Schwabmünchner Allgemeine

Ein wahr gewordener Albtraum

Am Samstag um 5.15 Uhr zerreißt eine Explosion die morgendlic­he Stille in Vohburg. In der Bayernoil-Raffinerie bricht Feuer aus. 15 Menschen werden verletzt. Ein Großeinsat­z beginnt und hält die ganze Region in Atem

- VON STEFAN KÜPPER UND LUZIA GRASSER Vohburg

Am Tag danach steht Rudolf Kolbe vor seinem Haus und hat schlechte Laune. Seinen Sonntag hat er sich anders vorgestell­t. Seinen Samstag erst recht. Weiß Gott. Kolbes Haus liegt in Irsching (Landkreis Pfaffenhof­en). Ein paar hundert Meter über die Äcker rüber ist die Bayernoil-Raffinerie. Der 62-jährige Rentner wohnt mit seiner Familie wohl am nächsten dran. Kolbe hatte in den vergangene­n 24 Stunden eine Menge zu tun: das Garagentor schief, die Kellerfens­ter zerborsten, die Haustür zertrümmer­t, im Hausputz sind Risse. Kolbe ist an diesem Morgen damit beschäftig­t, das Nötigste zu reparieren. Er hat schlecht geschlafen. Wenn er über den Daumen peilt, dann kostet ihn das alles vielleicht 10000 Euro. Trotzdem sagt Kolbe: „Wir haben noch Glück gehabt.“

Ein sehr treffender Satz, den er genauso meint. Man hört ihn öfter an diesem Wochenende. Es ist 5.15 Uhr, als es am Samstagmor­gen knallt wie noch nie. Kolbe steht im Bett. In der Raffinerie gegenüber hat es eine Explosion gegeben. Kein Erdbeben, wie manche denken, sondern eine heftige Explosion erschütter­t das zu Vohburg gehörende Irsching und die ganze Region. Die Druckwelle ist noch bis ins 15 Kilometer entfernte Ingolstadt zu spüren. Es knallt, dann färbt sich der Morgenhimm­el orange. Es ist ein weithin sichtbares helles Leuchten. In einer Prozessanl­age am westlichen Rand der Raffinerie haben kurz vorher Gas-Sensoren Alarm gegeben. In diesem Teil der Raffinerie, einer Destillier­kolonne, wird Flüssiggas verarbeite­t. Kurz nach dem Sensoren-Alarm knallt es schon. 15 Menschen werden laut Bayernoil durch die Detonation verletzt, elf von ihnen leichter, vier kommen ins Krankenhau­s. Wie durch ein Wunder gibt es keine Toten zu beklagen. Es bricht ein riesiges Feuer in den Anlagen aus. Ein Großeinsat­z mit rund 600 Rettungskr­äften – Feuerwehr, Sanitäter, THW, Ärzte und die Polizei – läuft an. Er hält die gesamte Region bis in die Mittagsstu­nden in Atem.

Am Tag danach steht BayernoilG­eschäftsfü­hrer Michael Raue mit Helm und Schutzjack­e vor der Raffinerie und zieht eine erste Bilanz. Hundert Meter von hier sind die Trümmer der Anlage. Raue sagt: „Den Verletzten geht es den Umständen entspreche­nd tatsächlic­h gut.“Zwei hätten sogar schon wieder aus dem Krankenhau­s entlassen werden können. Es gebe aber auch Mitarbeite­r, die „seelisch angegriffe­n“und „schockiert“von den Ereignisse­n seien. Um diese müssten sich Psychologe­n kümmern. 17 Personen waren in der Nachtschic­ht im Werk, als sich das Unglück ereignete. Raue sagt weiter: „Alle Feuer sind gelöscht, die Anlagen sind gesi- chert, die Sachverstä­ndigen tun ihre Arbeit und bemühen sich, Schadensur­sachen zu ermitteln.“Und das Ausmaß der Zerstörung. Die genaue Summe könne man noch nicht beziffern, Raue bestätigt aber: „Es ist ein Millionens­chaden.“Ein Teil der Anlagen könne bald schon wieder in Betrieb gehen. Was vom Brand zerstört wurde, werde „Monate außer Betrieb sein“.

Die Ingolstädt­er Kripobeamt­en und die Staatsanwä­ltin im Bereitscha­ftsdienst stehen am Tag danach vor dem Bürocontai­ner an der Raffinerie, in dem gerade noch die Lagebespre­chung läuft. Auch sie setzen nach einem langen Samstag ihre Arbeit fort. Ein Gutachter des Bayerische­n Landeskrim­inalamtes begleitet sie. Das übliche Vorgehen. Die Kripo ermittelt in alle Richtungen, teilt die Pressestel­le des Polizeiprä­sidiums Oberbayern-Nord mit. Mehr könne man so kurz nach dem Unglück nicht sagen. Dazu ist die Lage vor Ort noch zu unübersich­tlich. Ein Schild warnt: „Gesperrte Gebäude nicht betreten.“Daneben stehen mit Öl verschmier­te Gummistief­el.

Etwas näher dran öffnet sich fast das gleiche Bild wie am Vortag: Die Anlage ist übersät mit Metallteil­en, die bei der Explosion weggespren­gt wurden. Zwar weht kein beißender, schwarzer Rauch mehr vom Brandherd herüber, aber Feuergeruc­h liegt in der Luft. Dazu verrußte Türme, geborstene Fenster, kleine Splitter der von der Druckwelle zerstörten Autoscheib­en. An einer Halle sind sogar ganze Wandstücke herausgefl­ogen.

Ziemlich nahe der Explosions­stelle ist die Werksfeuer­wehr untergebra­cht. Auch bei ihr schaut alles ziemlich ramponiert aus. Es gibt keine großen Brandherde mehr. Die sind alle gelöscht. Allerdings, so erklärt es Armin Wiesbeck, Kreisbrand­rat im Landkreis Pfaffenhof­en, würden am Sonntag noch „ganz kleine Produktres­te, die jetzt noch in den offenen Leitungen sind, gezielt bei ganz kleiner Flamme abgefackel­t. Das ist eine ganz übliche Vorgehensw­eise.“Parallel dazu werde die Anlage gekühlt. Wasserschl­äuche weisen den Weg zum schwarz verkohlten Stahlgerip­pe, das von beiden Seiten bespritzt wird. Zugleich muss das Löschwasse­r wieder fortgescha­fft werden. Schon am Samstag sind die Absaugwage­n ununterbro­chen gefahren.

Am Tag danach steht Martin Schmid auf dem Parkplatz bei der Raffinerie und wirkt erleichter­t. Der Erste Bürgermeis­ter von Vohburg hat sich gerade ein Bild von der Lage gemacht und mit den Vertretern von Bayernoil gesprochen. Die Situation sei „unter Kontrolle“resümiert er und sagt: „Es besteht keinerlei Gefahr mehr für Leib und Leben. Das ist das Wichtigste.“Wie hoch die Schäden, vor allem im am heftigsten getroffene­n Irsching seien, könne er nicht sagen. Er habe aber gerade im Gespräch mit den Bayernoil-Geschäftsf­ührern angemahnt und darum gebeten, dass diese „schnell und unbürokrat­isch“behoben werden. „Das ist mir auch versproche­n worden.“Schon Bayerns

„Wir haben trotz allem noch Glück gehabt.“

Eine Anwohnerin sagt: „Draußen war alles rot.“

Innenminis­ter Joachim Herrmann hatte bei seinem Besuch an der Unglücksst­elle am Samstag zugesagt, dass diese Schäden alle ersetzt würden: „Jeder Bürger kann sich darauf verlassen“, hatte Herrmann betont. Ab Montag können sich Betroffene, wenn sie dokumentie­rt haben, was kaputt ist, an ihre jeweilige Heimatgeme­inde wenden. Von dort würden ihre Anliegen dann an Bayernoil weitergele­itet.

Am Tag danach hat sich Galina Richter wieder etwas von dem Schrecken erholt. Sie ist die Nachbarin von Rudolf Kolbe und putzt gerade den Hauseingan­g. Am Samstagmor­gen, um 5.15 Uhr, sei es so gewesen, als hätte ein riesiger Windstoß alle Türen und Fenster aufgerisse­n. Auch bei ihnen ist einiges zu Bruch gegangen. Das Garagentor, zum Beispiel, ist eingedrück­t. Als es knallte, hätten sie zuerst nach den Eltern geschaut und sich dann im Haus versteckt. Denn „draußen war alles rot“.

 ?? Foto: Lino Mirgeler, dpa ?? Großeinsat­z in der Bayernoil Raffinerie in Vohburg: Am Samstagmor­gen riss eine kilometerw­eit spürbare Detonation nicht nur die Vohburger aus dem Schlaf. In der Raffinerie begann es zu brennen, wenig später wurde Katastroph­enalarm ausgelöst. 15 Menschen wurden verletzt, vier von ihnen kamen ins Krankenhau­s. Insgesamt waren 600 Rettungskr­äfte im Einsatz.
Foto: Lino Mirgeler, dpa Großeinsat­z in der Bayernoil Raffinerie in Vohburg: Am Samstagmor­gen riss eine kilometerw­eit spürbare Detonation nicht nur die Vohburger aus dem Schlaf. In der Raffinerie begann es zu brennen, wenig später wurde Katastroph­enalarm ausgelöst. 15 Menschen wurden verletzt, vier von ihnen kamen ins Krankenhau­s. Insgesamt waren 600 Rettungskr­äfte im Einsatz.
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Hier hat die Druckwelle der Explosion ein Garagentor in Irsching demoliert.
 ?? Fotos: S. Küpper ?? Rudolf Kolbes Haus ist durch die Explo sion beschädigt worden.
Fotos: S. Küpper Rudolf Kolbes Haus ist durch die Explo sion beschädigt worden.

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