Eins sein mit dem Wind
Man weiß nie konkret, wohin die Reise geht. Zudem trennt nur ein dünnes Korbgeflecht von der Weite. Die Passagiere sprechen dennoch von Faszination, Abenteuer und Freiheit. Warum man am Ende geadelt wird
Sonja Meier ist skeptisch. Als sie den kleinen Weidenkorb sieht, kann die Wollmetshoferin ihre Überraschung nicht verbergen. „Passen wir da auch wirklich alle rein?“, fragt sie ungläubig. Immerhin soll die Gondel sechs erwachsene Leute durch die Luft befördern. Ein Viertel der knapp über zwei Quadratmeter großen Fläche ist allein schon für den Piloten und die Gasflaschen reserviert. Andreas Kindler lächelt. „Selbstverständlich“, antwortet der Ballonführer.
Schon macht er sich weiter an die Arbeit. Bevor die Passagiere das Land aus der Vogelperspektive sehen, muss die rund 150 Kilogramm schwere Ballonhülle entrollt, mit Halteleinen gesichert und mit Luft gefüllt werden. Für Letzteres setzt Andreas Kindler einen großen Ventilator ein. Das Gerät transportiert Kaltluft in den reißfesten und zugleich hitzebeständigen Nylonstoff. Langsam bläht sich der Ballon auf rund 20 Meter Höhe auf. Vorsichtig stellt Kindler die mit Propangas gespeisten Doppelbrenner an. Zielsicher finden die Feuerstöße mit heftigem Fauchen die Hüllenöffnung. Da die warme Luft im Inneren eine geringere Dichte als die Außenluft aufweist, beginnt der Ballon sich langsam aufzurichten. Deutlich wird auf der dunkelblauen Hülle der Schriftzug „Sunshine Ballooning“sichtbar.
Jetzt geht es ruckzuck. Die Ballonhülle umfasst mittlerweile 5100 Kubikmeter Luft. Die Passagiere steigen rasch in den Weidenkorb. Das Startgewicht – Gondel, Hülle und Mitfahrer – betrage insgesamt 1100 Kilogramm, informiert der Pilot. Das Gewicht sei wichtig für die Tragkraftberechnung. Dann entfernt er routiniert die Leinen.
Ganz langsam, ja fast gemächlich hebt sich der Riese in den Himmel. Es ist ein majestätisches Gefühl. „Ein buchstäbliches Schweben“, beschreibt es Amanda Hieber aus Obergessertshausen. Sie hat die Ballonfahrt von ihrem Ehemann Josef und den beiden Söhnen Tobias und Sebastian als Geschenk zu ihrem 50. Geburtstag erhalten. Auch Sonja Meier ist begeistert. Sie schwärmt vom faszinierenden Ausblick, von der 360-Grad-Rundumsicht. Von Angst keine Spur.
Der Startplatz auf einer freien Wiese, rund 150 Meter vom Dorfrand des Walkertshofer Ortsteils Gumpenweiler entfernt, ist von oben nur noch als Miniaturausgabe zu sehen. „Ballonfahrer heben je nach Thermik früh morgens oder abends ab“, erklärt Kindler. „Beide Termine bieten mit Sonnenaufgang oder -untergang eine romantische Stimmung.“Damit punktet auch diese um 19.50 Uhr startende Ballonfahrt über die Stauden.
Trotzdem ist sie eine Reise mit unbekanntem Ziel. „Allein der Wind entscheidet mit seiner Richtung und Stärke, wohin es geht“, verdeutlicht Andreas Kindler. Er hat die Ballonpilotenlizenz nach einer zwölfmonatigen Ausbildung 2015 erworben. Sein lizenziertes Luftfahrtunternehmen betreibt er seit dem vergangenen Jahr. Über die Gaszufuhr regelt er den Auftrieb und somit die Flughöhe. Er pendelt sie auf rund 300 Meter über dem Gelände ein. Und so schweben die Mitreisenden mit 14 bis 20 Stundenkilometern sacht in der Luft. Kirchtürme und andere charakteristische Punkte wie das Schloss in Markt Wald bieten, trotz der anfangs etwas getrübten Fernsicht, Orientierung. Häuser, klein wie Streichholzschachteln, und Fahrzeuge wie Spielzeugautos gleiten unter der Gondel dahin, Dörfer, Felder, Wiesen, Weiher, Bachläufe, Straßenzüge. Jetzt ist nur noch der Weg das Ziel, vom Wind sanft getrieben. Kein Geräuschpegel. Nichts. Nur Stille. Meditativ, fast pure Magie.
Josef Hieber nennt diese Augenblicke „erhaben“. Seine Frau Amanda „beflügelt, im Einklang mit Natur und sich selbst“. Auch die anderen Passagiere genießen sichtlich die Ruhe, zuweilen nur unterbrochen vom fauchenden Gasbrenner.
Die Landephase beginnt. Andreas Kindler hat kurz vor Mattsies (Landkreis Unterallgäu) eine Wiese und ein daran sich anschließendes abgeerntetes Feld entdeckt. Er lässt heiße Luft aus dem Ballon entweichen, fordert die Ballonfahrer auf, leicht in die Knie zu gehen und sich an den Griffen festzuhalten. Zweimal rummst es kurz. Dann steht der Weidenkorb sicher auf dem Boden. Zwei Minuten später kommt das Begleitfahrzeug, über GPS-Signal mit dem Ballon verbunden. Bevor es die Passagiere wieder zum Startplatz zurückfährt, gilt es nochmals kräftig anzupacken. Ballonhülle und Gondel werden im Fahrzeuganhänger verstaut. Auf die Erstfahrenden wartet dann die feierliche Erhebung in den Adelstand der Ballonfahrer. „Diese Tradition geht auf Frankreichs König Ludwig XVI. zurück“, teilt Kindler mit. „Er erließ auf Drängen des Adels das Gesetz, dass Ballonfahrten nur Blaublütigen vorbehalten werden durften.“Der Ballonführer greift zum Feuerzeug, sengt den Teilnehmern vorsichtig eine Haarsträhne an und löscht sie mit Wasser. Neben einem Adelsnamen erhalten sie die überfahrenen Ländereien geschenkt, um dort Steuern und Zölle zu erheben. Gültig sei dies aber nur eine Handbreit über dem Gelände, schmunzelt Kindler. Die Passagiere nehmen die Einschränkung gelassen auf. Ihre Augen leuchten trotzdem. Mit der Ballonfahrt sei ein langersehnter Wunsch in Erfüllung gegangen, meint Sonja Meier. Die anderen sprechen von Freiheit, Abenteuer, Faszination und einem einmaligen Erlebnis. Fahrten Jährlich führt das Ballon Team Kindler durchschnittlich 70 bis 100 Ballonfahrten durch, bevorzugt in den Stauden, im Allgäu und im Raum Ulm. Kontakt unterder Telefonnummer 0160/96717336 oder im Internet un ter www.ballonteam kindler.de.