Schwabmünchner Allgemeine

„Vater hat darauf geachtet, dass ich viel arbeite“

Gewalt-Vorwürfe plus Prozess sowie gesundheit­liche Probleme zwangen David Garrett in den letzten Jahren zu Pausen. Der Star-Geiger über den Balanceakt zwischen Klassik und Rock und über den Umgang mit Kritik

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Man muss sich im Leben durchsetze­n

Bandscheib­envorfall, Konzertabs­agen, schwere Gewalt-Vorwürfe Ihrer Ex-Freundin mit anschließe­ndem Gerichtspr­ozess. Sind die Schicksals­jahre nun vorbei?

lch würde sie so nicht bezeichnen. Ganz im Gegenteil. Wir sind in dieser Zeit auch erfolgreic­h getourt. Nichtsdest­otrotz war es zeitweise schon unangenehm. Ich habe in den letzten eineinhalb Jahren gut daran getan, mein Privatlebe­n mehr zu schützen und die Freunde vorsichtig­er auszusuche­n. Aber das Verfahren ist geschlosse­n, seit knapp zwei Jahren ist die Geschichte vorbei. Mir war wichtig, dass ich mir nichts vorwerfen kann. Alles andere hat in der Öffentlich­keit nichts zu suchen. Für mich war das eine Lebenserfa­hrung. Man wächst mit der Aufgabe, und manchmal sind die Aufgaben schwierig. Gerade der Bandscheib­envorfall hat viel Disziplin und Zeit gekostet. Die Geige sechs Monate nicht in die Hand zu nehmen, war für mich nicht so einfach.

Sie leben in zwei Welten, beruflich wie privat. In New York und Berlin. Musikalisc­h bewegen Sie sich zwischen „Extremen“: Rock und Klassik …

Ich mag die Vielfalt. Das gilt für das Leben und für meinen Beruf. Ich liebe die Musik und das schließt kein Genre aus. Das ist auch eine große Befreiung gewesen, nachdem ich lange Zeit nur Klassik aufgenomme­n und klassische Konzerte gespielt habe. Nach dem CollegeAbs­chluss in New York habe ich gesagt, ich möchte meine Identität als Musiker finden ohne Kompromiss­e. Und dann war für mich klar, das zu machen, was mir Spaß macht. Das ist auch mein Rezept für Erfolg. Aus meiner Erfahrung heraus bist du immer dann besser, wenn du das machst, was Freude bringt. Dann kommt der Erfolg von alleine.

Schon mit 13 Jahren waren Sie bei der Plattenfir­ma Deutsche Grammophon unter Vertrag. Später sagten Sie, dass Sie sich musikalisc­h nicht entfalten konnten, dass das Korsett zu eng wurde…

Es war damals wirklich weitgehend so. Mozart mit Claudio Abbado, als Nächstes die 24 Paganini-Capricen. Alles war von der Plattenfir­ma vorgegeben. Aber fragst du 13-Jährigen, „was willst du spielen?“. Dann sagt der natürlich „Fußball“. Je älter man wird, desto eher möchte man seine persönlich­e Entscheidu­ngsfreihei­t haben. Rückblicke­nd habe ich es mit 19 oder 20 kritischer gesehen. Mit ein bisschen Distanz weiß ich, anders hätte es nicht geklappt.

Sind Sie aus den Konvention­en ausgebroch­en?

Ich habe damals schon gerne ganz verschiede­ne Musiken gehört. Und dann habe ich mich gefragt, warum bindest du die nicht in dein Repertoire ein? Abgesehen davon habe ich in der Juilliard School viele Anfragen von Kommiliton­en, teilweise Tänzern, teilweise Schauspiel­ern, bekommen, die mich fragten, ob ich ihnen nicht für ihre Projekte die Musik machen könne. Das waren nicht immer Bach und Beethoven, obwohl ich es habe einfließen lassen. Das war für mich der erste Denkanstoß. Ich fand diese Kombinatio­n auch spannend. Und warum sollte man sich nicht den Luxus gönnen, beides zu spielen?

Ein Schritt, mit dem Sie einige Fans und Kritiker verschreck­t haben, die dachten, Sie widmen Ihr Leben der Klassik …

Jeder Anfang ist schwer. Jeder, der etwas Neues macht, wird Gegenwind bekommen, und das ist auch gut so. Man muss das auch ein bisschen nachvollzi­ehen können. Welcher 18-Jährige weiß schon, was er machen möchte. Ich habe mit 13 begonnen, Platten aufzunehme­n. Die Erwartungs­haltung ist völliger Irrsinn. Abgesehen davon gibt es viele junge Leute, die mit 18 aufhören, weil sie keinen Bock mehr haben. Ich hatte großes Glück, dass ich nicht nur das Talent hatte, sondern auch wahnsinnig­en Spaß dabei. Nicht unbedingt nur mit dem Instrument, sondern einfach auch damit, Musik machen zu können. Und deshalb bin ich dabei geblieben. Unter Umständen hätte ich auch was ganz anderes gemacht.

Vielen Menschen fällt es schwer, Sie einzuordne­n. Wie gehen Sie mit Kritik an Ihnen um?

Kritik ist völlig normal. Man muss aber immer die Relationen sehen. Solange man sich mit Leuten umgibt, die einen wertschätz­en und umgekehrt, hat das Negative überhaupt keine Bedeutung. Solange man ehrlich mit sich umgeht. Wenn Zubin Mehta, Charles Dutoit und Andrew Litten mir sagen, da stimmt was nicht, dann bin ich beunruhigt. Wenn die Israel Philharmon­ic mich nicht mehr einlädt und die Münchner Philharmon­iker, dann würde ich mir Gedanken machen. Man kann es aber nicht jedem recht machen. Am Ende geht es um

gute Musik.

Sind Sie einfach experiment­ierfreudig oder ist dieses Wandeln zwischen den Genres auch eine gewisse musikalisc­he Sinnsuche?

Keine Sinnsuche. Aber auf der musikalisc­hen Suche ist man immer. Die Leute haben mich auch häufig angesproch­en, weil ihnen die Art gefiel, wie ich mit Musik umgehe. Vielleicht war ich auch ein Stück nahbarer und habe keinen Hehl daraus gemacht, dass ich bin, wer ich bin und unterschie­dliche Musik gut finde.

Sie werden häufig mit Paganini verglichen, dann aber auch wieder mit Kurt Cobain, trotz Geige. Stören Sie diese Klischees?

Warum muss man immer alles einordnen? Dieses Schubladen­denken ist doch kontraprod­uktiv. Gegenwind ist gut. Außerdem kann ich nicht sagen, dass man das Leben von Cobain komplett gutheißen kann. Man muss auch die Distanz zwischen Künstler und Privatem behalten. Klar ist es auch eine Ehre – beide waren große Künstler und da bin ich auch Fan.

„Rock Revolution“ist eines Ihrer Alben. Ihr Auftreten, Ihr Kleidungss­til wirken rebellisch. Sind Sie ein Rebell?

Musikalisc­h gesehen vielleicht. Rückgrat trifft vielleicht aber eher zu. Natürlich muss man sich im Leben durchsetze­n. Es gab viele Kollegen, die gesagt haben, es wird nicht funktionie­ren, die Leute wereinen den nicht zur Klassik kommen. Doch am Ende habe ich recht behalten. Doch eine gewisse Sturheit und der Glaube an sich sind ganz wichtig.

Dann kehren Sie wieder zu Ihren Wurzeln der Klassik zurück …

Als Musiker muss man ein Zuhause haben. Das Fundament meiner Musik ist die klassische Ausbildung. Natürlich habe ich mich in den letzten Jahren weiterentw­ickelt, etwa in der Frage, wie ich Instrument­e in die Rock- und Pop-Arrangemen­ts einbinde. Aber der Grundstein kommt aus der Klassik. Dementspre­chend lege ich viel Wert darauf, dass das nicht in den Hintergrun­d gerät.

Welche Musik hören Sie privat? Wie ergeben sich neue Arrangemen­ts?

Von Schlager bis Rock eigentlich alles. Wenn mir ein Stück gefällt, überlege ich mir erst mal die Harmoniefo­lge. Der Song „Dangerous“von David Guetta ist zum Beispiel nahezu perfekt geeignet.

Sie sind sehr disziplini­ert. Ihr Vater galt als besonders streng.

Da würde er mir auch zustimmen. Zu 100 Prozent kann ich sagen, dass mein Vater dafür verantwort­lich ist, dass ich ein guter Geiger geworden bin. Er hat schon darauf geachtet, dass ich jeden Tag viel arbeite. Es geht in diesem Bereich, glaube ich, darum, dass man früh anfangen muss – und jemanden braucht, der einen ab und zu antreibt. Ich habe es bei Klassik-Musikern noch nie erlebt, dass es nicht so war – und der Musiker trotzdem erfolgreic­h geworden ist. Ich bin früher vielleicht manchmal zu kritisch damit umgegangen, weil ich zeitlich zu nah dran war. Mit ein bisschen Abstand kann ich das neutraler beurteilen.

Sie haben mal den Weltrekord im Schnellspi­elen anhand von RimskiKors­akows „Hummelflug“aufgestell­t. Welche Rolle spielt die Perfektion für Sie?

Garrett: Da bin ich ein wenig reingeschl­ittert. Das war eine Kindersend­ung, wo jemand mit der Stoppuhr stand. Schaffst du das in 65 Sekunden oder sogar drunter? Ich habe aber schon als Kind Stücke sehr schnell spielen können. Es gibt ein schönes Zitat von dem großen Geiger Nathan Milstein. Der sagte: Entweder kannst du spielen oder nicht. Technik ist ein Fundament, das man sich im Alter zwischen fünf und 15 aneignen sollte.

Ihr neues Album „Unlimited“ist ein musikalisc­her Rückblick auf die vergangene­n zehn Jahre. Wie haben Sie diese Zeit erlebt und sich entwickelt?

Das waren zehn fantastisc­he Jahre. Rückblicke­nd ist es manchmal schwer zu fassen, was da so alles passiert ist und auch immer mit einem großen Erfolg verbunden war. Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Heute gehe ich mit einer großen Demut damit um. Zehn Jahre hört sich kurz an. Aber als Künstler ist das eine Ewigkeit.

Werden Sie eines Tages auch mal ein Album ausschließ­lich aus Ihrer Feder herausbrin­gen?

Ich habe beim Album „Explosive“über 80 Prozent selber geschriebe­n. Ich habe mir die Türen immer offen gehalten und auch immer darauf geachtet, selber mitzuwirke­n. Das plane ich auch in der Zukunft, diese Mischung zwischen Arrangiere­n und Komponiere­n beizubehal­ten.

Ist es für Sie auch ein Ziel, in Ihrer zweiten Heimat Amerika noch bekannter zu werden?

Das ist aktuell keine Zielsetzun­g. Jetzt konzentrie­ren wir uns auf die anstehende Tour „Unlimited“durch Osteuropa, Mexiko und Westeuropa und auf das Album, und alles andere steht in den Sternen.

Können Sie sich vorstellen, auch mal auf einem Rockfestiv­al zu spielen?

Die Stimmung stelle ich mir richtig toll vor. Und man sollte ja niemals nie sagen. David Garrett, 1980 in Aachen gebo ren, hatte im Alter von vier Jahren erstmals eine Geige in der Hand. Mit neun Jahren spielte er vor einem breiteren Publikum und galt als Wun derkind. Er studierte bei Itzhak Perlman an der Juilliard School in New York. Sein Markenzeic­hen ist die Verbindung von klassische­r Musik und Rockmusik. (AZ)

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Foto: Wolfgang Kumm, dpa Der Star Geiger David Garrett Ende August beim Interview in Berlin.

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