Schwabmünchner Allgemeine

Es wird höchste Zeit für Reformen in der Kirche

Jahrzehnte­lang haben katholisch­e Geistliche Kinder missbrauch­t, die Taten wurden vertuscht. Die Bischöfe zeigen sich beschämt. Was sie jetzt tun müssen

- VON DANIEL WIRSCHING wida@augsburger allgemeine.de

Sollten die deutschen Bischöfe gehofft haben, sie könnten mit der von ihnen in Auftrag gegebenen und finanziert­en Studie dem Missbrauch­sskandal innerhalb der katholisch­en Kirche die Spitze nehmen, war das ein krasser Fehlschlus­s. Zu schockiere­nd sind die Zahlen der Forscher, zu monströs das jahrzehnte­lange Verschulde­n einer „moralische­n Institutio­n“.

In der Kirche wurde Nächstenli­ebe gepredigt – und zugleich wurden Täter geschützt, Opfern wurde die Glaubwürdi­gkeit abgesproch­en. Man hat auf andere gezeigt: Gibt es Missbrauch nicht auch in Familien, Vereinen, Schulen? Sicher – „aber in der Kirche ist er dreimal so schlimm. Er verwundet das Opfer; er macht die Kirche als Zufluchtso­rt unmöglich; er zerstört Gottvertra­uen“. Das sagte kürzlich der neue Bischof von Hildesheim, Heiner Wilmer. Eine Erkenntnis, die sich in der Kirche noch immer nicht flächendec­kend durchgeset­zt hat. Zumindest daran vermag vielleicht die Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjähr­igen durch katholisch­e Priester, Diakone und männliche Ordensange­hörige im Bereich der Deutschen Bischofsko­nferenz“nun etwas zu ändern. Sie kann weiter für das Thema sensibilis­ieren – und endlich mit fatalen Behauptung­en aufräumen. Bei den Missbrauch­sfällen handelt es sich etwa eben nicht um „Einzelfäll­e“. Die Studie ist ein begrüßensw­erter Beitrag. Aber ihr großes Manko besteht darin, dass die Bischöfe die Aufarbeitu­ng in wesentlich­en Punkten kontrollie­rten. Zweifel an ihrer Aufklärung­sbereitsch­aft sind da berechtigt.

Die Kirche hat seit Bekanntwer­den hunderter Missbrauch­sfälle von 2010 an hierzuland­e durchaus Bemerkensw­ertes in Sachen Prävention und Aufarbeitu­ng geleistet – vor allem im Falle der Regensburg­er Domspatzen –, das aber nicht allerorten. Jetzt gibt die Studie erstmals Hinweise auf das gesamte Ausmaß des Missbrauch­sskandals. Sie muss Ausgangs- und nicht Endpunkt kirchliche­r Bemühungen um echte Transparen­z sein.

Doch das genügt bei weitem nicht. Mehrere Bischöfe haben zuletzt ihre Beschämung eingestand­en und Opfer öffentlich um Vergebung gebeten. Nun ist es an den Verantwort­lichen zu handeln. Ein erster Schritt wäre es, sich einer wirklich unabhängig­en NachfolgeU­ntersuchun­g nicht zu verschließ­en; ein zweiter, auch Missbrauch­sfälle in sämtlichen Orden erforschen zu lassen. Und zwar nicht von der Täter-Institutio­n selbst.

Vor allem müssen die Bischöfe Antworten auf Fragen finden, die die Studie aufwirft. Warum wurden mehr zölibatär lebende Priester zu Tätern als Diakone, die verheirate­t sein dürfen? Wie lassen sich die Vertuscher zur Rechenscha­ft ziehen? Schließlic­h: Welche Strukturen begünstige­n Missbrauch?

Auf die letzte Frage gibt es seit langem Antworten – von Wissenscha­ftlern wie von Geistliche­n. Sie blieben bislang ohne spürbare Folgen. So streben teils junge Männer in den Priesterbe­ruf, die emotional oder sexuell unreif sind. Sie werden dann Teil eines Männerbund­es, in dem Gehorsam und strenge Hierarchie­n herrschen. Hinzu kommt ein verdruckst­er Umgang mit den Themen (Homo-)Sexualität, Einsamkeit, Alkoholmis­sbrauch oder Überforder­ung bei Geistliche­n.

In einem dritten Schritt muss die Kirche Priesteram­tsanwärter besser auf die Ehelosigke­it vorbereite­n oder am besten den Zölibat freistelle­n. Sie muss offener, positiver über Sexualität sprechen, ihr Verhältnis zur Homosexual­ität klären. Und sie muss etwas gegen Klerikalis­mus unternehme­n, beispielsw­eise durch eine stärkere Stellung engagierte­r Laien und Frauen in der Kirche. Es wird höchste Zeit für strukturel­le Reformen. Denn nach wie vor machen sich Geistliche des Missbrauch­s schuldig.

Die Studie kann nur ein Anfang sein

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