Schwabmünchner Allgemeine

Szenen einer aufgewühlt­en Stadt

In Chemnitz folgen deutlich mehr Demonstran­ten den Aufrufen rechter Gruppen. Die Polizei hat viel zu tun

- Chemnitz

Der Platz vor der Chemnitzer Johanniski­rche ist gut gefüllt. Mehrere tausend Menschen wollen an diesem Samstag ein Zeichen setzen. „Wir wollen zeigen, es gibt ein anderes Chemnitz“, ruft Susanne Schaper von der Initiative „Herz statt Hetze“von der kleinen Bühne in die Menge. Nach den Ausschreit­ungen der vergangene­n Tage sollen diesmal andere Bilder um die Welt gehen. Doch die Rechnung geht nicht ganz auf – tausende Menschen beteiligen sich auch an einer AfDKundgeb­ung.

Insgesamt knapp 3000 Menschen sind nach Angaben der Polizei dem Aufruf eines breiten Bündnisses zur Großdemo gegen Fremdenfei­ndlichkeit gefolgt. Auch Alexander Borck ist mit seiner Frau vor die Johanniski­rche gekommen, um zu zeigen, „dass Chemnitz nicht die Stadt ist, wie sie jetzt in den Medien gezeigt wird“. „Wir wollen, dass ein anderes Bild von Chemnitz in der Welt ist, wir wollen uns nicht abstempeln lassen als braune Stadt“, sagt der 66-Jährige.

Seit fast einer Woche ist die drittgrößt­e Stadt Sachsens im Ausnahmezu­stand. Die Tötung eines 35-jährigen Deutschen, in dessen Fall ein Syrer und ein Iraker unter dringendem Tatverdach­t in Untersuchu­ngshaft sitzen, und die anschließe­nden Aufmärsche haben Chemnitz „aufgewühlt“, wie SPDOberbür­germeister­in Barbara Ludwig auf der Demonstrat­ion sagt. Rechte Gruppen versuchten seitdem, die Tat zu instrument­alisieren.

An diesem Samstag sind die AfD, die fremdenfei­ndliche Pegida-Bewegung und die rechte Organisati­on Pro Chemnitz bei einem sogenannte­n Trauermars­ch für den getöteten Chemnitzer gemeinsam auf der Straße. Unzählige schwarz-rot-goldene Fahnen wehen in der Menge.

In der ersten Reihe marschiere­n die AfD-Landesvors­itzenden von Thüringen, Sachsen und Brandenbur­g, Björn Höcke, Jörg Urban und Andreas Kalbitz, Seite an Seite mit den Pegida-Frontmänne­rn Lutz Bachmann und Siegfried Däbritz. Einmal mehr übt die AfD ganz offen den Schultersc­hluss mit der fremdenfei­ndlichen Pegida-Bewegung und anderen Gleichgesi­nnten – auch das ein Zeichen aus Chemnitz. In einem Jahr wird in Sachsen, aber auch in Thüringen und Brandenbur­g gewählt. Die Rechtspopu­listen fühlen sich im Aufwind und sind Beobachter­n zufolge in Chemnitz deutlich in der Überzahl – die Polizei spricht von 8000 rechten Demonstran­ten.

Die Gegendemo „Herz statt Hetze“wollte freilich ein ganz anderes Signal setzen. „Wer sich wiederholt rechten Hetzern anschließt, die bewusst den Tod eines Menschen für Hetze missbrauch­en und den Hitlergruß zeigen, der macht sich mit ihnen gemein und der stärkt die rechte Szene“, warnt Oberbürger­meisterin Ludwig. Rückendeck­ung bekommen die Demonstran­ten am Samstag von zahlreiche­n Bundesund Landespoli­tikern. Mecklenbur­g-Vorpommern­s SPD-Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig sagt, es müssten die unterstütz­t werden, die sich „jeden Tag gegen Hass, Hetze und Gewalt“stellen. GrünenChef­in Annalena Baerbock betont, diejenigen, „die sich den Rechten widersetze­n, sind die Mehrheit in diesem Land“.

Die Polizei ist am Samstag im Großeinsat­z. Alle verfügbare­n Kräfte von Bund und Ländern wurden in Chemnitz zusammenge­zogen. Insgesamt sind 2000 Beamte mit Wasserwerf­ern und teils gepanzerte­n Fahrzeugen vor Ort und versuchen, beide Lager voneinande­r zu trennen. Die Stimmung ist angespannt. Immer wieder versuchen Anhänger, zur jeweiligen Gegenseite durchzubre­chen. Am Abend bilanziert die Polizei 18 Verletzte. Abseits der Demonstrat­ionen wurde ein 20-jähriger Afghane von vier Vermummten geschlagen und verletzt.

Auch Journalist­en wurden nicht nur als „Lügenpress­e“angeschrie­n, sondern mehrfach auch tätlich angegriffe­n, wie verschiede­ne betroffene Medien berichtete­n, darunter das

ZDF, T-Online und der MDR. Die Chemnitzer Polizei geht der Anzeige eines MDR-Teams nach, wonach ein Reporter eine Treppe hinunterge­stoßen wurde, als das Team von einem Haus aus die Vorgänge filmen wollte. Ermittelt wird auch im Fall einer Attacke auf eine Gruppe der SPD, die auf dem Weg zu ihrem Bus von Rechtsradi­kalen angegriffe­n worden sei. Die Polizei habe schnell eingegriff­en und die Gruppe zum Bus begleitet.

Andrea Hentschel, afp

 ??  ?? Dem Aufruf der Demonstrat­ion „Herz statt Hetze“folgten in Chemnitz 3000 Menschen, dem Protestmar­sch von AfD, Pegida und anderer rechter Organisati­onen über 8000. Die Polizei trennte beide Seiten mit einem Großaufgeb­ot.
Dem Aufruf der Demonstrat­ion „Herz statt Hetze“folgten in Chemnitz 3000 Menschen, dem Protestmar­sch von AfD, Pegida und anderer rechter Organisati­onen über 8000. Die Polizei trennte beide Seiten mit einem Großaufgeb­ot.
 ?? Fotos: dpa ??
Fotos: dpa
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany