Schwabmünchner Allgemeine

So schmeckt England

In Großbritan­nien ist der Cheddar ein Klassiker, doch auch in Deutschlan­d wird er immer beliebter. Zu Besuch im Örtchen Cheddar, wo der Käse in riesigen Höhlen den perfekten Reifegrad erreicht

- VON KATRIN PRIBYL

Cheddar Die Augen brauchen einen Moment, um sich an die Dunkelheit der Höhle zu gewöhnen. Es ist kühl und die uralten Kalkstein-Formatione­n sorgen für eine geheimnisv­olle Atmosphäre. Doch die Besucher der Cheddar Gorge, der größten Felsschluc­ht im Vereinten Königreich mit ihren zahlreiche­n Höhlen, lernen nicht nur, dass hier ein vollständi­ges, 9000 Jahre altes Skelett eines Höhlenbewo­hners entdeckt wurde. Sie stehen irgendwann auch vor zwei käfigartig­en Gehäusen. Darin liegen: dutzende Käselaibe. Schwer und dick, groß und rund harren die Exemplare der Sorte Cheddar in einer Reihe ihrer perfekten Reife.

John Higdon kommt zwei bis drei Mal die Woche vorbei, bringt frische Laibe und holt jene ab, die nach zwölf bis 18 Monaten in hundertpro­zentiger Luftfeucht­igkeit bereit zum Genuss sind. Oder er wendet die bis zu 25 Kilogramm schweren Stücke. „Hier bekommt der Käse seine charakterv­olle Note, weil er den Geschmack seiner Umgebung annimmt“, sagt der 49-Jährige. Er ist einer der Käser der Cheddar Gorge Cheese Company, dem mittlerwei­le einzigen Produzente­n des Ortes in der südenglisc­hen Grafschaft Somerset, dem der berühmte Käse seinen Namen verdankt. Sechs Laibe machen er und sein Team in Handarbeit pro Tag und nicht selten kommt es vor, dass er nachts vor Sorge aufschreck­t, weil etwas schieflief. „Man schaltet als Käsemacher nie ab, es ist eine Leidenscha­ft“, sagt John Higdon und zeigt in den Raum, wo sie täglich nicht pasteurisi­erte Milch von Kühen aus der Region in den Traditions­käse verwandeln.

Während bei den Briten Cheddar schon seit jeher die beliebtest­e Sorte darstellt und auch in anderen englischsp­rachigen Ländern hoch im Kurs steht, gewinnt er in Deutschlan­d erst seit einigen Jahren immer mehr Fans. Mittlerwei­le finden sich zunehmend Versionen in den deutschen Supermarkt­theken und bei den Discounter­n. „Es ist ein leichter Käse, ob man ihn pur essen oder zum Kochen benutzen will“, sagt Higdon.

Der erste schriftlic­he Beleg für Cheddar reicht ins Jahr 1655 zurück, obwohl schon im späten 12.Jahrhunder­t Käse in den Höhlen des idyllische­n Dorfs gelagert wurde. Sie dienten als natürliche Kühlschrän­ke. Es war jedoch erst im 19. Jahrhunder­t, als der Molkereibe­sitzer Joseph Harding, der Vater des Cheddar, die Produktion mithilfe neuer Methoden und Maschinen modernisie­rte. So entstand denn auch das angeblich größte Stück, das einst aus der Milch von 750 Kühen gemacht wurde. Der Mega-Cheddar war ein Hochzeitsg­eschenk an Königin Victoria.

Der englische Käse begann seinen globalen Siegeszug. So nahm etwa der britische Polarforsc­her Robert Falcon Scott im Jahr 1901 fast 1600 Kilo Cheddar mit auf seine berühmte Expedition in die Antarktis. Dass die Hersteller heute nicht am Geburtsort sitzen, sondern in anderen Gegenden Somersets und vor allem in den Grafschaft­en Cornwall, Devon sowie Dorset Käse machen, liegt zum einen an der Lage, die nicht ideal für die Massenprod­uktion ist, wie John Spencer, Chef der Cheddar Gorge Cheese Company, zugibt.

Zum anderen ist die Sorte, anders als etwa Camembert, nicht als geschützte Herkunftsb­ezeichnung in der EU eingetrage­n und darf deshalb überall auf der Welt produziert und unter dem Namen verkauft werden. Lediglich der West Country Farmhouse Cheddar ist geschützt.

Spencer und seine Frau Katherine haben die Käserei im Jahr 2003 übernommen. Sie produziere­n traditione­ll-handgemach­ten Käse, 70 Tonnen im Jahr, der authentisc­h sein soll. Ohne Bestrebung­en, zu wachsen. „Das würde sich auf die Qualität auswirken“, so der Geschäftsf­ührer. Vielmehr wolle er die Fertigkeit­en zur traditione­llen Käseherste­llung weitergebe­n an künftige Generation­en.

Das ist auch das Ziel des Experten John Higdon. Sein Vater war schon Käser, seine beiden Brüder sind ebenfalls dem Job verfallen. Familientr­adition. „Wir machen Cheddar nicht nach der Uhr, sondern gehen danach, was der Käse uns sagt.“Ganz einfach.

 ?? Foto: K. Pribyl ?? Käser John Higdon macht pro Tag sechs Laibe.
Foto: K. Pribyl Käser John Higdon macht pro Tag sechs Laibe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany