vermisste unter den Betontrümm­ern liegen“, sagte Oberstaats­anwalt Francesco Cozzi. Bislang wurden 38 Todesopfer geborgen. 15 Verletzte werden behandelt, neun von ihnen sind schwer verletzt.

An diesem Samstag soll auf dem Messegelän­de der Hafenstadt die Trauerfeie­r stattfinde­n. Dazu wird auch Italiens Staatspräs­ident Sergio Mattarella erwartet. Die Staatsanwa­ltschaft Genua ermittelt weiter gegen unbekannt, einer der Straftatbe­stände lautet auf mehrfache fahrlässig­e Tötung. Oberstaats­anwalt Cozzi teilte mit, dass der Konzession­svertrag zwischen der Betreiberg­esellschaf­t der Autobahn Autostrade per l’Italia und der italienisc­hen Regierung konfiszier­t wurde, um die Bestimmung­en zur Instandhal­tung der Brücke zu prüfen. Weil sich unter den Opfern auch vier Franzosen befinden, ermittelt auch die Staatsanwa­ltschaft Paris.

Nach dem Einsturz wurde bekannt, dass die Brücke – das 1967 eingeweiht­e Morandi-Viadukt, das im Stadtgebie­t von Genua verläuft und eine der wenigen, völlig überlastet­en Verbindung­en zwischen dem westlichen und dem östlichen Stadtteil ist – von Beginn an Gegenstand von Instandhal­tungsarbei­ten war. Bereits 1968 erfolgten die ersten Maßnahmen zur Stabilisie­rung.

Die Regierung will der Betreiberg­esellschaf­t nun die Konzession entziehen. Autostrade per l’Italia teilte mit, seine Sorgfaltsp­flichten erfüllt zu haben und wies auf Entschädi- im Fall einer vorzeitige­n Kündigung der Konzession hin, die bis zum Jahr 2038 erteilt wurde. Am Donnerstag verlor der Aktientite­l der Betreiber-Holding Atlantia, deren Mehrheitse­igner die Textilhers­teller-Familie Benetton ist, an der Mailänder Börse zeitweise bis zu 25 Prozent seines Wertes.

Arbeitsmin­ister und Vizeregier­ungschef Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) gab sich empört. Während noch die Toten gezählt würden, beharre die Betreiberg­esellschaf­t auf ihrem Profit. „Das ist schändlich, sie hätten wenigstens ein Wort für die Opfer verlieren können“, sagte er. Inzwischen gerät aber auch die Fünf-Sterne-Bewegung in die Kritik. Die Partei von Gründer Beppe Grillo bildet erst seit zwei Monaten zusammen mit der rechtsnati­onalen Lega eine Regierung. Verkehrsmi­nister Danilo Toninelli (M5S) hatte Anfang August angekündig­t, mehrere große Infrastruk­turprojekt­e in Italien einer Kosten-Nutzen-Analyse unterziehe­n zu wollen. Dazu zählte auch eine Gronda genannte, vier Milliarden Euro teure Umgehungss­traße in Genua, die den Autobahnab­schnitt mit der eingestürz­ten MorandiBrü­cke entlastet hätte. Nun wurde bekannt, dass sich Vertreter der Fünf-Sterne-Bewegung mehrfach gegen die Entlastung­sstraße ausgesproc­hen hatten. So wurde 2013 auf einem Blog der Fünf-Sterne-Bewegung eine Erklärung von Gegnern der Umgehungss­traße veröffentl­icht. Darin hieß es: Ein befürchteg­ungszahlun­gen ter Einsturz der Morandi-Brücke sei ein Märchen. Zwei Jahre vorher hatte der Industriel­lenverband Genua vor einem Kollaps der Brücke gewarnt. Nach dem Unglück wurde der damalige Eintrag von dem FünfSterne-Blog entfernt. 2014 schimpfte der aus Genua stammende Parteigrün­der Beppe Grillo bei einer Veranstalt­ung gegen die 61 Kilometer lange Umgehungss­traße. „Wir müssen sie mit der Armee aufhalten“, forderte er. Die Gronda-Umgehungss­traße, auf der 23 Tunnels und 24 Brücken gebaut werden sollen, ist seit Jahren das umstritten­ste Verkehrspr­ojekt in Genua und Ligurien. In einigen Monaten sollen die Detailplan­ungen beendet sein. Anschließe­nd wird mit einer Bauzeit von zehn Jahren gerechnet.

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Foto: Luca Zennaro, dpa Es wird vermutet, dass noch bis zu 20 Vermisste unter den Trümmern der eingestürz­ten Brücke liegen.

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