Ein Ochse zum Reiten
Warum Toni dem Schlachthof entronnen ist und wie er auf einem Bio-Bauernhof bei Aletshausen zum Reitochsen wurde
Beim Thema Reiten denkt man doch an Pferde, seien es kluge Dressurpferde, gemütliche Haflinger oder rassige Araber. Bei Kindern recht beliebt sind auch die kleineren Ausgaben, die Ponys oder Esel, die auch zur Pferderasse zählen. Bliebe da noch ein Elefant, aber wer verfügt schon über so einen großen und schweren Vierbeiner. Eine ganz andere Art des Reitens gibt es seit einiger Zeit in Wasserberg, einem Ortsteil von Aletshausen, genauer gesagt auf dem Biohof von Josef und Andreas Liebhaber. Dort lebt unter weiteren Artgenossen der junge Ochse Toni mit den Fähigkeiten eines Reittieres, vorerst für Kinder und gutmütiger Begleiter bei Spaziergängen.
Wie kam es nun dazu, dass diese Tiergattung, früher als nützliche Helfer in der Landwirtschaft eingesetzt, zu solch einer Ausnahmeer- geworden ist? Antonie Dornmair aus Niederraunau verstand es schon seit frühester Jugend, mit Tieren umzugehen, ja sie besaß mit Hund, Katze, Hasen, Vögeln, Meerschweinchen und sogar einer Schildkröte fast einen Tierpark. In jüngster Vergangenheit widmete sie sich in besonderer Weise einem Dressurpferd und nahm erfolgreich auch an verschiedenen Turnieren teil. Leider musste der treue und vertraute Begleiter krankheitsbedingt eingeschläfert werden, sodass sie eine Möglichkeit suchte, sich einem anderen, möglichst ungewöhnlichem Tier zu widmen.
Bei ihrer Tochter auf dem Biohof Liebhaber wurde sie fündig und war das erste Mal bei der Geburt eines Kälbchens dabei, dem man deshalb den Namen „Toni“gab. Die Tierliebhaberin fühlte von Anfang an eine sonderbare Verbindung mit dem neuen Stallbewohner, obwohl sie sich in dieser „Branche“nicht auskannte. Das bestätigte sich, nachdem sich für Toni, anders als bei seinen männlichen Artgenossen, kein Käufer fand, der das junge Kalb zu Schlachtzwecken abnehmen wollte.
So fing die Namensgeberin mit ihrem Schützling an zu trainieren, führte ihn stundenlang auf den umliegenden Wiesen spazieren, um ihn mit der Natur vertraut zu machen und mit ihm Kontakt aufzunehmen. Wie reagiert das Tier, was will es? Das herauszufinden gelang Dornmair dank ihrer Fähigkeiten in der telepathischen Tierkommunikation. Diese Fähigkeiten eignete sie sich in zahlreichen Seminaren, unter andescheinung rem auch in Zürich bei einer Kuhtrainerin an und setzte sie, wie schon bei ihrem Pferd, in der Praxis ein. „Telepathische Tierkommunikation ist eine Sprache des Herzens und der Seele, ein völlig natürlicher Weg, sich geistig miteinander zu verständigen. Unsere Tiere wünschen sich oft nichts mehr, als sich uns Menschen mitteilen zu können“, so die grobe Umschreibung dieses Themas.
Anfangs war ihre Familie recht skeptisch über das Vorhaben. „Des wird nix, einen jungen Ochsen zum Reittier machen, das geht nicht,“so lauteten die Kommentare. Aber die Ausdauer der Trainerin zahlte sich aus, denn „Toni lief bald brav wie ein Hund neben mir, ohne dass ich ihn am Halfter festhalten musste“, berichtete Dornmair stolz. Inzwischen haben die beiden weitere Fortschritte gemacht, sodass Enkel Michael und andere Kinder problemlos unter Aufsicht auf Toni reiten können. Er versteht Kommandos wie „komm“zum Laufen oder „brrr“zum Halten.
Dabei verhält sich Toni nicht widerwillig, im Gegenteil, die ungewohnte „Tätigkeit“scheint ihm Spaß zu machen. Zwischendurch gibt es eine gelbe Rübe als Belohnung und nach der Reitstunde eine leckere Mahlzeit aus Rüben und Zwieback als Belohnung.
Um den Toni auch auf das Ziehen eines Wägelchens oder Schlittens vorzubereiten, erhielt Dornmair von Arnold Graf aus Niederraunau das nötige Geschirr und Erfahrungen vermittelt, wie man damit umgeht. Und siehe da, Toni zieht vorerst einen alten Traktorreifen gemütlich auf dem weitläufigen Hof. „Bis hierher war es schon ein langer und mit viel Geduld verbundener Prozess“, sagt Dornmair. „Man muß immer im Einvernehmen mit dem Tier sein.“
Die Trainerin und ihr Toni sind jetzt ein eingespieltes Team und mit zunehmenden Alter – die Knochen und der Körperaufbau müssen noch stabiler werden – ist sich Dornmair sicher, können auch die „Großen“auf dem Toni reiten. In der Herde seiner Artgenossen wird Toni gut aufgenommen, aber beim Säubern des Stalles sucht nur er die Nähe des Arbeiters und will gerne „Schmusen“, ein Zeichen, dass er doch ein wenig anders ist. Nicht nur über ihre bisherigen Erfolge freut sich Dornmair, sondern auch darüber, dass sie auf diese Weise Toni vor dem Schlachthof gerettet hat.
Als ihr Dressurpferd eingeschläfert wurde, suchte die Tierfreundin eine neue Aufgabe