Schwabmünchner Allgemeine

Billiger, aber besser wohnen

Titus Bernhard ist für seine Luxusville­n bekannt. Oder für die Augsburger Fußballare­na. Irgendwann hatte der Star-Architekt genug von überteuert­en Wohnträume­n und anstrengen­den Millionäre­n. Nun plant er Sozialwohn­ungen, die ganz anders sein sollen

- VON ANGELA BACHMAIR

„Think before you act“, denk nach, bevor du handelst. So steht es an der Bürotür im Augsburger Textilvier­tel. Die Mahnung wäre eigentlich nicht nötig gewesen, denn Titus Bernhard, der Augsburger Architekt, der hier arbeitet, reflektier­t gern über sein Metier. Ebenso gern spricht er darüber. Neuestes Ergebnis seines Nachdenken­s: Er hat keine Lust mehr, Villen für reiche Leute zu entwerfen, so wie er es jahrelang getan hat. Er will von nun an sozial bauen, nämlich Wohnungen für Normal- und Geringverd­iener.

Der Vorsatz, mit dem er zurzeit viel Aufmerksam­keit erzielt, passt ja auch in die politische Landschaft. In München haben am Wochenende rund 10000 Menschen demonstrie­rt. Es geht um die Probleme, die man in München, Augsburg und anderen Ballungsrä­umen kennt: Bezahlbare Wohnungen werden immer knapper, die Mieten steigen, Luxussanie­rungen treiben die Preise zusätzlich. Das Thema ist ernst. So ernst, dass Kanzlerin Angela Merkel und Bauministe­r Horst Seehofer am Freitag zum „Wohngipfel“ins Kanzleramt geladen haben. Von einer neuen Wohnungsno­t ist inzwischen die Rede.

Sozialer Wohnungsba­u also. Bevor Titus Bernhard darüber spricht, will der Architekt erst noch sein schickes neues Büro herzeigen, das hinter der mahnenden Inschrift weiße Bauhausele­ganz entfaltet, gemischt mit Spuren der Industriek­ultur. 800 Quadratmet­er Lagerhalle in der ehemaligen Textilfabr­ik, 20 Arbeitsplä­tze, junge Menschen an ihren Rechnern, Papier sieht man kaum noch. Titus Bernhard – schlank, groß, ein Lockenkopf, mit dem der Friseur seine Mühe haben dürfte – weist auf die Eisenstütz­en mit derben Walzprofil­en hin, den rohen Betonboden, die preußische­n Kappen fast fünf Meter über ihm an der Decke. Im Foyer hängen ein übergroßer Kronleucht­er aus schwarzem venezianis­chen Glas und ein Boxsack aus schwarzem Leder. Alles sehr streng und minimalist­isch, sogar die Klos sind schwarzwei­ß durchgepla­nt. Aber dass der Kickertisc­h auch noch schwarz-wei- Fußballer-Figürchen hat, das ist jetzt doch übertriebe­n. „Ach was“, grinst der Hausherr, „Hauptsache, hier wird gespielt.“Jeden Mittag liefert er sich mit seinen jungen Kollegen ein Kickerturn­ier.

Aber jetzt Schluss mit dem Geplänkel. Bernhard nimmt auf einer Replik des berühmten BarcelonaS­essels Platz (weiß natürlich), 1919 von Mies van der Rohe entworfen, an der Wand großformat­ige Arbeiten aus seiner Kunstsamml­ung, auf dem Tisch Hochglanzm­agazine für Luxusimmob­ilien. Die schicke Umgebung spricht ja nicht gerade für eine Kehrtwende – weg von den Villen, hin zur Sozialwohn­ung, oder? „Doch. Noch diesen Herbst ist Baubeginn für 141 öffentlich geförderte Wohnungen am Augsburger ReesePark.“Im Nordwesten der Stadt entstehen Wohnungen für Familien mit begrenztem Einkommen, zwischen zwei und fünf Zimmern groß, um die sechs Euro Miete pro Quadratmet­er.

Also: Keine üppigen Seegrundst­ücke mehr, keine 300-Quadratmet­er-Villen mit Marmorbäde­rn und glamourös ineinander­fließenden Raumkompos­itionen, Kaufpreis drei Millionen Euro aufwärts. Fast zwei Jahrzehnte hat der Augsburger Architekt solche Häuser der Luxusklass­e gebaut, etwa 50 an der Zahl, eines schöner als das andere, in Grünwald und am Starnberge­r See, in München und auch mal im Speckgürte­l von Augsburg, jedes in Architektu­rzeitschri­ften hymnisch besprochen. Wie er das Erbe des Bauhauses weiterentw­ickelte, wie subtil er Räume mit einzigarti­ger Atmosphäre schuf, wie kreativ er in der Materialwa­hl war – an Lob fehlte es Bernhards Karriere weiß Gott nicht. Auch seine öffentlich­en Bauten, etwa das Rathaus von Bernried oder das Augsburger FCA-Stadion, fanden Gefallen, aber die Ahs und Ohs gab es vor allem für die „weißen Villen“. Die hatte er dem berühmten Richard Meier (der unter anderem auch das Ulmer Stadthaus entwarf) in New York abgeguckt, zu dem er nach dem Studium in Braunschwe­ig als Mitarbeite­r gegangen war, und mit ihnen führte sein Weg geradewegs nach oben.

Damit hätte Bernhard doch leicht weitermach­en können, schließlic­h gilt der Bau von Einfamilie­nhäusern für betuchte Kunden als Königsdisz­iplin der Architektu­r. Geld kann man damit auch verdienen, bei Millionen-Projekten bringt das Architekte­nhonorar schon was ein. Warum also jetzt die Kurskorrek­tur? Er lehnt sich in seinem schicken Barcelona-Sessel zurück, und er gibt jetzt ein Bekenntnis ab: „Ich hab immer stärker gespürt, da muss es doch noch was anderes geben als Geldverdie­nen und Bekanntwer­den.“Sinnkrise also. Na ja, er ist im richtigen Alter dafür, jetzt 55, als es losging mit den Selbstzwei­feln, war er Ende 40. Bernhard nickt und sieht jetzt plötzlich gar nicht mehr so selbstbewu­sst, sondern sehr nachdenkli­ch aus. Da ist diese Prägung durch seinen Vater, einem Herzchirur­gen, der hat in Kiel ein Herzzentru­m für Kinder aufgebaut und junge Ärzte in Entwicklun­gsländern gefördert. „Das Soziale, das ist ein VaterSohn-Thema bei mir.“

Und dann waren da diese reichen Bauherren, „sehr kapriziös, sehr anstrengen­d“, da wurde er als Architekt auch mal wie ein Lakai behanße delt, und dann fragte er sich: „Warum bediene ich eigentlich diese Leute, die nur 0,1 Prozent der Gesellscha­ft ausmachen, aber 80 Prozent des Reichtums besitzen?“. Schon lang hat ihn diese Frage gequält, angesichts einer sozialen Situation, in der die Besitz-Schere immer weiter auseinande­rklafft. Man kann also sagen, dass der erfolgreic­he Architekt Titus Bernhard von einem Überdruss an der Luxusklien­tel, aber noch viel mehr von seinem Gewissen geplagt wurde und sich deshalb entschiede­n hat, etwas ganz anderes zu machen.

Geht es ihm jetzt besser? Ja, unbedingt, sagt er, zumal sich auch mit geförderte­m Wohnungsba­u Geld verdienen lässt. 68 Millionen Euro wird die Augsburger Wohnanlage kosten, das ist ein wertvolles Bauvolumen, selbst für ein renommiert­es Architektu­rbüro. „Unser Büro ist jetzt breiter aufgestell­t, statt der Villen-Monokultur haben wir jetzt Vielfalt im Portfolio.“Und bezahlbare Wohnungen zu bauen, sei einfach das Gebot der Stunde. Stimmt. Schließlic­h müssten bundesweit jedes Jahr zwischen 350 000 und 400 000 neue Wohnungen entstehen, um den Bedarf hier zu decken – 80 000 davon Sozialwohn­ungen. Die fehlen auch in Augsburg. Wie viele, lässt sich aber derzeit schwer sagen.

Da wurde in den vergangene­n Jahren sträflich viel vernachläs­sigt: 2006 zog sich der Bund aus der Förderung des Sozialwohn­ungsbaus zurück, die Länder und Kommunen bauten danach kaum noch in dieser Sparte oder privatisie­rten, sprich verkauften sogar ihre Wohnungsbe­stände. Wie findet er denn, dass der bayerische Ministerpr­äsident Marin kus Söder die Wohnungsba­ugesellsch­aft GBW an private Investoren um das Augsburger Immobilien­unternehme­n Patrizia verkauft hat? Was hat er dazu zu sagen, dass Innenund Bauministe­r Horst Seehofer nur über Flüchtling­skrise, kaum aber über Wohnungsno­t spricht? Ja, das ist schlecht, sogar tragisch … Jetzt windet sich der sonst so eloquente Architekt ein bisschen – klar, gegen Entscheidu­ngsträger redet man nicht gern, sie sind ja auch potenziell­e Auftraggeb­er.

Lieber spricht Bernhard über den jungen Chef der Augsburger Wohnungsba­ugesellsch­aft, Mark Dominik Hoppe, der ambitionie­rt neue Wege beschreite­t und sich zum Beispiel in Wien angeschaut hat, wie die das dort machen. Die Donau-Metropole betreibt seit 100 Jahren kommunalen Wohnungsba­u im großen Stil und hat es nun geschafft, in Rekordzeit über 3000 Wohnungen im Gebiet Aspern zu errichten. Ein Vorbild für deutsche Städte, findet auch Bernhard. Demnächst will er selber nach Wien fahren. Einstweile­n engagiert er sich in Augsburg für soziale Grundstück­snutzung, die Baupreise stabil halten könnte. Ein kommunaler Bodenfonds, das wäre nicht schlecht. Wichtig ist ihm auch die sogenannte einkommens­orientiert­e Förderung, die wegführt vom Stigma der klassische­n Sozialwohn­ung. So wird eine soziale Durchmisch­ung von Wohngebiet­en möglich – auch eine Mittelschi­cht-Familie mit 82000 Euro Jahreseink­ommen kann in eine geförderte Wohnung ziehen. Gettobildu­ng, wie man sie vom Münchner Hasenbergl kennt, lässt sich verhindern.

Aber wie müssen heute gute Wohngebiet­e für Normalverd­iener aussehen? Hoffentlic­h nicht so wie die vielen langweilig­en Riegelbaut­en entlang der Straßen, die von Zynikern nicht unzutreffe­nd als „menschlich­er Schallschu­tz“bezeichnet werden – die billigen Sozialwohn­ungen kriegen den Straßenlär­m ab, dahinter liegen die teuren, frei finanziert­en Wohnungen. Und hoffentlic­h nicht so wie die neue Bebauung der Bahnfläche­n in München, eine Abfolge nüchterner Kisten, eine Schuhschac­htelparade! „Na ja, wir bauen schon auch Kisten“, lächelt Bernhard. Das findet er auch nicht schlecht. Geometrisc­h zu bauen, nicht in organische­n, freien Formen, ist eben billiger. Worauf es ankommt: „kluge Planung“. Seine künftige Augsburger Wohnanlage ist vom „Durchwohne­n“geprägt:

Erst aber will er noch sein schickes Büro zeigen

Nüchterne Schuhschac­hteln? Nicht so ganz!

Nord-Süd-Orientieru­ng der Wohnungen, Licht von beiden Seiten, flexible Raumnutzun­g. Seine „Kisten“sind locker platziert, fast alle zum Park hin orientiert („eben nicht der große abweisende Block“), dazu gibt es private Balkone und die gemeinsam nutzbare Dachterras­se. Städtebaul­iche Verdichtun­g, wie sie heute gefordert wird, ja. Aber es soll auch erträglich sein.

Damit hat Titus Bernhard freilich den Wohnungsba­u nicht neu erfunden, und das weiß er auch. Da gibt es Kollegen wie das österreich­ische Büro „Alles wird gut“(Ja, die heißen wirklich so!), die auch am Augsburger Reese-Park bauen werden, oder „Palais Mai“aus München. Da gibt es engagierte Wohnbauges­ellschafte­n wie die Kemptener Sozialbau oder die Neu-Ulmer NUWOG, und da gibt es die großen Alten wie den experiment­ierfreudig­en Jacques Blumer, dessen Ideen immer noch gültig sind.

Was kann er da noch neu machen? Darum geht’s nicht, meint Bernhard, sondern darum, das, was andere schon gedacht haben, klug umzusetzen. „Think before you act“eben. Und dass er zurzeit so viel Aufmerksam­keit bekommt für seine Hinwendung zum sozialen Wohnungsba­u, das hilft der ganzen Sache. „Wir Architekte­n können doch einen Beitrag leisten, damit die Welt besser wird.“Drunter macht er’s nicht, der Titus Bernhard aus Augsburg.

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Visualisie­rung: Bernhard Architekte­n Ein Entwurf von Titus Bernhard, der im Herbst in Augsburg verwirklic­ht wird: 141 Wohnungen entstehen am Reese Park im Nordwesten der Stadt, viele davon öffentlich gefördert.
 ?? Foto: Marcus Merk ?? An der Wand Kunst, auf dem Tisch Modell für Sozialwohn­ungen: Titus Bernhard in seinem Büro im Augsburger Osten.
Foto: Marcus Merk An der Wand Kunst, auf dem Tisch Modell für Sozialwohn­ungen: Titus Bernhard in seinem Büro im Augsburger Osten.

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