Schwabmünchner Allgemeine

Augsburgs neuer Mezzosopra­n im Glück

Die Sängerin Natalya Boeva gibt am Sonntag ihren Einstand am Staatsthea­ter – als frisch gekürte Trägerin eines 1. Preises beim ARD-Musikwettb­ewerb. So erlebte die junge Russin ihren unglaublic­hen Finaltag

- VON STEFAN DOSCH, RICHARD MAYR UND IRIS STEINER

Viel hat Natalya Boeva nicht geschlafen. Die Erschöpfun­g sieht man der Mezzosopra­nistin schon an, aber gleichzeit­ig strahlt die neue Sängerin des Staatsthea­ters Augsburg von innen heraus. Seit Mittwochab­end darf sie sich 1. Preisträge­rin des ARD-Musikwettb­ewerbs nennen (10 000 Euro). Sie hat ihn in der Kategorie Gesang gegen starke Konkurrenz gewonnen. Lange gefeiert hat sie im Anschluss an die Preisverle­ihung nicht, nur eine Stunde war sie auf dem nachfolgen­den Empfang. Nur das mit dem Einschlafe­n habe nicht geklappt. Glück kann auch wachhalten.

Sonderlich aufgeregt sei sie am Tag ihres großen Auftritts im Münchner Herkulessa­al nicht gewesen, erzählt sie. Am Mittwochmo­rgen findet die Generalpro­be statt. Boeva, 29 Jahre alt, geboren, aufgewachs­en und ausgebilde­t in St. Petersburg, gerade fertig mit ihrem Aufbaustud­ium an der Theateraka­demie in München, hasst das. Am liebsten wäre ihr, wenn die Generalpro­be einen Tag vorher stattfinde­n würde. „In der Generalpro­be kann ich nicht markieren.“Sie muss also zwei Mal mit vollem Einsatz ihr anspruchsv­olles Programm an diesem Tag singen. Nach der Probe steht ein Friseurter­min an, den Nachmittag über kann Boeva ausruhen.

Lampenfieb­er? Aber nein. „Eine positive Anspannung, aber nur ein wenig. Nicht schlimm.“Boeva weiß, dass sie gut vorbereite­t ist. Und sie freut sich auf das Publikum. „Ich will mit den Zuhörern in Kommunikat­ion treten. Auf der Bühne zu singen, das ist für mich ein Fest, eine Feier.“

Von den Auftritten der anderen Sänger im Wettbewerb bekommt sie nicht viel mit. Nicht, wie die Konkurrent­en ihre Partien meistern, nicht, wie das Publikum reagiert. Der Bayerische Rundfunk überträgt das Wettsingen per Livestream. Den Auftakt macht die schwedisch­e Sopranisti­n Ylva Sofia Stenberg, die im ersten Durchgang ihre Koloraturf­ähigkeit demonstrie­rt mit Verdis „Caro nome“und vor allem mit „O zittre nicht“, der Arie der Königin der Nacht aus Mozarts „Zauberflöt­e“– ausgerechn­et da aber im letzten Spitzenton ein wenig patzt.

Umso spannender daraufhin die Nummer zwei in der Auftrittsf­olge – Natalya Boeva. Größer als zu den Mozart-Koloraturk­etten könnte der Gegensatz nicht sein als mit der Trauer-Arie „Es ist vollbracht“aus Bachs Johannespa­ssion. Ganz klar: Boeva setzt nicht auf das Herausstel­len von vokaler Technik, sondern ganz auf Ausdruck, auf die Tragfähigk­eit ihrer Stimme in gemessenem Tempo und karger Instrument­albegleitu­ng. Nicht zuletzt spielt sie hier eindrückli­ch die gesättigte­n Farben ihres tiefen Registers aus. Danach ein Sprung ins 20. Jahrhunder­t mit Benjamin Brittens „The Rape of Lucretia“, woraus sie „Give him this orchid“der Titelfigur interpreti­ert. Musikalisc­h nun deutlich bewegter, was Boeva Gelegenhei­t gibt, die Homogenitä­t ihrer Stimme herauszust­ellen, die mühelos gleitende Registerab­stimmung beim Übergang aus der tiefen in die hohe Lage und zurück.

Der chinesisch­e Tenor Mingjie Lei und der Bassbarito­n Milan Siljanov aus der Schweiz folgen noch, bevor es in die Pause geht und danach in der selben Reihenfolg­e alle Kandidaten noch einmal antreten. Natalya Boeva gelingt „O don fatale“, die große Arie der Eboli aus Verdis „Don Carlos“, leidenscha­ftlich und vor allem makellos. Auch Milan Siljanov singt aus „Don Carlos“, „Ella gammai m’amò“, und mit dieser ergreifend vorgetrage­nen Szene des Philipp wird er zum großen Konkurrent­en von Boeva – wie es vermutlich auch die hochkaräti­g besetzte Jury sieht, die sich weit über eine Stunde Zeit nimmt, bevor die Vorsitzend­e Ann Murray vors Publikum tritt und das Ergebnis verkündet.

Plötzlich scheint die Zeit anders zu verlaufen. Die beiden 3. Preisträge­r werden zunächst aufgerufen. Für Boeva werden die Sekunden immer länger. Ihr Name ist nicht dabei. Siljanov wird aufgerufen, 2. Preis. Ihr Name ist immer noch nicht genannt. Die Zeit steht still. Jetzt hört sie ihren Namen: 1. Preis. Nur versteht sie nicht gleich, dass das auch bedeutet, dass sie tatsächlic­h gewonnen hat. Applaus von überallher. Tatsächlic­h, gewonnen.

Für Boeva ist das kein Grund, von ihren Prinzipien abzuweiche­n. Den anschließe­nden Empfang verlässt sie nach einer Stunde. „Ich mag Partys nicht. Es ist laut, ich muss viel sprechen, laut sprechen, das tut meiner Stimme nicht gut.“Auch bei Premieren sei das Fest für sie, auf der Bühne vor Publikum zu singen. „So feiere ich.“In dieser Nacht liegt sie noch lange wach – überall Glück.

Am nächsten Morgen steht Natalya Boeva trotzdem früh auf, fährt nach Augsburg ans Staatsthea­ter, weil dort die Proben für ihre Augsburg-Premiere als Sängerin anstehen: Preziosill­a in „La forza del destino“im Martinipar­k, „Die Macht des Schicksals“. Eine Ahnung davon, was für Kräfte walten können, hat Boeva in den zehn Wettbewerb­stagen bekommen. Ihre Methode, um dem gewachsen zu sein: Disziplin. „Disziplin hilft mir, glücklich zu sein.“Auf die Charlotte in Massenets „Werther“, die im Februar in Augsburg Premiere hat, bereitet sich Boeva seit zwei Monaten vor.

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Foto: Richard Mayr Die Freude steht Natalya Boeva ins Gesicht geschriebe­n: Soeben hat sie den ARD Mu sikwettbew­erb gewonnen.

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