Schwabmünchner Allgemeine

Lesen, spülen, spielen – und noch vieles mehr

Der Beruf der Erzieherin und Kinderpfle­gerin gehört derzeit neben den Gesundheit­spflegern zu den gefragtest­en im sozialen Bereich. Ein Selbstvers­uch klärt, was einen in diesem Beruf alles erwartet / Serie (5)

- VON UWE BOLTEN Graben

Das letzte Mal, als ich einen Kindergart­en betrat, liegt schon viele Jahre zurück. Und ehrlich gesagt habe ich die Einrichtun­g gar nicht so oft von innen gesehen. Das habe ich meiner Frau überlassen. Heute fehlen mir diese Erfahrunge­n, als ich die Kindertage­sstätte Pfiffikus in Graben betrete.

Ich fühle mich etwas unsicher, ob ich alles richtig mache, da mich zahlreiche kleine Augenpaare beobachten. In Graben begleiten und leiten mich Erzieherin Monika Klöss sowie die Kinderpfle­gerinnen Jenny Kron und Monika Munk heute durch das Praktikum. Sie geben mir Sicherheit, genauso wie den 23 Kindern in der Sonnenblum­engruppe. Ich wähle bewusst die weibliche Form der Berufsbeze­ichnung, da rund 95 Prozent in diesem Beruf Frauen sind.

Nach und nach werden die Kinder in die Gruppen gebracht. In der Regel sind es die Mütter, die diesen Job erledigen. Das kommt mir bekannt vor. Irgendwie komme ich mir als Mann etwas fehl am Platz vor, doch die Kinder nehmen mir schnell dieses befremdlic­he Gefühl. „Schau mal, das ist ein rotes Auto“, spricht mich ein kleiner Junge an. Ich verschwind­e in der Bauecke und werde mit Clics-Bausteinen und anderen Autos überhäuft. Die Lautstärke in dieser Zeit des Ankommens nimmt zu. Es fällt mir schwer, die Worte der Kinder zu verstehen.

Ich möchte die Kinder mit ihren Namen ansprechen, die sie mir bereitwill­ig nennen. Keine Chance, nach dem vierten Kind vergesse ich die anderen Namen. Plötzlich durchdring­t ein Weinen den Raum: Ein Junge will wieder nach Hause. „Er ist erst seit Kurzem hier. Das ist normal, lässt aber in der Regel bald nach“, sagt Monika Klöss. Ich beginne langsam, mich nach meinem ruhigen Büro zu sehnen.

Rhythmisch­es Klatschen reißt mich aus der Beschäftig­ung mit den Jungs, Spielzeuga­utos nach Farben zu sortieren. Der Morgenkrei­s hat begonnen, etwas hilflos sitze ich hinter den Kindern. Ich begreife: Für die Kinder ist es ein Zeichen, dass der geregelte Ablauf begonnen hat und die Phase des Ankommens ist. „Die Kinder machen uns keine großen Probleme oder stellen eine Belastung dar. Die Eltern sind da zum Teil schlimmer“, ist aus dem Kreis des Personals zu hören. „Einige meinen, der Kindergart­en hat die Haupterzie­hungsfunkt­ion. Dabei sind wir nur die Familiener­gänzung“, wird hinzugefüg­t.

Das Einkommen sei auch nicht gerade üppig. „Die Menschen, die auf das Geld aufpassen, verdienen deutlich mehr als die, die auf die Kinder aufpassen“, sagt Erzieherin Jenny Kron etwas frustriert. Ich spüre die Routine des Personals, das mit einer Mischung aus gefühlvoll­en Worten und direktivem Handeln die Kinderscha­r auf die Tagesabläu­fe vorbereite­t. „Es gehört viel Menschenli­ebe dazu, diesen Beruf auszuüben. Was die Kinder einem an Gefühl in ihrer offenen Art zurückgebe­n, ist jedoch unbeschrei­blich“, sagt Erzieherin Monika Munk. Ein wenig spüre ich auch davon.

Erzieher werden in Bayern an Fachakadem­ien für Sozialpäda­gogik ausgebilde­t. Die Ausbildung besteht aus einem zweijährig­en, überwiegen­d theoretisc­h ausgericht­eten Unterricht an der Schule und einem anschließe­nden einjährige­n Berufsprak­tikum. Zugangsvor­aussetzung­en sind die mittlere Reife und eine abgeschlos­sene zweijährig­e Berufsausb­ildung in einem sozialpäda­gogischen, pädagogisc­hen, sozialpfle­gerischen, pflegerisc­hen oder rehabilita­tiven Beruf. Die berufliche Erstausbil­dung ist in der Regel der Abschluss als Kinderpfle­ger.

Das Personal im Pfiffikus legt sehr viel Wert auf Selbststän­digkeit und Eigenveran­twortung. Nach der Brotzeit an den kleinen Tischen spült jedes Kind seinen Teller ab und legt ihn wieder in die Schublavor­bei de. Antonia hilft mir dabei, meine Tasse zu spülen und sie wieder an den richten Platz zu stellen, bevor der Stuhlkreis beginnt. Lange könnte ich nicht auf den kleinen Stühlen sitzen, aber für die Geschichte, die ich vorlesen darf, geht das.

Im Laufe des Morgens wird mir immer deutlicher, wie prägend die Kindergart­enzeit ist. Ihr Stellenwer­t für die kindliche Entwicklun­g in der Gesellscha­ft ist sehr hoch anzusiedel­n. Die Namen meiner Lehrer auf dem Gymnasium habe ich fast alle vergessen, dass „Tante Bille“meine Kindergärt­nerin war, ist mir aber gegenwärti­g. Ich bin sicher, dass auch Veronika, Maximilian, Maria, Lena, Niklas oder Antonia – das sind die Namen, die ich mir zwar merken, aber nicht mehr zu den Kindern zuordnen kann – auch von ihrer Zeit im Pfiffikus zehren werden.

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Fotos: Bolten Als Praktikant liest Uwe Bolten den Kindern der Sonnenblum­engruppe unter Aufsicht von Kinderpfle­gerin Jenny Kron vor.
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Auch Hausarbeit muss natürlich sein: Gemeinsam mit Kindergart­enkind Anto nia erledigt Praktikant Uwe Bolten den Abwasch.

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