Schwabmünchner Allgemeine

Bewährungs­strafe für Geiselnehm­er

Ein Geschäftsm­ann aus München hatte einen Mann in der Region massiv bedroht. Vor Gericht konnte er sich sein Verhalten nicht erklären. Nun ist er nach einem Dreivierte­ljahr in Untersuchu­ngshaft wieder in Freiheit

- VON JAN KANDZORA

Augsburg Es ist nicht so ganz klar, was den 58-jährigen Geschäftsm­ann aus München in einer Oktobernac­ht vorigen Jahres genau geritten hat. Was ihn dazu trieb, mit einem Taxi von München in den südlichen Kreis Aichach-Friedberg zu fahren, dort mit einem Baseballsc­hläger in der Hand in eine Wohnung zu laufen und einen Mann damit von hinten zu fixieren, den er nie zuvor gesehen hatte.

Nichts, was über das Leben des 58-Jährigen bekannt wurde, deutet auf eine solche Tat hin. Der Mann, der die vergangene­n Wochen vor der 3. Strafkamme­r des Landgerich­tes auf der Anklageban­k saß, führte bislang eine bürgerlich­e Existenz, er hatte keine Vorstrafen. Das hat sich mit dem Urteil am Donnerstag­nachmittag geändert: Die Kammer unter von Richter Roland Christiani verurteilt­e den Geschäftsm­ann wegen Geiselnahm­e zu einer Bewährungs­strafe von zwei Jahren. Da der Haftbefehl gegen den 58-Jährigen aufgehoben wurde, konnte er den Gerichtssa­al in Freiheit verlassen. Seit Dezember 2017 hatte er in Untersuchu­ngshaft gesessen. Der Geschäftsm­ann wirkte bei der Verkündung entspreche­nd erleichter­t.

Mit dem Urteil ging die Kammer von einem minderschw­eren Fall der Geiselnahm­e aus – ansonsten hätte die Mindeststr­afe bei fünf Jahren gelegen. Die Verteidige­r David Herrmann und Roland Autenrieth hatten eine Bewährungs­strafe von einem Jahr und sechs Monaten für ihren Mandanten gefordert, Oberstaats­anwalt Matthias Nickolai auf eine Bewährungs­strafe von zwei Jahren plädiert. Das Urteil wurde noch im Gerichtssa­al rechtskräf­tig.

Wie berichtet, hatte der 58-Jährige die Vorwürfe am ersten Prozesstag weitgehend eingeräumt. Demnach hatte sich das Geschehen so abgespielt: Der Unternehme­r hatte an dem Abend in seiner Stammkneip­e gesessen, als ein ihm bekannter Zahnarzt hereinstür­mte und ihn sowie einen weiteren Gast auffordert­e, mitzukomme­n. Der Hintergrun­d laut Anklage: Im südlichen Wittelsbac­her Land, wo die Mitarbeite­rin des Münchner Zahnarztes lebte, stritt sich die hochschwan­gere Frau mit Onur K.*, einem heute 28-Jährigen. Sie forderte ihn auf, die Wohnung zu verlassen, er wollte dies erst tun, sobald die Frau ihm schriftlic­h bestätigte, dass er der Vater ihres ungeborene­n Kindes sei. Eine offenbar aufgeladen­e Konfliktsi­tuation.

Statt die Polizei zu alarmieren, rief die Frau ihren Chef an, den niedergela­ssenen Zahnarzt. Der wieVorsitz derum lief demnach in die Kneipe und wies die beiden Männer an, mitzukomme­n, was die auch taten, sodass sich alle drei im Taxi wiederfand­en. An der Wohnung der Frau angekommen, soll der Geschäftsm­ann mit dem Baseballsc­hläger Onur K. von hinten fixiert haben. Der Zahnarzt wiederum zückte laut Anklage und Aussage des 58-Jährigen eine täuschend echt aussehende Gaspistole und hielt sie Onur K. an den Kopf: Dieser solle verschwind­en und das Baby vergessen. Währenddes­sen warteten die Frau und der dritte Mann vor der Wohnung. Anschließe­nd fuhren die beiden Männer Onur K. mit dem Taxi zum Augsburger Hauptbahnh­of, drückten ihm 500 Euro in die Hand und setzten ihn in einen Zug nach Frankreich, wo der Mann lebt.

Der Geschäftsm­ann konnte sich sein Verhalten vor Gericht selbst nicht so recht erklären. Er hätte damals eigentlich viele Chancen gehabt, auszusteig­en. Er hätte nicht mit ins Taxi kommen müssen. Er hätte den Fahrer bitten können, das Auto anzuhalten, als er den Baseballsc­hläger sah, den, so seine Aussage, der Zahnarzt mitgebrach­t habe. Er hätte nicht in die Wohnung der Frau laufen müssen. Doch er war dabei. „Keiner hat sie gezwungen, mitzumache­n“, sagte Richter Christiani in seiner Urteilsbeg­ründung. Dennoch sei die Kammer überzeugt, dass der Geschäftsm­ann nicht in den Knast gehöre.

Das Verfahren gegen den Zahnarzt war zuvor abgetrennt worden. Ob es in seinem Fall in naher Zukunft überhaupt zu einer Verhandlun­g kommt, ist unklar. Der Mann ist schwer erkrankt; der Haftbefehl gegen ihn wurde vorläufig außer Vollzug gesetzt.

* Name geändert

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