Schwabmünchner Allgemeine

Jörg Immendorff­s Bedeutung als Maler

Der Kunsthisto­riker Ulrich Wilmes spricht über den deutschen Künstler, der sich in seinen stärksten Bildern mit der Teilung des Landes auseinande­rsetzte. Auch diese Werke werden jetzt im Münchner Haus der Kunst zu sehen sein

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Herr Wilmes, bei Jörg Immendorff denken viele an Kokain und Prostituie­rte, man könnte auch sagen, an die verzweifel­ten Exzesse eines todkranken Mannes.

Das ist leider so, gehört aber auch zu seiner Lebensgesc­hichte. Außerdem war Immendorff nie mediensche­u und hat gerade mit dem Boulevard immer sehr gute Beziehunge­n gepflegt. Er durfte sich deshalb nicht wundern, dass seine Eskapaden so breitgetre­ten wurden.

Welchen Immendorff wird man im Haus der Kunst kennenlern­en?

Den ganzen! Die Motivation für die Ausstellun­g war ganz klar, Immendorff­s Bedeutung als Maler herauszust­ellen. In dieser ersten großen Retrospekt­ive seit seinem Tod 2007 zeigen wir Werke aus allen Phasen der Karriere: von den ganz frühen Akademiebi­ldern über die „Café Deutschlan­d“-Reihe und die großen Produktion­en fürs Theater bis zum Spätwerk, das ich persönlich für sehr interessan­t halte.

Diese Meinung teilen nicht viele.

Immendorff­s Spätwerk ist aber wichtig, denn es war beeinfluss­t von seiner Erkrankung und der Tatsache, dass er im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr selbst Hand anlegen konnte. Das Spätwerk ist sehr konzeptuel­l. Immendorff ließ seine Ideen von Mitarbeite­rn umsetzen.

Immendorff­s Gattin Oda Jaune spricht von acht Händen, die er statt der eigenen zwei bekommen habe.

Und hier wird es spannend. Donald Judd zum Beispiel hat keines seiner Objekte je selbst gemacht. Im Bereich der Skulptur ist das inzwi- schen ganz normal. Bildhauer und Installati­onskünstle­r dürfen ihre Arbeiten von Handwerker­n ausführen lassen. Deshalb will ich nicht einsehen, dass es einem Maler verboten sein soll, die Bilder seiner Gedankenwe­lt von anderen umsetzen zu lassen.

Dies ist doch in der Kunstgesch­ichte auch schon vor ihm vorgekomme­n, siehe Cranach. Auch wenn dieser selbst noch nachbesser­n konnte.

Wilmes: Immendorff wird sicher kein Werk autorisier­t haben, das nicht hundertpro­zentig seinen Vorstellun­gen entsproche­n hat. Für mich ist es völlig legitim, so zu arbeiten. Diese späten Bilder unterschei­den sich stilistisc­h vollkommen von den „selbstgema­lten“, es fehlt aber auch die politische Dimension. Dennoch war Immendorff bis zuletzt ein sehr politische­r Künstler, wobei für mich jeder Künstler qua Funktion ein politische­r Mensch ist. Natürlich hat sich Immendorff in jungen Jahren ganz explizit mit politische­n Themen befasst und im Laufe seiner Karriere dann eine jeweils andere Einstellun­g dazu gefunden. Die kann man tatsächlic­h an seiner Malerei ablesen.

Wie wichtig war sein Lehrer Joseph Beuys?

Die Beziehung ging über ein Lehrer-Schüler-Verhältnis weit hinaus. Immendorff empfand von Anfang an eine große Wertschätz­ung für Beuys, und umgekehrt hat der Lehrer den jungen Kollegen sehr unterstütz­t und übrigens auch die erste Galerie-Ausstellun­g in Düsseldorf vermittelt. Alfred Schmela wollte unbedingt Beuys ausstellen, doch der sagte nur unter der Bedin- gung zu, dass Immendorff zuerst gezeigt werde.

Diesen sehr wachen, widerborst­igen jungen Künstler hat gerade die deutsche Teilung beschäftig­t.

Die Teilung wurde damals viel diskutiert, wer sich politisch engagiert hat, war damit dauernd konfrontie­rt. Und auch im Werk Immendorff­s wurde das Thema im Laufe der 70er Jahre immer wichtiger. Dazu kommt 1976 der Besuch bei A. R. Penck in der DDR und die Freundscha­ft, die damals entstand. Mitte der 70er Jahre gab es ja auch eine starke Protestbew­egung unter den Künstlern der DDR; das hat unter anderem zur Ausbürgeru­ng von Wolf Biermann geführt. Mit all dem hat sich Immendorff intensiv beschäftig­t und schließlic­h in der Reihe „Café Deutschlan­d“die adäquate Bildsprach­e gefunden.

Wie sehen Sie dann die Wandlung vom Autoritäte­n ablehnende­n AgitpropMa­ler zum „Staatsküns­tler“, der den Kanzler in Gold verewigt?

Wilmes: Im Laufe von vier Jahrzehnte­n hat sich Immendorff­s Auffassung sicher auch verschoben. Wir alle durchlaufe­n solche Prozesse. Und wenn man Künstler ist, zumal in einer Gemeinscha­ft mit hoch gehandelte­n Kollegen, steigt der Wunsch, genauso erfolgreic­h zu sein. Immendorff hat seine politische­n Überzeugun­gen sicher nicht über Bord geworfen, seine Haltung ist eher dieselbe widerständ­ige geblieben – auch wenn er keine Agitprop-Bilder mehr gemalt hat.

Kommt Gerhard Schröder tatsächlic­h zur Eröffnung?

Wilmes: Ja, er war letztes Jahr schon einmal hier und hat uns seine Unterstütz­ung bei dieser Retrospekt­ive zugesicher­t. Er wollte auch sein Porträt aus dem Kanzleramt für die Ausstellun­g zur Verfügung stellen, aber nun haben wir es gar nicht dazugenomm­en.

Warum nicht?

Wilmes: Es hat nicht ins Konzept gepasst. Und es fällt ja auch aus dem Gesamtwerk heraus.

Immerhin ist es sehr ironisch.

Wir alle wissen um das enorme Selbstbewu­sstsein Gerhard Schröders. Ob das nun so weit geht, sich als römischer Imperator zu sehen, weiß ich nicht. Mit Sicherheit steckt da Ironie drin, und das würde für beide sprechen. Fast mehr noch für den Porträtier­ten.

der 1953 in Essen geborene Kunsthisto­riker, ist scheidende­r Chefkurato­r am Münch ner Haus der Kunst. Er ist verant wortlich für die dortige große Jörg Immendorff Retrospekt­ive, die mit rund 200 Werken am 14. September startet und bis zum 27. Januar 2019 läuft. (AZ)

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Foto: dpa Jörg Immendorff (links) mit Gerhard Schröder in dessen letzten Tagen als Bundes kanzler im Herbst 2005.
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