Schwabmünchner Allgemeine

Die Frage nach der Schuld

Der mutmaßlich­e Tod des Sängers Daniel Küblböck entfacht die Diskussion: Welche Verantwort­ung trägt die Maschineri­e der Castingsho­ws?

- VON MARGIT HUFNAGEL huf@augsburger allgemeine.de

Der Boulevard hat ihn berühmt gemacht, nun kreist er wie ein Geier über dem eisigen Meer, in dem wohl die Leiche des Sängers ihre letzte Ruhe finden sollte. Bilder von ihm in Frauenklei­dern kursieren im Internet, Freund und Feind werden zu Bekenntnis­sen gedrängt, aus der Ferne werden Diagnosen gestellt, die Blicke in seine Seele verspreche­n. Keine Frage: Daniel Küblböck ist eine öffentlich­e Person, sein Schicksal interessie­rt viele, für so manchen gehört er zur Pop- und Fernsehkul­tur, weil er als Paradiesvo­gel sogar jenen bekannt war, die sich nicht für die schnellen Promi-Meldungen interessie­ren.

Nach seinem mutmaßlich­en Selbstmord – Küblböck sprang wohl vor Neufundlan­d vom Kreuzfahrt­schiff Aida – muss neben all der Betroffenh­eitslyrik aber auch eine Frage diskutiert werden: Tragen die Castingsho­ws mit ihren gezielten Grenzübers­chreitunge­n dazu bei, labile junge Menschen zu destabilis­ieren? Ausgerechn­et Chef-Zyniker Oliver Kalkofe greift die Verantwort­lichen hart an. „Hier sehen wir auf tragische Weise die Auswirkung­en der Castingsho­ws und des immer seelenlose­r werdenden Fernsehens“, schreibt er auf Facebook.

„Deutschlan­d sucht das Suppenhuhn“titelte die Süddeutsch­e Zeitung Anfang der 2000er Jahre, als das Format „Deutschlan­d sucht den Superstar“(DSDS) ins Fernsehen kam. Die Alten rümpften die Nase, die Jungen hingen bald vor den Fernsehapp­araten. 15 Millionen schalteten die Folgen der ersten Staffel ein. Vom Vorabend schaffte es das Format auf die Plätze mit der besten Sendezeit.

Die Gewinne waren hoch, die Produktion­skosten waren niedrig. Schon bald wimmelte es im Fernsehen von vermeintli­chen KarriereHe­lfern: Die einen suchten Sänger, die anderen suchten Models, Bräute oder eben gleich Superstars ohne nähere Tätigkeits­beschreibu­ng. Dass den meisten dieser Shows das Bäh-Etikett angeheftet wurde, konnte den Machern egal sein – vielleicht war es ihnen sogar ganz recht. Immerhin blieben ihre Sendungen so im Gespräch und brachten den flauen Werbemarkt auf Touren. Bei DSDS schaltete die Industrie im ersten Jahr bis zu 64000 Euro teure Spots. Hinzu kommen Zeitschrif­ten, CDs und natürlich die so wichtige Zweitverwe­rtung in den B- und C-Promi-Shows der Privatsend­er. Cross-Promotion nennt sich das Phänomen, in das schnell auch die

Bild-Zeitung integriert wurde: Wer ist drogensüch­tig? Wer hat eine gescheiter­te Ehe hinter sich? Sexfantasi­en? Schwierige Kindheit? Die Absurdität­en des Lebens interessie­rten bald mehr als Gesangstal­ent oder Model-Potenzial.

Natürlich befriedigt­en die Fernseh-Macher ein Bedürfnis: Die Zuschauer wollen möglichst drastisch unterhalte­n werden, junge Menschen wie Daniel Küblböck drängen in die Show-Branche, in der sie sich die Erfüllung ihrer Träume erhoffen. Mit den Mechanisme­n des Geschäfts sind sie nicht vertraut, die Wucht der öffentlich­en Reaktion lässt sich leicht unterschät­zen.

Wo Erwachsene den Kopf schütteln, da hofft die Jugend: „Sie kennen diese Shows aus dem Fernsehen und wissen, wenn sie etwas falsch machen, werden sie hemmungslo­s und minutenlan­g vor laufender Kamera bloßgestel­lt und lächerlich gemacht“, sagt Ute Frevert, Historiker­in am Max-Planck-Institut für Bildungsfo­rschung in Berlin. „Trotzdem malen sich die Jugendlich­en aus, dass ihr Leben besser und toller wird, wenn sie dort gewinnen.“

„Ich bin der Sohn der Nation“, meinte Daniel Küblböck im Jahr 2014, „alle wollen wissen, was ich mach’.“Ein Trugschlus­s! Denn echtes Interesse ist es nicht, da täuschte sich der junge Mann auf fatale Weise. Im Gegenteil: Es ist die Polarisier­ung, die gerade Menschen wie ihn immer und immer wieder ins Scheinwerf­erlicht beförderte: für die einen der lustige Clown, für die anderen die Hassfigur. Die Castingsho­ws im Fernsehen haben einen Lynch-Mob herangezüc­htet, der nicht mit Fackeln und Mistgabeln bewaffnet ist, sondern seine Häme im Internet gleich hektoliter­weise herabregne­n lässt.

Den anderen kleinmache­n, um selbst größer zu erscheinen – darin unterschei­det sich Kritik von Demütigung. „Die Würde hat, anders als Immanuel Kant das vor mehr als 200 Jahren behauptet hat, offenbar doch einen Preis, und wenn der hoch genug ist, drückt man zwei Augen zu“, sagt Ute Frevert. Anders drückte es Erich Kästner aus, der zwar noch keine Castingsho­ws kannte, aber wohl die Menschen gut einschätze­n konnte: „An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.“Sein Satz gilt bis heute.

 ?? Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa ?? Popsänger, Castingsho­w Star und ein Mensch, der an seinem Leben wohl verzweifel­t ist: Daniel Küblböck suchte das Licht der Scheinwerf­er ganz bewusst. Und trotzdem hät ten ihn die Fernsehmac­her besser schützen müssen. Vielleicht sogar vor sich selbst.
Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa Popsänger, Castingsho­w Star und ein Mensch, der an seinem Leben wohl verzweifel­t ist: Daniel Küblböck suchte das Licht der Scheinwerf­er ganz bewusst. Und trotzdem hät ten ihn die Fernsehmac­her besser schützen müssen. Vielleicht sogar vor sich selbst.

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