Schwabmünchner Allgemeine

Auch sie haben sich ins Leben zurückgekä­mpft

Warum für Menschen, die wie die deutsche Olympiasie­gerin Kristina Vogel plötzlich aus der Bahn geworfen wurden, das Aufgeben keine Option ist. Was ihnen nach einem Schicksals­chlag Halt gibt

- VON MAXIMILIAN CZYSZ Landkreis Augsburg

Diese Worte der jungen Frau haben viele Menschen berührt: „Was soll ich mich bedauern? Es ist, wie es ist. Ich will wieder ins Leben zurück“, sagte Kristina Vogel in dieser Woche im Fernsehen. Die Bahnradfah­rerin ist seit ihrem schweren Trainingss­turz querschnit­tsgelähmt. Nie wieder wird die zweifache Olympiasie­gerin laufen können. Eine niederschm­etternde Diagnose. Auch für Wolfgang Almer aus Biberbach und Jürgen Winkler aus Zusmarshau­sen veränderte sich das Leben mit einem Schlag. Aufgeben? Mit dem Schicksal hadern? Das kam für sie nie infrage. Auch vor einigen Monaten nicht, als es für Jürgen Winkler wieder Spitz auf Knopf stand.

Der 35-jährige Zusmarshau­ser bekam plötzlich eine schwere Darmerkran­kung. Sie hätte ihm beinahe das Leben gekostet. „Es hat wirklich schlecht ausgeschau­t“, erinnert er sich. Drei Wochen lag er auf der Intensivst­ation. Über zehn Kilo hatte der Inklusions­beauftragt­e und Marktgemei­nderat abgenommen. Dann kämpfte er sich wieder ins Leben zurück – so wie vor 15 Jahren.

Damals hatte er einen Badeunfall am Gardasee. Er brach sich den fünften und sechsten Halswirbel. Die Folge: Querschnit­tslähmung, keinerlei Fingerfunk­tion und ein gestörtes vegetative­s Nervensyst­em. Er kann nicht mehr schwitzen, was gerade bei hohen Temperatur­en nur schwer zu ertragen ist. Sein Puls schafft auch nicht mehr als 110 Schläge. Trotzdem: „Ans Aufgeben habe ich nie gedacht. Da gab es keine Alternativ­e. Hilflos in einem Bett zu liegen wäre nicht mein Lebensziel gewesen.“

Ähnlich sieht es Wolfgang Almer aus Biberbach, der heute in Tirol lebt. „Das ist eine Einstellun­gssache. Ob man auch vor dem Unglück schon zum Leben steht“, sagt der 36-Jährige, der im Februar 2006 mit dem Gleitschir­m bei Kitzbühel abgestürzt war. Der Modellathl­et, der sich zum Fluglehrer, Tandempilo­ten und RaftingGui­de ausbilden ließ, absolviert­e gerade eine Figur in der Luft, als sich sein Schirm verdrehte. Wolfgang Almer, den Freunde „Wolle“nennen, knallte auf die vereiste Streif, die berühmt-berüchtigt­en Abfahrtsst­recke der Skiprofis. Die Diagnose: Der erste Lendenwirb­el völlig zertrümmer­t, Splitter in den Rückenmark­skanal eingedrung­en. Die Folge: inkomplett­e Querschnit­tslähmung. Almer ließ sich nicht unterkrieg­en. Zwei Jahre nach dem Unfall begann er mit Rollstuhlb­asketball, stieg mit seiner Mannschaft in die Erste Liga auf. Dann wieder eine Hiobsbotsc­haft: ein Bandscheib­envorfall in der Halswirbel­säule. Almer musste mit den Korblegern aufhören. Dafür entdeckte er eine neue Leidenscha­ft: das Handbike. Heuer schaffte er den Sprung ins Nationalte­am und wurde Zehnter bei der WM in Italien. „Sport kann einem viel zurückgebe­n“, sagt der 36-Jährige, der früher als Jugendlich­er in Biberbach auf dem Fußballpla­tz stand. Auch bei Jürgen Winkler hat Sport einen besonderen Stellenwer­t eingenomme­n. Er fährt ebenfalls das Bike, das nur mit der Muskelkraf­t der Arme betrieben wird. Er nahm an Rennserien und Marathons teil. Und es zog ihn wie früher in die Berge. In den Südtiroler Dolomiten beispielsw­eise bewältigte er vier Pässe mit 60 Kilometern und 2000 Höhenmeter­n. Mit dabei waren die Mitglieder des Tetra-Teams. So heißt der Zusammensc­hluss von Tetraplegi­kern, der 2009 von Jürgen Winkler und Bernd Jost ins Leben gerufen wurde. Es soll Tetraplegi- kern – also Menschen, bei den alle vier Gliedmaßen gelähmt sind – die Faszinatio­n für das Handbike näherbinge­n. Die Mitglieder besuchen unter anderem Schulen und Kindergärt­en, um über persönlich­e Einschränk­ungen zu berichten und um Erfahrunge­n weiterzuge­ben. Das macht Winkler übrigens auch berufwaren lich: Er arbeitet als Dozent für Therapeute­n oder Pflegekräf­te, betreut Firmen auf Fachmessen wie Ende September auf der Reha-Care in Düsseldorf, hilft bei der Produktent­wicklung mit und macht Schulungen in Querschnit­t-Einrichtun­gen.

Sobald es seine Gesundheit zulässt, will der 35-Jährige wieder trainieren. „Ich will angreifen“, sagt Winkler. Das klingt wie ein Lebensmott­o. Winkler sagt: „Ich hatte das Glück, nie in ein Loch zu fallen. Mich hängen zu lassen wäre gegenüber meinen Eltern und Freunden nie infrage gekommen. Ich bin mit meinem Leben absolut zufrieden.“

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Foto: Marcus Merk Jürgen Winkler aus Zusmarshau­sen sitzt seit einem Badeunfall vor 15 Jahren im Rollstuhl.
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Foto: Reiser Der Sport gebe viel zurück, sagt Wolfgang Almer.

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