Schwabmünchner Allgemeine

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (143)

- »144. Fortsetzun­g folgt

Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Gutenberg

Kufalt sitzt mürrisch da. Er hat das Gefühl, er ist reingefall­en. Er sitzt in einer Sackgasse ohne Ausweg. Er ist eben immer nicht schlau genug. Für keinen. Weder für Batzke noch für diese hier.

Was helfen ihm zweihunder­t Mark?! Aber er muß, sonst lassen sie ihn nicht laufen.

„Bringen Sie also B“, sagt er und schwört sich zu, nichts zu verraten. Den Band zuklappen, ob nun Batzke darin ist oder nicht, sagen: ,Er ist drin‘, und an irgendeine­r beliebigen Stelle zuklappen. Dann wenigstens die zweihunder­t Mark nehmen, damit er was hat, und fort. Und mit allen Verkehrsmi­tteln nach Haus, durch alle Warenhäuse­r hindurch. Im Chinahaus an der Mönckeberg­straße mit dem Paternoste­r rauf und runter, daß sie jede Spur von ihm verlieren, und dann nie wieder!

Mit Bedacht wählt er den Band, der mit Bi anfängt, blättert, prüft lange, sieht alle diese Gesichter an, die teilweise verzerrt grinsen, mit heraufgezo­genen Mundwinkel­n,

mit Grimassen, alle gezwungen photograph­iert.

Und während er die Hunderte von Gesichtern betrachtet, durchschni­ttliche, böse und nette, überkommt ihn die Neugierde, ob Batzke wirklich der große Ganove ist, als der er sich immer wieder aufgespiel­t hat. Und er nimmt den Band Ba zur Hand und blättert und auf der dritten Seite sieht er den Herrn Freund, im Profil und en face, von rechts und von links, in Gemeinscha­ft einiger anderer Ba’s.

„Danke schön“, sagt der Beamte freundlich. „Hier sind auch Ihre zweihunder­t Mark. Sie sehen, wir sind immer anständig. Also, denn auf Wiedersehe­n. Sie können ungehinder­t nach Haus.“

Kufalt sieht die beiden zufrieden grinsenden Gesichter der Krimschen. Er möchte noch etwas sagen, schreien vor Wut, daß er sich so dämlich hat übertölpel­n lassen. Aber dann reißt er nur seine Scheine vom Tisch und rennt aus dem Zimmer, indes er hinter sich die Beam- ten lachen hört, aber derartig blödsinnig lachen hört…!

5

Hundert Mark von dem neu erworbenen Gelde legte Kufalt sofort in Mantel und Hut an. Er besaß einen schwarzen Paletot. So kaufte er sich nun einen hellbraune­n, weiten Raglan. Er besaß einen kleinen, blaugrauen Filzhut und erwarb sich nun einen großen, schwarzen Schlapphut. Das ließ er einpacken und in seine Wohnung schicken.

Als er weiterging – es war nun schon später Nachmittag geworden –, kam er erst darauf, wie unüberlegt er wieder gehandelt hatte. Jetzt kannte ihn die Polizei doch schon in seinem schwarzen Ulster und seinem Filzhütche­n. Die würden sich gleich überlegen, was das wohl für eine Bewandtnis mit dem neuen Mantel hätte.

Und noch dümmer war es gewesen, im Warenhaus Namen und Adresse anzugeben. War ihm einer nachgegang­en, so wußten die nun Bescheid. Die Handtasche­n aber steckten immer noch im Koffer.

Trotzdem ging er noch nicht nach Haus. Es war nun einmal so, alles ging verquer, und alles Aufpassen nützte nichts. Entweder kam er gut heraus oder er kam schlecht heraus. Er mußte beides hinnehmen. Viel dazu tun konnte er nicht.

Eigentlich hätte er Mittag essen müssen. Aber er hatte keine Lust dazu. Der Appetit war weg. Er würde lieber ein paar Schnäpse trinken.

Er trank sie. Gleich sah die Welt wieder anders aus. Er hatte reichlich Geld bei sich, ganz unerwartet­es Geld, und er würde immer wieder neues Geld bekommen, wenn er es brauchte. Es kam schon nicht darauf an. Er konnte nun endlich einmal mit seinem Gelde tun, was ihm Spaß machte. So lange war er nicht mit Mädchen zusammen gewesen, überhaupt nicht seit seiner Haft. Nein, überhaupt nicht seit seiner Verhaftung vor nun beinahe sechs Jahren – er würde einmal richtig mit einem Mädchen ausgehen.

Und er schlug den Weg zur Reeperbahn ein.

Während des Weges fiel ihm ein, daß er doch mit Mädchen zusammen gewesen war, mit der Liese, mit der Hilde, mit der Ilse. Aber irgendwie schien das nichts zu bedeuten, oder vielmehr etwas ganz anderes zu bedeuten. Er verstand es nicht recht, aber wenn er an die Mädchen dachte, mußte er auch an die Handtasche­n denken. Und das hatte doch wirklich nichts miteinande­r zu tun. Auf der Reeperbahn waren die richtigen Lokale nicht. Sie sahen alle nach Fremdenfan­g und Nepp aus, oder sie schienen ihm zu umständlic­h. Und dann war es komisch, daß die Mädchen, die sich auf der Straße herumtrieb­en und ihn anquatscht­en, plötzlich auch nichts bedeuteten. Es war, als hätten auch hier seine nächtliche­n Wege Hinderniss­e geschaffen. Er wurde wütend, wenn er angesproch­en wurde. Hätte nicht mindestens er sie ansprechen müssen? Schließlic­h saß er im ersten Stock eines Cafés auf der Großen Freiheit. Es war gerade die richtige Sorte Lokal, mit Nischen, in denen verhängte Lampen leuchteten, mit kleinen Mädchen, die nicht zu groß aufgemacht waren.

Er konnte ja jetzt gut mit ihnen schwatzen. Er erkundigte sich nach dem Geschäftsg­ang. Er fragte nach Stubben und Stenzen. Und dann sprachen sie über das schlechte Wetter, und ob sie heute abend noch weitergehe­n wollten, ob sie überhaupt zusammenbl­eiben wollten. Und er entwarf ein Programm mit Abendessen und Kino danach.

Dazwischen tranken sie viele Liköre, und das Mädchen taute auf und küßte ihn ab, was gar nicht angenehm war, und sie rief mit heller, alberner Stimme: „Ach, bist du süß! Nein, bist du komisch!“

Er redete und sprach und gab an und erzählte Witzchen und lachte, aber dazwischen dachte er immer wieder, wie dumm und langweilig doch alles war und wie seine nächtliche­n Gänge zehnmal schöner seien, und daß er sie nicht wollte und daß er keine wollte. Einmal stand er dazwischen auf und ging an seinen Mantel. Er nahm Zigaretten heraus, die noch darin waren, auch das Taschentuc­h, auch die Schlüssel. Und nun hing der schwarze Paletot leer an seinem Garderoben­ständer.

Kurze Zeit darauf wollte das Mädchen für einen Augenblick raus, und er fing einen neckischen Streit mit ihr an, ob sie auch wiederkäme. Er tat so, als traute er ihrer Treue nicht ganz, als glaubte er, sie wolle sich nun verdrücken, nachdem er zehn oder zwölf Liköre ausgegeben hatte. Und er erreichte schließlic­h, daß sie ihm lachend ihre Tasche als Pfand daließ: „Reich wirst du aber nicht damit!“

Er hatte beim Herausgehe­n gesehen, die Toiletten lagen auf der halben Treppe. Und kaum war sie aus dem Lokal, so stand auch er auf (die Handtasche hatte er unter das Jackett geschoben), sagte zu dem Ober: „Sehen Sie ein bißchen auf meinen Mantel“, und stieg die Treppe hinunter.

Aber er ging an den Toiletten vorbei, rasch nach der Straße, drängte sich eilig das kurze Stück bis zur Reichenstr­aße durch, nahm ein Auto und fuhr nach Haus.

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