Schwabmünchner Allgemeine

Frostiger Neuanfang

Präsident Recep Tayyip Erdogan wird in Berlin mit allen militärisc­hen Ehren empfangen. Doch das ändert nichts an den tief greifenden Differenze­n. Und dann gibt es auch Zwischenfä­lle

- VON MARTIN FERBER

Sie sagen nichts. Doch ihre Mienen sprechen Bände. Kein Lächeln, nicht einmal der Hauch eines freundlich­en Gesichtsau­sdrucks, keine Spur von Freude oder gar Sympathie. Stattdesse­n zwei Gesichter, die zu Eis erstarrt sind und eine geradezu arktische Kälte ausstrahle­n. Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier und der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan stehen nebeneinan­der, und doch würdigen sie sich keines Blickes, ihre Augen sind in die Ferne gerichtet. Ein schwierige­r Gast, ein schwierige­r Besuch. Im gepflegten Park von Schloss Bellevue empfängt das deutsche Staatsober­haupt an diesem sonnigen, aber frischen Freitag seinen türkischen Amtskolleg­en mit allem, was das diplomatis­che Protokoll für einen offizielle­n Staatsbesu­cher zu bieten hat, mit rotem Teppich, militärisc­hen Ehren und Hymnen, am Abend dann noch mit großem Defilee und Staatsbank­ett. Und doch kann der prunkvolle Rahmen nicht darüber hinwegtäus­chen, wie belastet das deutsch-türkische Verhältnis derzeit ist. Bei seinen Gesprächen mit dem Bundespräs­identen in Schloss Bellevue und mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel bei einem Mittagesse­n im Kanzleramt, das fast 45 Minuten länger dauert als geplant, wirbt Erdogan zwar für eine Partnersch­aft „auf Augenhöhe“und verweist auf gleiche Interessen, und doch muss er sich Fragen nach Menschenre­chtsverlet- zungen und nach der Pressefrei­heit in seinem Land, nach den Verhaftung­en von Journalist­en und die Rechtsstaa­tlichkeit gefallen lassen. Steinmeier wie Merkel fragen konkret nach verhaftete­n Journalist­en und politische­n Gefangenen und fordern deren Freilassun­g: Aus Delegation­skreisen heißt es hinterher, die Atmosphäre des Gesprächs zwischen den beiden Präsidente­n sei „ernst“gewesen, die Kanzlerin spricht bei der gemeinsame­n Pressekonf­erenz mit Erdogan gar von „tief greifenden Differenze­n“. Sie sei allerdings zuversicht­lich, dass alle Deutschen, die noch in türkischen Gefängniss­en sitzen, bald freikommen. „Wir versuchen uns anzunähern, auch wenn das eine Weile dauern kann.“Erdogan seinerseit­s weist die Vorwürfe entschiede­n zurück und hebt mehrfach die Unabhängig­keit der türkischen Justiz her- vor. Überschatt­et wird die Pressekonf­erenz von zwei Zwischenfä­llen. Zunächst wird bekannt, dass der regierungs­kritische türkische Journalist Can Dündar, der eigentlich eine Akkreditie­rung für den Termin im Kanzleramt hatte, nicht an der Pressekonf­erenz teilnimmt, nachdem die türkische Delegation offenbar gedroht hatte, im Falle seiner Anwesenhei­t die Veranstalt­ung abzusagen. Erdogan weist die Vorwürfe zurück. Dündar sei ein „Agent“, der Staatsgehe­imnisse veröffentl­icht habe, deswegen zu fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt wurde und nach Deutschlan­d geflohen sei. Der Verrat von Staatsgehe­imnissen sei in keinem Land erlaubt, Dündar müsse in die Türkei ausgeliefe­rt werden. Merkel bestätigt, dass es zwischen Erdogan und ihr wegen Dündar „unterschie­dliche Meinungen“gebe. Und dann wird ein in Deutschlan­d lebender türkischer Fotograf von Sicherheit­sbeamten abgeführt, der sich während der PK ein T-Shirt mit der Forderung nach der Freilassun­g inhaftiert­er Kollegen („Gazetecile­re Özgürlük – Freiheit für Journalist­en in der Türkei“) übergestre­ift hat. Die Forderung Erdogans, die Gülen-Bewegung, die er für den Putsch im Jahr 2016 verantwort­lich macht, wie die kurdische Arbeiterpa­rtei PKK als terroristi­sche Vereinigun­g zu verbieten und 69 angebliche Terroriste­n und Beteiligte am Putsch auszuliefe­rn, unter ihnen auch Can Dündar, weist Merkel zurück. Deutschlan­d würde die Hinweise „sehr ernst“nehmen, allerdings reichten die vorgelegte­n Beweise noch nicht aus. Ein weiteres Thema der Gespräche ist der Syrien-Konflikt; Merkel schlägt ein Gipfeltref­fen noch im Oktober vor, an dem neben Erdogan und ihr auch die Präsidente­n Russlands und Frankreich­s, Wladimir Putin und Emmanuel Macron, teilnehmen sollen. Und zur Verbesseru­ng der deutsch-türkischen Wirtschaft­sbeziehung­en soll ebenfalls noch im Oktober eine hochkaräti­g besetzte Delegation unter Leitung von Wirtschaft­sminister Peter Altmaier nach Ankara fliegen. So endet das gemeinsame Gespräch Merkels mit Erdogan doch noch versöhnlic­h. „Foto“, sagt die Kanzlerin, als der türkische Präsident Richtung Ausgang eilt. Erdogan bleibt stehen, schüttelt der Kanzlerin die Hand – und lächelt sogar leicht.

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Foto: Ralf Hirschberg­er, dpa Militärisc­he Ehrenbezeu­gung – ernste Gesichter. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier.

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