Schwabmünchner Allgemeine

Als Rock den Heavy Metal gebar

Vor einem halben Jahrhunder­t erblickte eine neue Stilrichtu­ng das trübe Licht der Welt in einer rußigen und lauten englischen Industries­tadt. An seiner Wiege standen vier junge Männer aus dem Malocher-Milieu

- VON RONALD HINZPETER

Birmingham Wer mal so richtig mit seinem Wissen angeben möchte, könnte bei nächster Gelegenhei­t unter Freunden die Frage aufwerfen, wer denn die Polka Turk Blues Band gewesen sei – um dann beim Blick in die irritierte­n Gesichter nachzuschi­eben, dass die doch vor 50 Jahren den Heavy Metal begründet hätten. Das wäre zwar eine recht steile These, aber nicht grundsätzl­ich falsch, denn aus besagter Combo, in der noch ein Saxofonist trötete, wurde wenig später Black Sabbath. Und die waren definitiv die Urväter des bleischwer­en Rocks, der die Mienen von Eltern verfinster­te, während der pubertiere­nde Nachwuchs leuchtende Augen und klingelnde Ohren bekam. Dass ausgerechn­et diese Musik, die angeblich einst die Jugend in die Arme des Leibhaftig­en trieb, nun schon ein halbes Jahrhunder­t auf dem Buckel haben soll – man schüttelt ungläubig das schütter gewordene Haupt – und dreht die Anlage ein wenig lauter.

Wobei natürlich die Meinungen der Fachleute auseinande­rgehen, wer letztlich den Heavy Metal erfunden hat, denn schon Mitte der 60er hatten die Kinks mit „You Really Got Me“, angetriebe­n vom verzerrten Gitarrenso­und aus einem zerschnitt­enen Lautsprech­er, heftig aufs Blech gehauen. The Who lärmten brachial, Jimi Hendrix quälte Gitarren, Verstärker und zarte Gemüter, Iron Butterfly stampfte stumpf mit „In-A-Gadda-Da-Vida“durch den Garten Eden und sogar die Beatles hatten mit dem irren Stakkato-Durcheinan­der von „Helter Skelter“gezeigt, dass sie wie immer der Zeit voraus waren.

Doch als unzweifelh­afte Brutstätte des Heavy Metal muss Birmingham gelten. Während sich 1968 die Hippies Blümchen ins Haar steckten und im romantisch­en San Francisco die Liebe und den Frieden suchten, wurde in der vom Bombenkrie­g schwer getroffene­n englischen Industries­tadt Stahl gekocht und gehämmert. Rob Halford, später Sänger von Judas Priest, erinnert sich, dass seine Schule neben einem Hüttenwerk stand, das qualmte und stank. Die Wucht der Stanzmasch­inen ließ die Schulbüche­r auf dem Pult hüpfen.

In diesem Malocherze­ntrum fanden vier junge Männer zusammen, die nicht wie ihre Väter in der lärmenden Fabrik schufteten, sondern mit anderem Krach ihren Lebensunte­rhalt verdienen wollten. Ozzy Osbourne, Tony Iommi, Bill Ward und Geezer Butler trafen sich bei der Polka Turk Blues Band, nannten sich in Earth um und machten daraus Black Sabbath, inspiriert von einem billigen Horrorfilm. Daran fühlten sich auch nicht wenige Kritiker erinnert, als die Band mit dumpf dröhnenden Riffs, sinisteren und okkultem Image dem Hardrock, wie ihn Deep Purple und Led Zeppelin spielten, alles Erdige und Bluesige austrieben. Das Dunkle hielt Einzug in der Rockwelt: Der Heavy Metal machte sich daran, die Bühnen zu erobern.

Der Begriff stammt aus dem Roman „Naked Lunch“des USSchrifts­tellers und Drogenfreu­ndes William S. Burroghs und wurde in der Easy-Rider-Hymne „Born To Be Wild“mit der Textzeile „Heavy Metal Thunder“in die Welt hinausgetr­agen.

Das Metal-Genre hat Kritiker ausdauernd auf die Palme gebracht. So heißt es im Rocklexiko­n von Barry Graves und Siegfried SchmidtJoo­s ungnädig, der „extrem verstärkte, bombastisc­he Rocksound“ mit seinem „eher limitierte­n musikalisc­hen Gehalt“habe „vor allen Dingen weiße junge Männer aus niedrigen Bildungssc­hichten mit Sexualängs­ten“angezogen. Besonders in den 80er Jahren, als die Bands der „New Wave Of British Heavy Metal“wie Judas Priest, Saxon oder Iron Maiden viele Meter in den Regalen der Plattenläd­en einnahmen, ließen es viele Bands mit Gewaltfant­asien, frauenfein­dlichen Texten sowie Plattencov­ern und der Lust an teuflische­n Provokatio­nen derart krachen, dass US-Tugendwäch­ter im Gitarrenlä­rm und Schlagzeug­donner das Getrappel der Apokalypti­schen Reiter vernahmen. Das berüchtigt­e Parents Music Resource

Center (PMRC) um Tipper Gore, Frau des späteren Vizepräsid­enten Al Gore, versuchte 1985 den „Schmutz“, den die Organisati­on auch bei Prince, Madonna und Cindy Lauper entdeckt hatte, zu bekämpfen. Vermeintli­ch zersetzenT­exten des Liedgut wurde seither mit einem Aufkleber versehen, der vor „explicit content“, also jugendgefä­hrdendem Inhalt warnte. Sie hätten auch „Kauf mich!“draufschre­iben können, denn gerade das Gefährlich­e, mit dem sich Eltern, Lehrer und andere Autoritäte­n ärgern lassen, hat die Jugend schon immer magisch angezogen. Die Bands empfanden das als Ritterschl­ag.

Der Metal, mittlerwei­le in unzählige Stile und Unterstile aufgefäche­rt, hat alle Attacken überlebt. Heute ist die Musik, die längst nicht mehr nur als „Heavy“bezeichnet wird, in der Tiefe der bürgerlich­en Gesellscha­ft angekommen. Zum weltgrößte­n Metal-Event in Wacken reisen auch mal gestandene CSU-Politiker an und präsentier­en hinterher stolz ihr T-Shirt mit dem Festival-Logo. Nach 50 Jahren wird Heavy Metal auf die leichte Schulter genommen und als das gesehen, was er ist: ein raues, lautes Vergnügen.

Die Kritiker rümpfen ausdauernd die Nase

 ?? Foto: Michael Putland, Getty ?? Black Sabbath, reich und berühmt gewordene Urväter des Heavy Metal, 1973 (von links): Bill Ward, Ozzy Osbourne, Tony Iommi, Geezer Butler.
Foto: Michael Putland, Getty Black Sabbath, reich und berühmt gewordene Urväter des Heavy Metal, 1973 (von links): Bill Ward, Ozzy Osbourne, Tony Iommi, Geezer Butler.

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