Schwabmünchner Allgemeine

Wiederentd­eckung in Rinnenthal

Vor 100 Jahren ist die Künstlerin Marie-Luise Heller geboren worden. Posthum kommt es gerade zu einer Wiederentd­eckung ihres Werks. In Friedberg-Rinnenthal ist zu sehen, warum das gerechtfer­tigt ist

- VON RICHARD MAYR Laufzeit

Im Nachhinein ist es immer leicht, zu sehen, wo und wie das Neue in die Welt kam. Viel schwierige­r ist es, in der Gegenwart zu bemerken, dass sich gerade etwas verändert. Genau dafür hatte die Künstlerin Marie-Luise Heller ein feines Sensorium. Heller, 1918 geboren, gehört zu den Frauen in der Kunst, die zwar schon an einer Kunstakade­mie studieren durften, nach dem Zweiten Weltkrieg in den 1950er und 1960er Jahren aber ganz selbstvers­tändlich in der zweiten Reihe standen. Heller hinter ihrem KünstlerGa­tten Ernst Weil, um dessen Karriere es erst einmal ging.

Nur fand sich Heller nicht ein ganzes Künstlerle­ben lang damit ab. Nach 20 Jahren, in denen sie ihr eigenes Schaffen mehr oder weniger zurückgest­ellt hatte, nach der gescheiter­ten Ehe mit Weil, stürzte sie sich wieder in die Kunst, wie Thomas Weil, ihr Adoptivsoh­n, erzählt. Heller setzte dort wieder ein, wo sie in den 1950er Jahren stand, bei der informelle­n Malerei, kam dann allerdings äußerst schnell in völlig neue Fahrwasser.

Wie im Zeitraffer kann diese Entwicklun­g gerade in der Galerie Claudia Weil in Friedberg-Rinnenthal nachvollzo­gen werden. Wenn die Galeristin Claudia Weil und ihr Mann Thomas Weil zu der dort gezeigten Retrospekt­ive von MarieLuise Heller erzählen, entsteht das facettenre­iche und spannende Bild einer kompromiss­losen Künstlerin, die sich voll und ganz in ihr Werk gestürzt hat.

Das begann in den ausgehende­n 1960er Jahren mit Experiment­en, weil ihr Leinwand und Ölfarben nicht mehr genügten. Sie wollte neue Materialie­n verwenden. Anfangs war das der Kleber für Plexiglas-Platten, den sie einfärbte und dann in einer fließenden Bewegung auf den Maluntergr­und auftrug. Glitzernde Linien auf dem Papier entstanden, Spiralform­en, die sie malend ausfüllte. Und von dort ging es weg von der Malerei. Sie, die ausgebilde­te Malerin, die Picasso in Paris getroffen hatte, bei Willi Geiger in München studiert hatte, mit Otto Piene zusammen gearbeitet hatte, diese Vollblut-Malerin ließ das alles zurück und begann, Objekte herzustell­en: aus Plexiglas-Platten mit knallbunte­n Farben. Plötzlich war sie keine informelle Malerin mehr, sondern eine Op-Art-Künstlerin.

Fünf, sechs, sieben Jahre lang entstanden im Atelier in München Objekte, bis bei Heller sich langsam die nächste Häutung als Künstlerin einstellte. Heller begann, sich mit Zen-Buddhismus und Meditation zu beschäftig­en, damit einhergehe­nd verschwand­en die knalligen Farben auf den Plexiglas-Objekten. Und: Die Muster dort wurden komplexer. Schließlic­h kehrte Heller auf die Leinwand zurück. Sie fing an, Leinwände mit Klebestrei­fen zu „bemalen“– mit sich wiederhole­nden Mustern. Schließlic­h griff sie zum Stift, setzte Punkt neben Punkt zu breiten Linien zusammen und diese Linien zu großformat­igen sich endlos wiederhole­nden Mustern, die fast ein bisschen schwindlig machen. Mit welcher Akribie und mit welchem Perfektion­swillen sie zur Sache ging, lässt sich auf diesen Bildern erahnen – die aus Punkten zusammenge­setzten Linien laufen alle gleich breit und in gleich starker Deckung. Kein Punkt berührt einen anderen. Wochen verbrachte sie Punkte setzend vor einer Leinwand, bis ein Bild fertiggest­ellt werden konnte.

Von dort ging es in den 1990er Jahren noch einmal weiter – die Muster lösten sich auf, einzelne Linien blieben übrig. Die Bilder, die nun entstanden, erinnern an Kalligrafi­e. Und von dort reduzierte sie über die Jahre ihre Arbeiten noch weiter, bis nur noch drei, am Schluss zwei Linien auf einer Leinwand übrig blieben.

Zu sehen ist das gerade alles in Rinnenthal in der Galerie Claudia Weil. Bemerkensw­ert ist, dass das Werk der Künstlerin Marie-Luise Heller, die 2009 in Augsburg gestorben ist, wieder verstärkt Aufmerksam­keit geschenkt bekommt. In Berlin hat sich die Galeristin Sabine Tauscher das Ziel gesetzt, das Oeuvre kunsthisto­risch aufzuarbei­ten und ein Werkverzei­chnis zu erstellen. Zuletzt waren Arbeiten von Marie-Luise Heller in Berlin, in Ingolstadt und in Strobl am Wolfgangse­e zu sehen. Es wirkt, als ob die Kunstwelt etwas nachholt: das Werk einer Frau, die ein Leben lang in der zweiten Reihe gestanden hat, endlich angemessen zu würdigen.

Oder Ausstellun­g „100 Jahre Marie Luise Heller“in der Galerie Claudia Weil bis zum 21. Oktober (Ferien vom 1. bis zum 20. September), geöff net Freitag und Samstag von 15 bis 18 Uhr. Parallel dazu ist im Schauraum in der Bergstraße 11 in Augsburg eine Ateliersit­uation von Marie Luise Heller nachgestel­lt. Der Raum kann von der Straße aus betrachtet werden.

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Fotos: Richard Mayr Plexiglas Objekte der Künstlerin Marie Luise Heller in der Ga lerie Claudia Weil.
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Später hat Heller Muster Bilder gemalt. Die Linien bestehen aus lauter einzelnen Punkten.

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