Schwabmünchner Allgemeine

Ein Land, ein Verein: Der FC Bayern und die Bayern

Die Münchner sind Weltmarktf­ührer des „Mia san mia“. Dabei sprach wenig dafür, dass aus dem Klub eine globale Marke werden würde – bis ein „kleines, dickes Müller“auf Torejagd ging

- VON TILMANN MEHL München Die Bayern Chronik

Ohne Gerd Müller „würden wir uns heute noch in der alten Holzhütte aus den 60er Jahren am Trainingsp­latz an der Säbener Straße umziehen. Ohne seine Tore stünde der FC Bayern heute nicht da, wo er ist.“Sagte Franz Beckenbaue­r im November 1995 anlässlich des 50. Geburtstag­es des besten Torjägers Deutschlan­ds. Zu diesem Zeitpunkt war der FC Bayern in Europa keine besonders große Nummer. Der letzte Sieg im Europapoka­l der Landesmeis­ter lag bereits 19 Jahre zurück, in der Bundesliga gelang es in den 90er Jahren kein einziges Mal, einen Meistertit­el zu verteidige­n. National waren die Bayern der Konkurrenz noch nicht enteilt, internatio­nal spielten die italienisc­hen Klubs in anderen Sphären.

Und trotzdem klang der Name FC Bayern auch damals in Mailand, Madrid und Liverpool nach großer Fußballwel­t. Wegen Müller. Der die Münchner aus der Zweitklass­igkeit zur besten Mannschaft des Kontinents schoss. Dabei war es anfangs keinesfall­s eine stürmische Liebesbezi­ehung, die den gelernten Weber und den Verein verband. „Was soll isch mit dieses Junge? Diese Figur, unmöglich!“, fluchte Trainer Zlatko „Tschik“Cajkovski, als ihm 1964 der 18-Jährige als Sturmhoffn­ung präsentier­t wurde. Die Skepsis war verständli­ch. Müller verteilte 90 Kilo auf 1,76 Meter Körpergröß­e, kam vom Landesligi­sten TSV 1961 Nördlingen.

Letztlich beugte sich Cajkovski aber dem sanften Druck seines Präsidente­n Wilhelm Neudecker: „Tschik, ich gehe nie mehr auf den Fußballpla­tz – die Medien werden Krach schlagen“, falls Müller nicht spielt, und leitete so die erfolgreic­hste Phase des FC Bayern München ein. Franz Beckenbaue­r war der elegante Anführer, Sepp Maier Torwart und Spaßvogel, Müller aber war die bajuwarisc­he Lebensvers­icherung. Dass sich die drei Ausnahmekö­nner in einer Mannschaft wiederfand­en, lag an einem Geburtsfeh­ler der Bundesliga. Die startete 1963 mit lediglich 16 Mannschaft­en. Aus München wurde nur der TSV 1860 München berücksich­tigt. Verständli­ch, wurden die Löwen doch im Jahr zuvor Meister der Süd-Staffel. Allerdings brach der DFB dafür mit seinen eigenen Bewertungs­maßstäben. Dem FC Bayern fehle die „sportliche Vergangenh­eit“, begründete die Verbandsze­ntrale – und übersah damit auch großzügig den deutschen Meistertit­el von 1932.

erwies sich der Start in der Zweitklass­igkeit als Glücksfall. Müller beispielsw­eise hatte auch ein Angebot von den 60ern, hatte aber die Sorge, in der ersten Liga nicht zum Zug zu kommen. So wuchs, unbeachtet von der Öffentlich­keit, das talentiert­e Trio heran – allesamt wurden sie Weltstars.

Müller aber kam mit Ruhm und Leben nicht gut zurecht. Sein Weg in die USA entpuppte sich als SackLetztl­ich gasse. Zurück nach Deutschlan­d kehrte er als alkoholkra­nker Ex-Star. Uli Hoeneß nahm sich seiner an. Gab ihm in Form eines Jobs beim FC Bayern Sicherheit und das Gefühl, gebraucht zu werden.

So sah Müller aus der Nähe, wie aus dem klangvolle­n Namen FC Bayern ein europäisch­er Top-Verein und eine Weltmarke wurden. Hoeneß trieb, zusammen mit KarlHeinz Rummenigge, die Vermarktun­g voran, nationalen Konkurrent­en entriss man gegen Ablöse die besten Spieler – und baute schließlic­h die Allianz-Arena und somit das Sparschwei­n der Bayern. 1972 erwies sich bereits das Olympiasta­dion als Glücksfall für die Münchner, die sich zuvor das kleine Grünwalder Stadion mit den Löwen teilen mussten. 23 Jahre später stießen die Bayern mit der neuen Arena abermals in eine neue Dimension vor. Eigenbesit­z, VIP-Logen, klimper, klimper...

Dazu noch die millionens­chweren Bündnisse mit Audi, Adidas, der Allianz oder der Telekom – die Bayern sind zu groß für die Bundesliga. Nicht reich genug allerdings für die europäisch­e Top-Konkurrenz. Warum also nicht Audi damit drohen, mit BMW einen interessan­ten Ersatzpart­ner an der Hand zu haben? Im Raum steht, dass die Münchner statt jener rund 30 Millionen Euro der Ingolstädt­er jährlich gerne das Doppelte hätten. Ob sie das näher an einen ChampionsL­eague-Sieg bringt? Gerd Müller interessie­rt sich dafür wohl kaum. Er wird in einem Pflegeheim bei München betreut. Die Demenz ergreift mehr und mehr Besitz von ihm und seinen Erinnerung­en. Die Bayern– Fans aber werden nicht vergessen, dass dieser Weltklub ohne die Tore von „kleines, dickes Müller“(Cajkovski) wohl immer noch ein ganz normaler deutscher Verein wäre.

ODietrich Schulze Mar meling, Verlag Die Werk statt, zwei Bände (976 Seiten),99 Euro

 ?? Foto: Witters ?? Gerd Müller jubelte oft, im Trikot des FC Bayern insgesamt 398 Mal. Dazu erzielte er auch noch 68 Treffer für die deutsche Nationalma­nnschaft. Weltmeiste­r, Europameis­ter, Europapoka­lsieger, Meister, Pokalsiege­r – kaum ein Titel wäre in den 70er Jahren ohne ihn denkbar gewesen.
Foto: Witters Gerd Müller jubelte oft, im Trikot des FC Bayern insgesamt 398 Mal. Dazu erzielte er auch noch 68 Treffer für die deutsche Nationalma­nnschaft. Weltmeiste­r, Europameis­ter, Europapoka­lsieger, Meister, Pokalsiege­r – kaum ein Titel wäre in den 70er Jahren ohne ihn denkbar gewesen.
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