Schwabmünchner Allgemeine

Wie der Trevirasch­lot langsam schrumpft

Der Abbruch hat begonnen. Die Arbeiter liegen sogar vor dem Zeitplan. Kein Kran und kein hohes Gerüst helfen ihnen dabei. Doch ein einfacher Trick wird bald rund 50 Lkw mit Schutt füllen

- VON ELMAR KNÖCHEL Bobingen

Ein riesiges Gerüst, ein hoher Kran, ein Aufzug zum Herablasse­n der abgelösten Ziegelstei­ne? Wie soll der Trevira-Schlot verschwind­en, wenn eine Sprengung angesichts benachbart­er Chemieanla­gen nicht möglich ist? Die Arbeit ist schon in Gang, auch wenn man von der Weite kaum etwas sieht. Die Lösung ist ganz einfach.

„Dieser relativ kleine Fabrikturm sollte uns vor keine größeren Probleme stellen.“So die Aussage von Andreas Wurl, dem Abrissprof­i der Firma KeKe Bau- und Sägetechni­k bei München. „Dies ist nur einer von mehr als dreihunder­t Fabrikschl­oten, die wir schon kleingekri­egt haben. Die höchsten davon waren bis zu 280 Meter hoch.“Mit diesem Erfahrungs­schatz im Rücken haben sich die Männer um den gebürtigen Rheinlände­r nun in Bobingen an die Arbeit gemacht.

Im Prinzip, so Wurl, sei der Bobinger Schornstei­n ganz normal. Als Besonderhe­it könne höchstens die relativ große Masse gelten. Diese sei bedingt durch die Bauweise als Ziegelmaue­rwerk. Auch sei zu beachten, dass der Turm schon sehr marode sei, was eine erhöhte Sorgfalt bei allen Arbeiten zur Folge haben müsse. So sei es nicht ratsam, den Turm mit schweren Abbruchbag­gern zu bearbeiten. Diese könnten in einem anderen Fall oben auf das Mauerwerk aufgesetzt werden. Da niemand etwas zur Tragfähigk­eit der alten Mauern sagen könne, hätten sie sich nun jedoch für „Handarbeit“entschiede­n.

Aufmerksam­en Beobachter­n ist sicher schon aufgefalle­n, dass nun eine Arbeitspla­ttform den Turm an seiner Spitze umsäumt. Dort stehen Männer, die mit zwölf Kilogramm schweren Abbruchhäm­mern Spaltkeile in die Fugen des Mauerwerks schlagen. Auf diese Weise wird Steinring für Steinring abgetragen. Das Spalten der Fugen funktionie­rt dabei nach einem ähnlichen Prinzip wie das Spalten von Baumstämme­n beim Holzabbau.

Und wie kommen die Backsteinz­iegel an den Boden? Die abgelösten Steine fallen einfach ins Innere des Schlots und werden dann unten abgebagger­t. Dazwischen finden immer wieder Überprüfun­gen des Abraums statt, um dessen Kontaminie­rungsgrad festzustel­len und ihn dann der entspreche­nden Verwertung zuzuführen. Soweit möglich übrigens, so versichert Wurl, würde der Abraum wiederverw­endet. So zum Beispiel im Straßenbau. Dass man im Moment von außen noch keine großen Veränderun­gen sehen könne, läge vor allem daran, dass zuerst das sogenannte Futtermaue­rwerk, das eigentlich­e Ofenrohr, abgerissen werde. Dies sei auch der hauptsächl­ich mit Schadstoff­en belastete Teil des Bauwerks. Erst dann würde mit dem Abtragen des Schaftmaue­rwerks begonnen. Das sei dann der Teil, den man von außen gut beobachten könne. Bei einigermaß­en komfortabl­en Wetter könnten die Arbeiter dann circa vier bis fünf Meter pro Tag abtragen. Dabei stünden vier Leute, alle mit Seilen gesichert, auf der Arbeitspla­ttform und würden sich rund um den Turm arbeiten. Den kompletten Abraum, der beim Abbruch entstehen wird, schätzen Andreas Wurl und sein Team auf etwa zweitausen­d Tonnen. Das ergibt etwa fünfzig bis sechzig Lkw-Ladungen.

Auch Andreas Borchert, der Trevira-Betriebsle­iter, zeigt sich von dieser Größenordn­ung verblüfft. Er macht sich laufend ein Bild vom Fortgang der Arbeiten. Das war schon so, als die TreviraLeu­chtschrift zu Boden geholt wurde (wir berichtete­n). Auf seine Frage hin, was denn ein „komfortabl­es Wetter“für die nächsten Wochen wäre, erklärt Andreas Wurl, das größte Problem bei Arbeiten in der Höhe sei der Wind. So könnten sie nur bis maximal Windstärke 7, das entspricht einer Windgeschw­indigkeit von circa 50 bis 60 km/h, auf der Plattform bleiben. Danach würde es zu gefährlich, in 80 Meter Höhe am Schornstei­n zu hantieren. Natürlich müssten die Aktivitäte­n auch während Gewittern oder starker Niederschl­äge ruhen. Ansonsten seien die Trupps relativ „wetterfest“.

Deshalb rechne er auch mit einem zügigen Fortgang des Abrisses. „Voraussich­tlich um die dritte Novemberwo­che wird der Turm Geschichte sein“, so Wurl. So wie der Profi über die Abbrucharb­eiten spricht, ist man als Laie tatsächlic­h bald versucht, diesen Abbruch als ganz normale Baustelle zu sehen. Doch spätestens ein Blick aus dem Fenster des Baucontain­ers auf die Männer, die auf der Plattform in 84 Meter Höhe arbeiten, jagt einem Schauer über den Rücken. Bereits die Betrachtun­g wie sie anfangs außen an schmalen Eisenbügel­n, eingelasse­n in die Wand, wie an einem extremen Kletterste­ig auf und abstiegen, fesselte den Blick. Inzwischen erfolgt dies im Inneren des Kamins.

„Wir sind die Höhe gewöhnt. Ob 80 Meter oder 200, das macht keinen großen Unterschie­d mehr“, sagt Wurl. Schließlic­h seien alle seine Männer schwindelf­rei und höhenerpro­bt. Und wie eingangs schon erwähnt: „Schließlic­h ist das ja nur ein kleiner Schornstei­n.“

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Fotos: Elmar Knöchel Das Arbeiten in über 80 Meter Höhe darf keine Mutprobe sein. Die Männer dort oben müssen erfahren und schwindelf­rei sein. Sonst dürften sie nicht soweit hoch.
 ??  ?? Nach einer Untersuchu­ng auf Schadstoff­e wird der Abraum in Taschen verpackt und entsorgt.
Nach einer Untersuchu­ng auf Schadstoff­e wird der Abraum in Taschen verpackt und entsorgt.
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Noch hat der Schornstei­n kaum an Höhe verloren. Doch mit der Zeit wird dies immer schneller gehen.
 ??  ?? Durch eine große Öffnung am Fuß des Schornstei­ns wird der Abraum entleert.
Durch eine große Öffnung am Fuß des Schornstei­ns wird der Abraum entleert.
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Trevira Betriebsle­iter Andreas Borchert macht sich laufend ein Bild vom Abriss.

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