Schwabmünchner Allgemeine

„Lieber in die Isar als mit der CSU“

Die Spitzenkan­didaten der Linken in Bayern sehen die historisch­e Chance, zum ersten Mal den Sprung ins Maximilian­eum zu schaffen. Ihr Konzept: Fundamenta­loppositio­n

- VON ULI BACHMEIER München

Was bringt ältere Menschen an einem brütend heißen Sommertag dazu, sich auf Krücken, mit Rollatoren oder sogar im Rollstuhl in einen stickigen Saal im Münchner Gewerkscha­ftshaus zu schleppen? Ein Kaffeekrän­zchen ist es nicht. Und umsonst gibt es hier auch nix. Es ist eine Podiumsdis­kussion zur Landtagswa­hl, veranstalt­et von den Seniorinne­n und Senioren der Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi in München. Und die älteren Herrschaft­en, die in so großer Zahl gekommen sind, dass immer noch mehr Stühle in den Saal gebracht werden müssen, haben eine gehörige Wut im Bauch – weil es zu wenig bezahlbare­n Wohnraum, zu wenig Personal in der Pflege und in den Krankenhäu­sern gibt.

Auf dem Podium sitzen Vertreter von CSU, FDP, Freien Wählern, Grünen und SPD. Mit den meisten Applaus aber bekommt ein 34 Jahre junger Mann, der ganz linksaußen sitzt: Ates Gürpinar, einer der beiden Spitzenkan­didaten der Linken in Bayern.

Die Stimmung ist explosiv: „Hört doch auf mit dem Scheiß!“„Das wissen wir doch längst!“„Quatscht nicht rum! Macht endlich was!“Von Anfang an gibt es solche Zwischenru­fe, und die linken Wutbürger im Saal verschonen auch den SPD-Landtagsab­geordneten Florian Ritter nicht. Als der sich mit seiner CSU-Kontrahent­in Tina Pickert in die Haare kriegt, ob denn das CSU-regierte Land oder die SPD-geführte Stadt schuld seien an der Wohnungsno­t in München, kommt Gürpinars großer Moment. Die Versäumnis­se, so sagt er, seien „nicht nur bei der CSU auf Landeseben­e zu suchen, sondern auch bei anderen Parteien, die in den Städten in den vergangene­n Jahrzehnte­n regiert haben.“

Das ist eines der zentralen strategisc­hen Argumente, mit dem das linke Spitzenduo Eva BullingSch­röter, 63, und Ates Gürpinar im Landtagswa­hlkampf zu punkten versuchen: Weder im Bund noch im Land noch in den bayerische­n Kommunen regieren die Linken mit, folglich gibt es auch keinen Missstand, für den sie verantwort­lich gemacht werden könnten.

Entspreche­nd einfach und holzschnit­tartig sind auch ihre Parolen auf den Wahlplakat­en: „Mehr für die Mehrheit! Reichtum umvertei- len.“„Wohnraum ist zum Wohnen da. Nicht zum Spekuliere­n!“„Höhere Renten, Alter, statt höherem Rentenalte­r.“„Mehr Bus & Bahn. Zum Nulltarif.“

Das zweite strategisc­he Argument speist sich aus dem Umstand, dass die CSU Umfragen zufolge zwar in einem historisch­en Tief steckt, eine Regierung ohne die CSU aber kaum vorstellba­r ist. „Von keiner Partei im Landtag wird wirklich ausgeschlo­ssen, mit der CSU zu koalieren“, sagt Gürpinar, „da brauchen wir eine wirkliche Opposition im Landtag.“Nur wer die Linke wähle, so Bulling-Schröter, könne sicher sein, dass er sich nicht hinterher in einer Koalition mit der CSU wiederfind­e. Deshalb, so sagen beide, gelte für die Linke in Bayern nach wie vor der Satz ihres Genossen Klaus Ernst: „Bevor wir mit der CSU koalieren, ertränken wir uns in der Isar.“

Als Duo versuchen sich die beiden Spitzenkan­didaten zu ergänzen. Bulling-Schröter kann von ihrer Herkunft und ihrem Werdegang her als sozialisti­sches Urgestein aus Oberbayern gelten. Die gelernte Betriebssc­hlosserin aus Ingolstadt hat jahrzehnte­lange politische Erfahrung. Sie saß lange für die PDS und später für die Linke im Bundestag und verweist mit Stolz darauf, die einzige Arbeiterin unter den Abgeordnet­en gewesen zu sein.

Gürpinar ist über das Studium (Theaterwis­senschafte­n in Erlangen) zur Linken gekommen. Der Wahl-Münchner ist in Darmstadt aufgewachs­en, die Großmutter mütterlich­erseits stammt aus Pommern, der Vater ist aus der Türkei eingewande­rt. Gürpinar engagierte sich im Bildungsst­reik 2009 und baute den Hochschulv­erband „Linke.SDS“auf. Dass die Linke in Bayern ihren Mitglieder­stand erheblich steigern konnte, wird in der Partei ihm zugerechne­t. Ihr Geschäftsf­ührer Max Steininger sagt: „Er ist der Grund dafür, dass die Linke in Bayern in fünf Jahren um sechs Jahre jünger geworden und um fast 50 Prozent gewachsen ist.“

Ihrem erklärten Wahlziel, in Bayern erstmals den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen, fühlen sich die Kandidaten näher als je zuvor. Allein die Stimmenzah­l bei der Bundestags­wahl vergangene­s Jahr würde dafür ausreichen, sagen sie. Dass sie in der jüngsten Umfrage die fünf Prozent erreicht haben, gibt ihnen neuen Schwung. „Wir wollen die Verhältnis­se in Bayern endlich zum Tanzen bringen“, sagt BullingSch­röter.

„Wir wollen die Verhältnis­se zum Tanzen bringen“

 ?? Foto: Robert Auerbacher ?? Das linke Spitzenduo vergangene Woche bei der Kundgebung mit Sahra Wagenknech­t auf dem Münchner Marienplat­z: Ates Gür pinar und Eva Bulling Schröter rechnen sich Chancen aus, die Fünf Prozent Hürde zu knacken.
Foto: Robert Auerbacher Das linke Spitzenduo vergangene Woche bei der Kundgebung mit Sahra Wagenknech­t auf dem Münchner Marienplat­z: Ates Gür pinar und Eva Bulling Schröter rechnen sich Chancen aus, die Fünf Prozent Hürde zu knacken.

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