Jagdwurst und Marmelade zum runden Geburtstag
Erika Kudrisch aus Untermeitingen feiert ihren 90. Ein besonderer Gast ist aus Hannover angereist
Erika Kudrisch sitzt auf ihrem Sofa, die Arme verschränkt sie vor ihrem blauen Strickjäckchen und lächelt. „Heute fühl ich mich wohl“, sagt sie. Mit 90 Jahren ist das keine Selbstverständlichkeit und das Leben an manchen Tagen beschwerlich – aber heute, an ihrem runden Geburtstag, da will Kudrisch feiern.
Dicht bei ihr auf dem Sofa sitzt ein Gast aus Hannover. „Schön, dass du heute da bist“, sagt Kudrisch zu der blonden Frau und strahlt. Der Gast ist Caty Leinemann – sie ist in jenem Haus aufgewachsen, in dem Kudrisch mehr als 30 Jahre gelebt hat. „Frau Kudrisch war bei uns die gute Fee des Hauses“, erzählt sie. 1965 kam Kudrisch, die aus Schlesien stammt, nach Hannover. 1966 wurde Leinemann geboren. „Den besten Eierkuchen hat Torje gemacht“, erinnert sich Leinemann. Torje – so hat sie Kudrisch genannt, als sie ein Kind war und den Namen der Nachbarin noch nicht aussprechen konnte. „Wenn meine Eltern einmal fort waren, bin ich immer zu Torje. Sie war für mich eine Großmutter.“Ihre liebste Erinnerung an die gemeinsame Zeit? Da flüstert Kudrisch ihr etwas ins Ohr und beide kichern.
„Wir sehen uns ganz selten, aber wir haben nie den Kontakt verloren“, sagt Leinemann. Den 90. Geburtstag nahm sie zum Anlass: „Ich hab ihr versprochen: Zum 90. komme ich und dann machen wir Party.“Kudrisch hat auch einen Plan: „Wir trinken erst mal einen Schluck Kaffee und essen Kuchen.“
Die Dame mit den feinen grauen Locken lebt seit 18 Jahren in Untermeitingen. Doch an diesem Tag denkt sie auch weit zurück, an die Zeit in Schlesien, wo sie 1928 geboren wurde. „Ich kann mich an alles erinnern, wie es zu Hause war“, sagt sie. „Mittwochs gab es immer Schweinebraten mit Rotkohl.“Sie denkt auch gerne an die Zeiten in Hannover. Das sind die leichten, süßen Momente. Doch wenn sie sich an ihren verstorbenen Mann erinnert, da kommen ihr ein paar Tränen. Leinemann legt den Arm um sie.
Kudrisch hat es nicht einfach, hier im dritten Stock, in der Hunnenstraße. Kein Aufzug, nur Treppen, das Laufen fällt ihr sehr schwer. Doch ihre Schwester Helga Rupprecht ist vor Ort und kümmert sich um sie. Sie war auch der Grund, warum Erika Kudrisch nach Untermeitingen kam. Seither lebt Kudrisch in der Wohnung, mit Blumenbildern und Erinnerungen, die als schwarz-weiße Fotografien an den Wänden hängen.
Über Polen gelangte Kudrisch damals von Schlesien nach Hannover. Durch die Wirren der Kriegsjahre und der Flucht verlor sie den Kontakt zu ihren Geschwistern – doch sie fanden sich bald wieder. Und heute sitzen die Schwestern auf dem Sofa, gemeinsam mit Kudrischs Nichte und Caty Leinemann.
Die Geburtstagsgeschenke sind Teil der Erinnerung. Die Nichte bringt Marmelade aus Sylt, wo Kudrisch in jedem Jahr ihren Urlaub verbrachte. Aus Hannover erhält sie Gersterbrot und Jagdwurst mit Knoblauch. „Das bring ich immer mit“, sagt Leinemann.
Und daneben steht auch ein Geschenkkörbchen der Gemeinde. Sonja Storch, Untermeitingens Zweite Bürgermeisterin, hat ihn überreicht. So gibt es neben Jagdwurst, Brot und Marmelade auch Spezialitäten aus Untermeitingen, ihrer Heimat seit 18 Jahren.