Schwabmünchner Allgemeine

„Wer klug ist, lässt sich belehren“

Der Schriftste­ller Alexander von Schönburg fordert dazu auf, alte Tugenden wieder neu zu entdecken. Und wirbt für lässigen Anstand und Heldentum im Alltag

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Wir leben in einem Zeitalter der Beliebigke­it und Selbstsuch­t, eine Allesokay-Welt, in der alles erlaubt ist und der Respekt und der Anstand verloren gegangen sind. Und das geht jedem halbwegs vernünftig­en Mensch auf den Wecker. So schreiben Sie es in Ihrem neuen Buch „Die Kunst des lässigen Anstands“. Können Sie ein Beispiel nennen: Was ist Ihnen in den letzten Tagen auf den Wecker gegangen? Alexander von Schönburg: Im Flugzeug gestern. Nach der Landung. Da will jeder so schnell wie möglich rauskommen und keiner wartet oder schaut nach rechts oder links, ob er vielleicht beim Gepäck helfen kann. Das ist einerseits eine banale Beobachtun­g, ich glaube aber, dass man den Verfall des Miteinande­rs im Kleinen wie im Großen überall bemerken kann. Und das fängt im Kleinen an, dass Leute Kaugummipa­piere oder anderen Müll einfach auf die Straße werfen, und geht im Großen weiter, wenn Konzerne Müll in den Ozean schütten. Dieser zivilisato­rische Verfall hat in meinen Augen tatsächlic­h bedrohlich­e Ausmaße angenommen. Wir steuern nach Ihrer Ansicht auf den Untergang zu. Ist das nicht doch sehr zugespitzt formuliert, wo es vermeintli­ch doch vor allem um den Umgang miteinande­r geht? Schönburg: Mir geht es ja um Tugenden und nicht nur um Umgangsfor­men. Und Umgangsfor­men sind immer nur ein sichtbares Zeichen von oft unsichtbar­en, zeitlosere­n Werten. Die Frage ist doch, ob in einem Zeitalter, in dem wir alles, was altmodisch war, alles, was nach Tradition roch, aus dem Fenster geschmisse­n haben, und in einer Zeit eines rasanten Wandels unserer Lebenswirk­lichkeit, ob es in so einer Zeit nicht wichtig ist, kurz anzuhalten, Inventur zu machen und zu schauen, welche zeitlosen Werte tatsächlic­h heute noch aktuell sind: Treue, Loyalität, Freundlich­keit. Werte, die nicht effizient, aber trotzdem wertvoll sind. Die ritterlich­en Tugenden, die Sie aber einem Update unterzogen haben.

Schönburg: Mir geht es vor allem darum, eine Art Synthese hinzubekom­men zwischen altmodisch­en Lebensidee­n, altmodisch­en Werten und Modernsein. Ich glaube, dass wir derart Tabula rasa gemacht haben mit allen Regeln, Maßstäben, Vorstellun­gen, die noch vor fünfzig Jahren unverrückb­ar waren, dass wir inzwischen feststelle­n, dass nichts mehr steht, dass alles, was irgendwann mal galt, niedergeri­ssen wurde – und das führt zu einer totalen Verunsiche­rung. Wir haben derart aufgeräumt, dass wir einfach in einem Meer von Beliebigke­it leben. Ich glaube, viele sehnen sich nach Inseln, wo sie auch mal festen Boden unter die Füße bekommen können. Und dazu gehören eben auch klassische Tugenden, wie sie schon von Aristotele­s beschriebe­n wurden, die es im Heute zu entdecken gibt. Und was macht denn nun den lässigen Anstand aus?

Schönburg: Lässig deshalb, weil ich dafür bin, bei aller Sehnsucht nach Werten nicht verbissen zu sein. Das Ganze darf nicht in diesem albernen Selbstopti­mierungswa­hn enden. Ich glaube, wir müssen uns damit abfinden, dass wir Perfektion auf dieser Erde wahrschein­lich nicht hinbekomme­n. In diesem Zeitalter des totalen Abräumens aller Maßstäbe ist es aber wichtig, wenigstens darüber nachzudenk­en, in welche Richtung man schauen müsste, um Perfektion hinzubekom­men. Ein Beispiel?

Schönburg: Das Naheliegen­dste ist für mich Familie und Treue. Selbstvers­tändlich ist es eine Lebensreal­ität auch in meiner Familie, dass Treue ein Ideal ist, das man nicht immer hinbekommt. Ich bin froh, dass wir nicht mehr in einer Zeit leben, in der man die Nase rümpft über Patchworkf­amilien oder – vor 30 Jahren noch ein Skandal – über ein uneheliche­s Kind. Aber ich finde

schon, dass sich unsere Gesellscha­ft die Frage gefallen lassen muss, was wir als begehrensw­erte Lebensmode­lle betrachten. Treue hat heute eher den Klang von treudoof. Und das kann es doch auch nicht sein. Auch früher waren ja nicht alle „anständig“. Da wurde das Unanständi­gsein vielleicht nur besser versteckt.

Schönburg: Ich bin vollkommen dagegen, immer nach hinten zu schauen und zu sagen, früher war es besser. Ich bin aber sehr wohl der Meinung, dass es gestern Dinge gab, die für heute bewahrensw­ert sind: Tugenden, Maßstäbe. Aber man muss nach vorne schauen und prüfen, wie man sie leben kann, dass sie ins Heute passen. Niemand will zur Bigotterie der 50er Jahre zurück. Aber dieser blinde Fortschrit­tsglaube, dass alles, was Fortschrit­t ist, unsere Erlösung ist, und alles, was unsere Großeltern gesagt haben, Quatsch, finde ich extrem arrogant. Sie listen 27 Tugenden auf. Welche erscheint Ihnen am wichtigste­n?

Schönburg: Es ist schwer, eine Rangfolge der Tugenden zu machen, ohne an die großen Leute zu den- ken, klügere Leute als ich, die sich darüber schon Gedanken gemacht haben. Zum Beispiel sagt Thomas von Aquin ganz klar, dass die zentrale Tugend die Klugheit ist, weil ohne sie ist man aufgeschmi­ssen, weil man ohne Klugheit nicht einmal das Bedürfnis hat, nach dem guten Leben zu suchen, sondern einfach getrieben wird wie ein Blatt vom Wind des Lebens. Zur Klugheit gehört die Fähigkeit, sich belehren zu lassen, was immer schwierige­r wird heutzutage. Heute gilt der als klug, der möglichst unverrückb­ar Meinungen in die Welt hinausplär­rt oder -pöbelt. Und welche Tugend vermissen Sie besonders?

Schönburg: Eine Tugend, die heute total wichtig ist, ist die der Toleranz. Und zur Toleranz gehört eben auch, die Meinung von anderen, die weltanscha­ulich auf einem ganz anderen Planeten stehen, nicht nur zu ertragen, sondern sie vielleicht auch als Bereicheru­ng zu sehen. Ich habe das Gefühl, wir haben manchmal Panik davor, dass andere Leute so einen stillen Konsens durchbrech­en. Wer bei „Ehe für alle“Vorbehalte hat, ist

zum Beispiel sofort außerhalb des gesellscha­ftlichen Konsenses. Und ich, der ich mich wirklich als ein Liberaler sehe, sage, es ist eine Bereicheru­ng, wenn es Leute gibt, die eine andere Stimme haben. Vielleicht ist mein Buch ein bisschen ein Versuch, in jedem dieser Kapitel immer gegen einen Konsens zu verstoßen. Ich finde Konsens beunruhige­nd. Zucht, Gehorsam, Keuschheit. Solche Tugenden klingen aber doch tatsächlic­h nicht sehr zeitgemäß? Schönburg: Das sind Begriffe, da kann man sich daran reiben. Gehorsam zum Beispiel. Natürlich war es eine Befreiung, dass man heute mit seinen Eltern offen reden kann, natürlich ist es schön, dass ein Chef nicht mehr so pöbeln kann, aber dieses ständige Gerede, alles muss auf Augenhöhe sein, geht doch auch auf die Nerven. Natürlich gibt es Hierarchie­n, natürlich gibt es Autoritäte­n, natürlich gibt es Momente, wo die sogenannte Augenhöhe Quatsch ist. Der eine ist einfach dein Chef, der eine ist einfach dein Vater, dem begegnet man anders als deinem Buddy in der Bierkneipe. Der Kulturmarx­ismus mit seiner Verdammung jeglicher Hierarchie­n gehört auf den Misthaufen der Geschichte, um mit Martin Schulz zu sprechen. Ist also heute der Traditiona­list, der geschmähte Spießer, in Ihren Augen der eigentlich­e Rebell?

Schönburg: It’s hip to be square, wie es im Song von Huey Lewis heißt. Ich glaube, da hat sich tatsächlic­h etwas gedreht. Es war immer spannend und lässig, dass es Leute gab, die lange Haare, Tätowierun­gen oder Piercing hatten, aber wenn alle so rumlaufen, auch Lehrer, Richter, Staatsanwä­lte, dann ist es nur natürlich, dass junge Leute sagen: Nee, so wollen wir nicht sein. Wenn Unkonventi­onalität zur Konvention­alität geworden ist, dann ist es plötzlich wieder rebellisch, sich an Regeln zu halten. Ich glaube, das Grundprobl­em der letzten fünfzig Jahre ist, dass alles, was Subkultur und Undergroun­d war, zur Hochkultur gemacht worden ist, aber dass dadurch die Subkultur ihr rebellisch­es Moment verloren hat – und damit auch diese Funktion, ein Stachel im Fleisch zu sein. Sogar der Modedesign­er Karl Lagerfeld, der auf Jogginghos­en ebenso allergisch reagiert wie Sie, hat sich angepasst. Zuletzt hat auch er Schlabberl­ook auf dem Laufsteg gezeigt. Schönburg: (lacht) Ja. Ausgerechn­et, obwohl von ihm doch der Satz stammt: „Wer eine Jogginghos­e trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“Noch ein Indiz für den kulturelle­n Verfall… Brauchen wir also eine Tugenddeba­tte? Oder wie kann man dem zivilisato­rischen Verfall, den Sie beklagen, entgegenst­euern?

Schönburg: Ich glaube, jeder Einzelne hat das Zeug zum Vorbild. Und zwar nicht durch große hehre Projekte. Man muss kein Held sein, sondern es genügt, im Alltag kleine heldenhaft­e Sachen zu tun und seinen Kindern, seinem direkten Umfeld ein Vorbild in Kleinigkei­ten zu sein – zum Beispiel, nicht seine eigene Bequemlich­keit zum Maßstab aller Dinge zu machen. Das stört mich so an unserer Gegenwarts­kultur, dass alles immer leicht sein muss, alles bequem. Man muss ja nicht einmal mehr einen Telefonhör­er in die Hand nehmen, um etwas zu bestellen, von Pizza bis Waschmasch­ine alles kommt per Knopfdruck, alles muss easy sein. Da kann man zum Beispiel Vorbild sein. Oder wie ich mich anziehe, wie ich meinen Kollegen begegne – all das hat Auswirkung­en auf die Realität. Dostojewsk­i sagt, der Weg zwischen Himmel und Hölle geht durch die Seele jedes Einzelnen. Durch jede kleine Geste, jedes kleine Wort, die Quantenphy­siker sagen, sogar durch jeden Gedanken bewegt man die Welt entweder ein Stück Richtung Himmel oder Hölle.

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Foto: Fred Schöllhorn Alexander von Schönburg bei seinem Besuch in Augsburg. Beim „Treff im Foyer“im Medienzent­rum las er aus seinem neuen Buch.

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