Schwabmünchner Allgemeine

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (153)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Gutenberg

Stellen Sie sich da drüben hin. Na, der Hausvater wird sich über Sie freuen, da können Sie was erleben…“

Unterdes sind Nummer drei und vier aus dem Wagen geklettert. Drei ist ein langer, schlottrig­er Mann, in ganz verbraucht­em Anzug: „Morrgen, Panje Inspektor!“sagt er.

„Halts Maul. Polski, was? Brauche von dir keinen guten Morgen!“

Aber der vierte, ein dicker, behäbiger Mann, wie ein friedliche­r Stammtisch­sitzer: „Tag, Herr Oberinspek­tor Fröschlein. Tag, Herr Fritze.

Tag, Herr Haubold. Tag, Herr Wenk. Sie sind Oberwachtm­eister geworden? Fein, ich gratuliere schön.“

Dann mit einem entschuldi­genden Lächeln: „Ich bin auch mal wieder da, aber nur eine Kleinigkei­t diesmal. Neun Monate. Kleiner Betriebsun­fall.“

Die Beamten grinsen alle erfreut.

„Na, Häberlein, was war’s denn diesmal?“

„Och, och, reden wir nicht davon, die Menschen sind ja saudumm. Verstehen keinen Spaß mehr.“Plötzlich sehr besorgt: „Ob ich meinen Posten in der Küche wiederkrie­ge? Sie wissen doch, Herr Oberinspek­tor, keiner kocht so gut wie ich.“

„Und keiner frißt so viel wie Sie, Häberlein. Na, ich werde mal mit dem Arbeitsins­pektor reden. Los, der letzte Mann. O Gott, sieht der aus!“

„Das kann man wohl sagen“, brummt ein Wachtmeist­er.

Mühsam klettert Kufalt aus dem Wagen. Sein Anzug hängt in Fetzen, sein halber Kopf steckt in einem weißen Verband, der von Blut durchtränk­t ist, sein einer Arm ist in einer Binde.

„Was haben Sie denn gemacht, Menschensk­ind?“

„Ich hab’ mich geprügelt mit einem“, sagt Kufalt.

„Sieht mehr so aus, als wenn der

Sie geprügelt hätte“, stellt der Beamte fest.

„Na, Wachtmeist­er, nehmen Sie ihm die Kette ab, er wird schon nicht türmen.“

„Will überhaupt nicht türmen“, sagt Kufalt. „Bin froh, daß ich hier bin.“

„Jemanden in die Pfanne gehauen, was?“fragt der Beamte. „Kommt Ihr Freund nicht auch hierher?“

„Glaube ich nicht. Hat Zet gekriegt.“

„Seien Sie froh, der schreibt eine kräftige Handschrif­t – Abrücken!“

„Was mache ich nun mit Ihnen“, sagt der Hausvater gedankenvo­ll. „Baden bei der Aufnahme ist Vorschrift, aber es geht doch nicht, so verbunden wie Sie sind.“

„Oh, das geht schon, Herr Hauptwacht­meister“, schmeichel­t Kufalt. „Das sieht nur so schlimm aus. Ein Bad möchte ich gerne haben. Im Untersuchu­ngsgefängn­is verdreckt man immer.“

„Na, meinethalb­en. Peter, bade ihn. Aber nicht unter der Brause. Diesmal können wir schon die Wanne nehmen.“

„Jawohl“, sagt der HausvaterK­alfaktor, ein alter Glatzkopf, „komm, Neuer.“

„Ist ein Wachtmeist­er beim Baden bei?“flüstert Kufalt.

„Kuckt höchstens mal rein. Hast was?“

„Vielleicht. Biste stiekum?“„Ich geh’ in Ordnung“, prahlt der Glatzkopf.

„Ich habe noch nie einen in die Pfanne gehauen. Mir kannste alles anvertraue­n. Ich liefere dir alles ab. Hast wohl schon mehr abgerissen?“

„Doch, doch“, sagt Kufalt. „Fünf Jahre.“

„Und jetzt?“„Sieben.“

„Au Backe, das zieht hin.“„Wat denn, wat denn“, sagt Kufalt.

„Sieben Jährchen und Backe. Da brauche ich keine Zelle für, die reiß’ ich auf der Treppe im Stehen ab.“

„Du hast ’nen Nerv.“„Wat denn? Wieso Nerv? Wie ist hier der Arbeitsins­pektor? Kriegt man hier leicht einen Druckposte­n?“

„Kommt darauf an“, sagt der Kalfaktor, die Hähne aufdrehend. Wasser stürzt in die Wanne. „Badste gerne heiß?“„Mittel. Nu wollen wir mal sehen. Hilf mir ein bißchen beim Ausziehen. Mit dem Arm geht das noch gar nicht.“

„Wer hat dich denn so durch den Wolf gedreht?“

„Mein Kumpel. Wollte mich in

der U-Haft vom dritten Stockwerk runterschm­eißen.“

„Au Backe.“

„Na, was denkst du, was ich den in die Hand gebissen habe, der hat geschrien! Wie ist denn hier der Alte?“

„So lila, wie so’n Alter eben ist. Zu sagen hat er nicht viel. Hat sich’s denn gelohnt?“

Kufalt sagt feierlich: „Hundertfün­fzigtausen­d!“

„Wie? Was? Du sohlst ja!“„Hast du nicht in der Zeitung gelesen vom Juwelenein­bruch in Hamburg bei Wossidlo?“„Natürlich! Und?“

„Habe ich gedreht!“

„Du Mensch?“Der Kalfaktor starrt bewundernd. Dann flüstert er: „Haste was beiseite gekriegt?“

Kufalt lächelt vielsagend: „Davon redet man nicht. Vielleicht erlebst du noch mal was mit mir. Kneiste mal, ob die Luft sauber ist?“

„Alles in Ordnung“, meldet der Kalfaktor gehorsam.

„Schön. Dann wickle die Binde von meinem Arm ab. So. Langsam, daß nichts ins Wasser fällt. Siehst du, da ist das erste Päckchen Tabak. So. Leg’s erst mal unter die Wanne.

In der Blechschac­htel habe ich Priem. Nochmal Tabak. Und auf ein drittes! Blättchen habe ich

auch. Streichhöl­zer auch. Gott sei Dank, daß ich den Arm wieder rühren kann. Er war schon ganz eingeschla­fen.“

Und er bewegt feste den Arm. Der Kalfaktor ist nur Bewunderun­g: „Du hast den Bogen aber raus. Ist denn gar nichts mit deinem Arm?“

„Quatsch, was soll mit dem sein? Hat mir der Lazarettka­lfaktor gemacht. Für ein Paket Tabak. Hör zu, Mensch. Hältste dicht und verpfeifst mich nicht, dann kriegst du ein halbes Paket Tabak.“

„Ein ganzes“, fordert der Kalfaktor.

„Hau ab“, sagt Kufalt und steigt in die Wanne, „wo ich selbst nur drei habe.“

„Na, du kriegst doch immer frischen.“

„Weiß man nicht, muß man erst Bescheid wissen im Bau, mit wem man schieben kann. Wann kommt der Arzt?“

„Der Arzt? Morgen!“

„Au weh. Muß ich ja meinen Verband abmachen. Werden die Zellen hier sehr gefilzt?“

„Nee. Du tust deinen Tabak am besten in die Matratze. Da wird nie nachgesehe­n. Nach Einschluß kannst du schön rauchen. Die Nachtwache sagt nichts.“

»154. Fortsetzun­g folgt

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