Sie geben Lebensmitteln eine zweite Chance
Wer Essen übrig hat, muss es nicht wegwerfen. Eine Initiative setzt sich dafür ein, dass es an andere Menschen verteilt wird. Das Projekt entwickelt sich gut
Gerda Wunsch hat in diesem Jahr so viele Äpfel im Garten, dass sie nicht alle selbst verarbeiten kann. Doch die Lechhauserin wirft nichts weg. Stattdessen lädt sie an diesem Tag zwei große Kisten voller Obst vor dem Eingang des Sozialkaufhauses Contact in Haunstetten ab. Dort stehen Regale und ein Kühlschrank und jeder kann sie mit Lebensmitteln befüllen. Gerda Wunsch weiß, dass sich hier Menschen bedienen, die ihre Äpfel gebrauchen können. Das gibt ihr ein gutes Gefühl.
Hinter der Idee des Essens-Austausches steckt die Initiative „Foodsharing.“Ihr Konzept wird laut Organisatoren immer beliebter. „Lieber Essen teilen, als es wegzuwerfen – das ist unsere Devise“, sagt Elke Thiergärtner. „Damit rennen wir bei vielen Menschen in Augsburg offene Türen ein. Denn dass es ein Unding ist, Lebensmittel wegzuschmeißen, ist unstrittig.“Die 45-Jährige hat die Initiative „Foodsharing“(engl. für Essen teilen) vor über drei Jahren für Augsburg mit auf die Beine gestellt. Sie gibt es auch in anderen Städten und bietet den Menschen eine Plattform, die gerade zu viel Essen daheim haben, und denjenigen, die Lebensmittel brauchen. Anbieter und Abnehmer werden auf zweierlei Weise zusammengebracht: Privatleute können sich auf der Internetseite: www.foodsharing.de als sogenannte Foodsharer registrieren und dort ihre übrig gebliebenen Lebensmittel zum Verschenken anbieten. „Zum Beispiel, wenn jemand in den Urlaub fährt, aber noch Sachen im Kühlschrank hat“, nennt Thiergärtner ein Beispiel. Interessenten holen die Lebensmittel dann ab. Für Menschen, die kein Internet haben, gibt es eine weitere Möglichkeit des Austauschs. Für sie sind in der Stadt an drei Standorten sogenannte „Fairteiler“aufgestellt – eine Wortschöpfung aus Verteiler und dem Wort „fair“. Das sind Regale und Kühlschränke, in die Essen hineingelegt wird, damit andere sich bedienen können.
Diese sogenannten „Fairteiler“stehen im Grandhotel Cosmopolis, in einem Raum an der Universität und eben am Sozialkaufhaus Contact. Gerade beim Sozialkaufhaus herrscht meist reger Betrieb. „Dieser Fairteiler ist am schnellsten leer“, weiß Roswitha Kugelmann, die das Sozialkaufhaus leitet und es gerne als Standort für Foodsharing zur Verfügung stellt. Die verschenkten Lebensmittel würden so gut nachgefragt, dass es manchmal sogar Streit unter den Interessenten gebe. „Die Profis wissen, wann Essen angeliefert wird und stehen schon parat“, erzählt Kugelmann und lacht.
An bestimmten Wochentagen nämlich bringen Fahrer der Augsburger, Bobinger und Diedorfer Tafel überschüssige Lebensmittel vorbei, die sie selbst an der Tafel nicht verteilen konnten. Daraus bereitet die Köchin des Sozialkaufhauses täglich ein Mittagessen für rund 70 Angestellte und Mitarbeiter zu. Der andere Teil der Waren landet im Kühlschrank und in den Regalen des „Fairteilers“. Heute werden Unmengen von Brot, Semmeln, Kopfsalat, Gurken und Radieschen angeliefert. Es dauert keine Minute, schon scharen sich Kunden des Sozialkaufhauses um den „Fairteiler“. Sie sind neugierig, was es heute zum Mitnehmen gibt.
Es sind Männer und Frauen unterschiedlichen Alters. „Ich bekomme eine kleine Rente, 700 Euro. Davon muss ich Miete und alles zahlen“, erzählt eine 76-Jährige. Deshalb kaufe sie oft im Sozialkaufhaus ein. „Hier, das Hemd, das ich trage, hat 1,50 Euro gekostet“, sagt die Frau und zeigt auf ihr Oberteil. Natürlich schaut sie bei der Gelegenheit immer in den „Fairteiler“. „Heute nehme ich mir Salat, Brot und Äpfel mit.“Die Seniorin ist dankbar dafür. Und Gerda Wunsch, die die Äpfel brachte, freut sich.
Es sind aber nicht nur Privatpersonen, die das Konzept des Essenteilens aufrecht erhalten. Einen großen Anteil an abgegebenen Waren machen Spenden von Betrieben aus. Sie werden von Menschen abgeholt, die sich für das Foodsharing ehrenamtlich engagieren. Die sogenannten „Foodsaver“, also Essensretter, tragen auf der Internetseite ein, welche Abholungen sie übernehmen. Mittlerweile seien über 200 registriert, erzählt Elke Thiergärtner. An die 50 Betriebe nähmen inzwischen am Konzept teil. „Anfangs hätte ich nie gedacht, dass Foodsharing in Augsburg so wächst.“Wie viele Menschen mit den verschenkten Lebensmitteln letztendlich versorgt werden, kann sie nicht sagen. Darüber können keine Notizen geführt werden, weil vieles eben privat abläuft. Eine Konkurrenz zur Augsburger Tafel sei man aber nicht, betont die Foodsharing-Mitinitiatorin. Die Tafel hole im großen Stil übrig gebliebene Lebensmittel etwa von Discountern ab, die Logistik dahinter sei enorm. „Zudem hat die Tafel den Ansatz der Bedürftigkeit, der nachgewiesen werden muss. Bei uns überprüfen wir nicht die Bedürftigkeit der Menschen.“Hier könne jeder einfach so auf die Lebensmittel zugreifen.
In erster Linie geht es darum, einem Essen eine zweite Chance zu geben und vor dem Müll zu retten. So wie es die Lechhauserin Gerda Wunsch mit ihren Äpfeln aus dem Garten gemacht hat.