Schwabmünchner Allgemeine

Immer mehr VW Käufer ziehen vor Gericht

Der Dieselskan­dal beschäftig­t auch das Augsburger Landgerich­t. Dort gibt es inzwischen rund 250 offene Verfahren. Ende des Jahres verjähren zwar viele Ansprüche, die Gerichte rechnen aber mit weiteren Klagen

- VON JÖRG HEINZLE »Kommentar

Als Eishockeys­pieler hat Reinhold Bauer in den 1970er Jahren für den Augsburger Eislaufver­ein (AEV) und die Nationalma­nnschaft gekämpft. Auch gegen große Gegner. Vor dem Augsburger Landgerich­t kämpft er derzeit juristisch gegen ein anderes Schwergewi­cht. Bauer, 68, hat den Volkswagen-Konzern verklagt. Er fühlt sich betrogen, weil er ein Auto gekauft hat, das vom Diesel-Skandal betroffen ist. Deshalb will er den Kauf rückgängig machen. Reinhold Bauer sagt: „Ich bin enttäuscht. So was hätte ich einem deutschen Markenhers­teller niemals zugetraut.“

So wie Reinhold Bauer ziehen derzeit viele Volkswagen-Käufer, deren Fahrzeuge in der Abgas-Affäre eine Rolle spielen, vor Gericht. Am Augsburger Landgerich­t gibt es deshalb einen Rekordstan­d, was die entspreche­nden Klagen angeht. Rund 250 offene Verfahren seien derzeit anhängig, sagt Gerichtssp­recher Christoph Kern. Ende Februar waren es noch 150. Die meisten Klagen richten sich gegen VW. Es gibt aber auch einige Fälle, in denen Käufer der Marken Audi und Skoda eine Rückabwick­lung ihres Kaufvertra­gs erstreiten wollen. Auch in Fahrzeuge dieser VW-Tochtermar­ken wurden teils Dieselmoto­ren mit Betrugssof­tware eingebaut. Die Manipulati­ons-Technik sorgte dafür, dass die Autos auf dem Prüfstand bessere Abgaswerte hatten, als bei normalen Fahrten auf der Straße.

Die Klagewelle gegen VW hat einen Grund: Wer sich noch rechtlich wehren möchte, muss das bis Ende des Jahres in die Wege leiten. Denn dann könnten die Ansprüche der Käufer gegen den Hersteller verjähren. Der Grund: Die Rechtsspre­chung geht allgemein davon aus, dass die Verjährung drei Jahre nach Bekanntwer­den des Skandals eintritt. Nachdem der Fall im Jahr 2015 aufgedeckt wurde, ist der Stichtag demnach der 31. Dezember 2018.

Freiwillig entschädig­t Volkswagen die betroffene­n Diesel-Käufer in Deutschlan­d – anders als in den USA – bis jetzt nicht. Das ist auch die Erfahrung des Landsberge­r Jan Cordes. Er vertritt Reinhold Bauer in dem Rechtsstre­it. Wer vor Gericht zieht, bekommt von VW in vielen Fällen ein günstiges Angebot für den Kauf eines Neuwagens. In Augsburg sind schon einige Prozesse auf diese Weise vorzeitig beendet worden, ohne dass die Richter ein Urteil fällen mussten. Reinhold Bauer will sich auf solch einen Vergleich jedoch nicht einlassen. Er möchte nach der Enttäuschu­ng keinen Volkswagen mehr kaufen. Er pocht auf eine Rückabwick­lung des Kaufvertra­gs.

Damit wird der Kauf rückgängig gemacht. Er muss dann aber für die bisherige Nutzung des Autos einen Abschlag zahlen. Dass er mit seiner Klage gute Chancen hat, zeichnete sich bei einem Prozesster­min in dieser Woche bereits ab. Die zuständige Richterin sagte, es gebe in ver- Fällen bereits viele Urteile zugunsten des Autokäufer­s. Der Käufer sei demnach durch die Verwendung der „Schummelso­ftware“getäuscht worden.

Die Gerichte orientiere­n sich bei ihren Urteilen durchaus an bereits vorliegend­en Entscheidu­ngen. Sie müssen das aber nicht tun. Sammelklag­en, wie es sie zum Beispiel in den USA gibt, kennt das deutsche Recht bisher nicht. Jeder Kläger muss selbst tätig werden. Das ist auch für die Gerichte eine große Belastung.

Daran soll sich demnächst etwas ändern. Der Bundestag hat auch vor dem Hintergrun­d der Dieselaffä­re ein Gesetz verabschie­det, wonach ab November eine sogenannte Musterfest­stellungsk­lage möglich sein wird. Ein Verband, etwa die Verbrauche­rzentrale, kann dann stellRecht­sanwalts vertretend für betroffene Kunden gegen einen Hersteller klagen. Wer sich der Musterklag­e anschließe­n will, kann sich in ein Verzeichni­s eintragen und muss nicht selbst vor Gericht ziehen.

Bei den Gerichten verspricht man sich davon eine spürbare Entlastung. Denn je mehr Klagen sich stapeln, umso länger dauern die Verfahren. Das zeigen die Zahlen: Rund 20 Diesel-Verfahren wurden am Augsburg Landgerich­t in diesem Jahr erledigt. Zuletzt kamen aber jeden Monat neue Klagen in dieser Größenordn­ung hinzu. Rechtsanwa­lt Jan Cordes geht davon aus, dass der Dieselskan­dal die Gerichte auch in den nächsten Jahren noch beschäftig­en wird. Denn inzwischen sind auch Marken wie BMW und Mercedes ins Zwielicht geraten und haben teils Fahrzeuge zurückgeru­gleichbare­n fen, um neue Software zu installier­en. Weil diese Fälle erst deutlich später bekannt geworden sind, läuft die Verjährung hier auch noch nicht so schnell aus.

Eine Erfolgsgar­antie kann Anwalt Jan Cordes seinen Mandanten nicht geben. Denn die Gerichte urteilen nach wie vor sehr unterschie­dlich, sagt er.

Es scheint sich aber ein Trend zu Entscheidu­ngen zugunsten der Autokäufer abzuzeichn­en. Das legt auch eine Übersicht nahe, die der Automobilk­lub ADAC regelmäßig veröffentl­icht. Der Verband sammelt alle bekannt gewordenen Gerichtsen­tscheidung­en zum VW-Abgasskand­al. Der Zwischenst­and von Mitte August: Von insgesamt aufgeliste­ten 997 Gerichtsve­rfahren gingen 692 zugunsten der Autokäufer aus.

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Archivfoto: Silvio Wyszengrad Viele VW Fahrer klagen infolge des Dieselskan­dals vor Gericht gegen den Automobilk­onzern. Am Landgerich­t Augsburg sind derzeit 250 offene Verfahren anhängig, die sich auf den Dieselskan­dal beziehen.

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