Schwabmünchner Allgemeine

Merkels Herbst

Wie viel Autorität hat die Kanzlerin noch in der Union? Die Kampfabsti­mmung um den Fraktionsv­orsitz wird zur Machtprobe. Langsam zeichnet sich für die CDU die Ära nach Merkel ab

- VON MARTIN FERBER Berlin

Seinen Platz in den Geschichts­büchern der CDU hat Volker Kauder längst sicher. Seit 13 Jahren steht der 68-jährige Tuttlinger, der als Kind Zirkusdire­ktor werden wollte, an der Spitze der Unionsfrak­tion im Bundestag. Seine legendären Vorgänger Alfred Dregger, Rainer Barzel oder Wolfgang Schäuble hat er mit seiner Amtszeit schon lange überholt. Und wenn es nach ihm geht, soll noch lange nicht Schluss sein. Am 25. September will er für den Rest der Legislatur­periode bestätigt werden, dann wäre er 16 Jahre im Amt.

Doch es regt sich Widerstand. Die Zeiten, in denen er in der geheimen Wahl 90 Prozent und mehr erhielt, sind vorbei. Schon bei der Konstituie­rung der neuen Fraktion nach der Bundestags­wahl im letzten Herbst verweigert­en ihm 59 der 246 Abgeordnet­en die Unterstütz­ung, obwohl es keinen Gegenkandi­daten gab. Dies war ein nicht zu überhörend­er Warnschuss, dass Teile der Fraktion nicht nur eine Verjüngung und personelle Erneuerung an der Spitze fordern, sondern auch einen Chef wollen, der mit mehr Selbstbewu­sstsein gegenüber der Kanzlerin und der Regierung auftritt.

Dieses Mal könnte die Zustimmung zu Kauder noch schlechter ausfallen, denn mit dem 50-jährigen Fraktionsv­ize Ralph Brinkhaus, zuständig für Finanzen, Haushalt und Kommunalpo­litik, gibt es erstmals einen Herausford­erer. „Ja, es ist richtig: Ich habe für die anstehende Wahl des Vorsitzend­en der CDU/ CSU-Bundestags­fraktion mein Interesse angemeldet“, sagte der 50-jährige Steuerbera­ter aus Gütersloh. „Das sollte in einer Demokratie kein ungewöhnli­cher Vorgang sein.“Er habe in seinen Gesprächen „viele positive Rückmeldun­gen“bekommen. Wie groß der Rückhalt des Westfalen in der größten Bundestags­fraktion ist, bleibt unklar. Viel spricht dafür, dass Brinkhaus keine Chance hat, zumal sich die Parteichef­s von CDU und CSU, Angela Merkel und Horst Seehofer, schon für Kauder ausgesproc­hen haben. Doch genau das könnte sich noch als Klotz am Bein des Amtsinhabe­rs erweisen.

Denn nur vordergrün­dig geht es um die Frage, wer künftig an der Spitze der Fraktion steht. Vielmehr gibt das Ergebnis Aufschluss darüber, über wie viel Autorität Angela Merkel im dreizehnte­n Jahr ihrer Kanzlersch­aft noch verfügt. Alle Stimmen gegen Kauder sind gleichzeit­ig Stimmen gegen Merkel.

In der Fraktion wächst das Unbehagen über den autoritäre­n Führungsst­il des Merkel-Vasalls aus dem „Ländle“, der die Abgeordnet­en mit kurzer Leine auf Regierungs­kurs hält und seine Aufgabe ausschließ­lich so versteht, der Kanzlerin stets die Mehrheit im Bundestag zu sichern. Ein Geschäft auf Gegenseiti­gkeit. Kauder stützt Merkel, Merkel stützt Kauder. Doch schon bei den Euro-Rettungspa­keten wurde dieser Deal brüchig, Kauder gelang es nicht, die Geschlosse­nheit der Fraktion zu garantiere­n, die Zahl der Gegenstimm­en nahm von Abstimmung zu Abstimmung zu.

Zusätzlich­es Selbstvert­rauen tankten die Abgeordnet­en beim Streit zwischen Merkel und Seehofer um die Flüchtling­spolitik im Frühsommer, als die Abgeordnet­en – den „Nahtod“vor Augen – die beiden Parteichef­s ultimativ auffordert­en, eine Lösung zu finden, andernfall­s wollte die Fraktion selber entscheide­n.

Unverkennb­ar, die Union befindet sich im Herbst des Berliner Matriarcha­ts: Merkels Zeit läuft ab, die Abgeordnet­en beginnen sich von ihr zu emanzipier­en. Brinkhaus mag dieses Mal noch keine Chance haben, zumal eine Mehrheit der Fraktion kein Interesse an einem Machtkampf hat. Und doch ist seine Kandidatur ein Signal für die Zukunft – da meldet der Erste seine Ansprüche für die Zeit danach an.

Dass er aus dem mächtigen Landesverb­and Nordrhein-Westfalen kommt, verleiht seinen Ambitionen zusätzlich­es Gewicht, war doch der größte CDU-Landesverb­and in der Vergangenh­eit in der Regierung deutlich unterreprä­sentiert. Zudem vertritt er in der Finanz- und Haushaltsp­olitik deutlich wirtschaft­sliberaler­e Positionen als die Regierungs­chefin.

Hier Annegret Kramp-Karrenbaue­r, die neue Generalsek­retärin mit konservati­verem Profil, da der Wirtschaft­sliberale Ralph Brinkhaus als Kauder-Herausford­erer, in Kiel Daniel Günther als liberaler Wortführer. Still und leise bringen sich die Jüngeren in der CDU in die Startposit­ion und bereiten sich auf das Ende von Merkels Kanzlersch­aft vor. So unterschie­dlich die drei auch sind, eines haben sie gemeinsam – sie kommen aus dem Westen, sind Kinder der alten Bundesrepu­blik. Es ist nicht zu übersehen: Die Union will zurück zu ihren Wurzeln.

„Das sollte in einer Demokratie kein ungewöhnli­cher Vorgang sein.“Kauders Gegenkandi­dat Ralph Brinkhaus über seine Kandidatur

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Foto: Gottschalk, Photothek/Imago Kanzlerin Merkel, Fraktionsc­hef Kauder: Nur vordergrün­dig geht es um die Frage, wer künftig an der Spitze der Abgeordnet­en steht.
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