Als Rock den Heavy Metal gebar
Vor einem halben Jahrhundert erblickte eine neue Stilrichtung das trübe Licht der Welt in einer rußigen und lauten englischen Industriestadt. An seiner Wiege standen vier junge Männer aus dem Malocher-Milieu
Birmingham Wer mal so richtig mit seinem Wissen angeben möchte, könnte bei nächster Gelegenheit unter Freunden die Frage aufwerfen, wer denn die Polka Turk Blues Band gewesen sei – um dann beim Blick in die irritierten Gesichter nachzuschieben, dass die doch vor 50 Jahren den Heavy Metal begründet hätten. Das wäre zwar eine recht steile These, aber nicht grundsätzlich falsch, denn aus besagter Combo, in der noch ein Saxofonist trötete, wurde wenig später Black Sabbath. Und die waren definitiv die Urväter des bleischweren Rocks, der die Mienen von Eltern verfinsterte, während der pubertierende Nachwuchs leuchtende Augen und klingelnde Ohren bekam. Dass ausgerechnet diese Musik, die angeblich einst die Jugend in die Arme des Leibhaftigen trieb, nun schon ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel haben soll – man schüttelt ungläubig das schütter gewordene Haupt – und dreht die Anlage ein wenig lauter.
Wobei natürlich die Meinungen der Fachleute auseinandergehen, wer letztlich den Heavy Metal erfunden hat, denn schon Mitte der 60er hatten die Kinks mit „You Really Got Me“, angetrieben vom verzerrten Gitarrensound aus einem zerschnittenen Lautsprecher, heftig aufs Blech gehauen. The Who lärmten brachial, Jimi Hendrix quälte Gitarren, Verstärker und zarte Gemüter, Iron Butterfly stampfte stumpf mit „In-A-Gadda-Da-Vida“durch den Garten Eden und sogar die Beatles hatten mit dem irren Stakkato-Durcheinander von „Helter Skelter“gezeigt, dass sie wie immer der Zeit voraus waren.
Doch als unzweifelhafte Brutstätte des Heavy Metal muss Birmingham gelten. Während sich 1968 die Hippies Blümchen ins Haar steckten und im romantischen San Francisco die Liebe und den Frieden suchten, wurde in der vom Bombenkrieg schwer getroffenen englischen Industriestadt Stahl gekocht und gehämmert. Rob Halford, später Sänger von Judas Priest, erinnert sich, dass seine Schule neben einem Hüttenwerk stand, das qualmte und stank. Die Wucht der Stanzmaschinen ließ die Schulbücher auf dem Pult hüpfen.
In diesem Malocherzentrum fanden vier junge Männer zusammen, die nicht wie ihre Väter in der lärmenden Fabrik schufteten, sondern mit anderem Krach ihren Lebensunterhalt verdienen wollten. Ozzy Osbourne, Tony Iommi, Bill Ward und Geezer Butler trafen sich bei der Polka Turk Blues Band, nannten sich in Earth um und machten daraus Black Sabbath, inspiriert von einem billigen Horrorfilm. Daran fühlten sich auch nicht wenige Kritiker erinnert, als die Band mit dumpf dröhnenden Riffs, sinisteren und okkultem Image dem Hardrock, wie ihn Deep Purple und Led Zeppelin spielten, alles Erdige und Bluesige austrieben. Das Dunkle hielt Einzug in der Rockwelt: Der Heavy Metal machte sich daran, die Bühnen zu erobern.
Der Begriff stammt aus dem Roman „Naked Lunch“des USSchriftstellers und Drogenfreundes William S. Burroghs und wurde in der Easy-Rider-Hymne „Born To Be Wild“mit der Textzeile „Heavy Metal Thunder“in die Welt hinausgetragen.
Das Metal-Genre hat Kritiker ausdauernd auf die Palme gebracht. So heißt es im Rocklexikon von Barry Graves und Siegfried SchmidtJoos ungnädig, der „extrem verstärkte, bombastische Rocksound“ mit seinem „eher limitierten musikalischen Gehalt“habe „vor allen Dingen weiße junge Männer aus niedrigen Bildungsschichten mit Sexualängsten“angezogen. Besonders in den 80er Jahren, als die Bands der „New Wave Of British Heavy Metal“wie Judas Priest, Saxon oder Iron Maiden viele Meter in den Regalen der Plattenläden einnahmen, ließen es viele Bands mit Gewaltfantasien, frauenfeindlichen Texten sowie Plattencovern und der Lust an teuflischen Provokationen derart krachen, dass US-Tugendwächter im Gitarrenlärm und Schlagzeugdonner das Getrappel der Apokalyptischen Reiter vernahmen. Das berüchtigte Parents Music Resource
Center (PMRC) um Tipper Gore, Frau des späteren Vizepräsidenten Al Gore, versuchte 1985 den „Schmutz“, den die Organisation auch bei Prince, Madonna und Cindy Lauper entdeckt hatte, zu bekämpfen. Vermeintlich zersetzenTexten des Liedgut wurde seither mit einem Aufkleber versehen, der vor „explicit content“, also jugendgefährdendem Inhalt warnte. Sie hätten auch „Kauf mich!“draufschreiben können, denn gerade das Gefährliche, mit dem sich Eltern, Lehrer und andere Autoritäten ärgern lassen, hat die Jugend schon immer magisch angezogen. Die Bands empfanden das als Ritterschlag.
Der Metal, mittlerweile in unzählige Stile und Unterstile aufgefächert, hat alle Attacken überlebt. Heute ist die Musik, die längst nicht mehr nur als „Heavy“bezeichnet wird, in der Tiefe der bürgerlichen Gesellschaft angekommen. Zum weltgrößten Metal-Event in Wacken reisen auch mal gestandene CSU-Politiker an und präsentieren hinterher stolz ihr T-Shirt mit dem Festival-Logo. Nach 50 Jahren wird Heavy Metal auf die leichte Schulter genommen und als das gesehen, was er ist: ein raues, lautes Vergnügen.
Die Kritiker rümpfen ausdauernd die Nase