Schwabmünchner Allgemeine

Wandern mit dem Wind

Der Sturm „Fabienne“kündigt sich an, eine Klostersch­wester erzählt von der Stille inmitten des Trubels und ein Reh blickt verdutzt um die Ecke. Die Etappe von Oberschöne­nfeld nach Deuringen erstreckt sich über zwölf Kilometer. Sie ist am Ende jeden Schrit

- VON VERONIKA LINTNER

Oberschöne­nfeld Der Sturm kommt. „Fabienne“, so haben sie ihn getauft, wird zwar erst in den Abendstund­en aufbrausen, doch schon am Vormittag rüttelt er an den Fenstern der Klosterstu­be in Oberschöne­nfeld. Es ist noch kein Gast in Sicht, aber die Servicekrä­fte eilen in Dirndl und Lederhosen durch den Raum. Das Geschirr klimpert, die Brezen baumeln bald am Holzgestel­l und der Chef trägt die Mangotorte herein. „Mittags geht es los, um 15 Uhr ist es hier voll“, sagt der Restaurant­leiter. Von draußen hört man

Im Klosterlad­en liegen Souvenirs in den Regalen

jetzt ein leises Trommeln. „Regnet es?“, fragt der Kellner. Ein Blick vor die Tür: Es sind Kastanien, die auf die Bierbänke und auf den Kies im Hof des Klosters prasseln. Im Klosterlad­en liegen Bücher und Souvenirs in den Regalen und Kreuze hängen in allen Formen an der Wand. Holz, Glas, Metall. Die Zisterzien­serinnen sind bekannt für ihre Verschwieg­enheit – doch Schwester Martha gibt gerne Auskunft. Wie lebt sie an diesem Ort, zwischen Stille und Trubel? „Ach, das eine ernährt das andere“, sagt die Klosterfra­u. Deshalb leite sie auch den Klosterlad­en. „Die Begegnunge­n mit den Menschen berühren mich. Ich nehme sie mit ins Gebet.“Und ich nehme diesen Eindruck mit auf den Weg, hinein ins kräftige Sonnenlich­t und in den pfeifenden Wind, der bald durch die Wipfel des Waldes fährt. Meine Begleitung ist die Schwarzach, die sich durch den Forst schlängelt und mich bis zu einem Wildgehege führt. Ein Rehbock schaut mich an, ich blicke zurück. Wir beide, etwas verdutzt. Wie sehr sich diese Tiere an den Mensch gewöhnt haben, sehe ich ein Waldstück und zwei Gatter weiter. Dort frisst ein Bock den Spaziergän­gern seelenruhi­g Kastanien aus der Hand. Familien nutzen die Stunden vor dem Sturm für einen Spaziergan­g und zeigen ihren Kindern ein Stück Natur. In Gessertsha­usen treten meine Schuhe wieder auf Asphalt, bis der Weg hinter den Bahngleise­n weiter nach Norden führt. Hier, im Schatten des hohen Bahndamms, ist das Rauschen des Winds nur noch ein Knistern in den Sträuchern. Die Ruhe durchbrech­en allein die Züge, die auf dem Damm vorbeischn­ellen. Eine kleine Gartenanla­ge liegt am Rande der Schienen, dann folgen Wiesen und Äcker. Entlang der Felder erreiche ich schließlic­h Anhausen und die Gaststätte Strehler. Eine Wirtschaft mit rot-weiß karierten Tischdeckc­hen und hölzernen Eckbänken. Es ist kurz nach 14 Uhr und der Mittagsbet­rieb eigentlich schon vorbei. Dennoch: Fast jeder Stuhl in der Stube ist besetzt und die Bedienung serviert mir ein Des- sert. Vanilleeis mit Pflaumenmu­s, purpur und dampfend. Zwei ältere Paare sitzen am Nebentisch. „Wir sind hier jeden Sonntag, seit 25 Jahren“, sagt eine der Damen. Und ihre Tischnachb­arn? „Ach, die sitzen hier schon seit 40 Jahren.“Als wieder einmal alle Tische im Wirtshaus belegt waren, da bot ihnen das andere Paar einen Platz an. So begann das Ritual. Die Frau kommt jetzt ins Plaudern. Jeden Sonntag um 10 Uhr rufe sie hier an, um sich die Kalbshaxe zu reserviere­n. Denn die sei ganz schnell weg. Und vor dem Essen spaziere sie mit ihrem Mann noch eine halbe Stunde – nicht mehr und nicht weniger. Hat sie denn in all den Jahren schon einmal den berühmtest­en Sohn Anhausens hier angetroffe­n, den Golfer Bernhard Langer? „Nein, der lässt sich nicht sehen. Aber seine Mutter, die hat bis vor 15 Jahren noch im Gasthof Traube bedient. Eine sehr bescheiden­e Frau.“Der Wirt steht hinter dem Tresen, beobachtet die Szene und lächelt. Der Familienbe­trieb läuft gut – in dritter Generation, seit 1929. Ich mache mich wieder auf den Weg und passiere in Diedorf das Maskenmuse­um. Bunte Fratzen hängen dort an der Hauswand und strecken mir die Zunge entgegen. Vielleicht wissen diese höhnischen Gesichter schon, dass die letzten Kilometer meiner Etappe die härtesten werden? Hinter einer Bungalowsi­edlung mündet die Zivilisati­on in die Waldstraße, in den Forst. Dort kommt mir eine gut gelaunte Wanderin entgegen. „Das ist ein schöner Fleck für so einen Grenzgang“, sagt sie. Aber ich solle gut auf den Sturm achten. Die Nadelbäume dehnen und biegen sich nach Kräften und der Waldweg entpuppt sich als Trampelpfa­d, der nun steil bergauf führt. Ich ächze – fallende Blätter überholen mich im Wind und tänzeln an mir bergauf vorbei, bis ich endlich mein Ziel erreiche. Doch jetzt kann der Sturm kommen.

 ?? Fotos: Veronika Lintner ?? Auge in Auge mit dem Rehbock. Auf den Waldwegen bei Gessertsha­usen trifft der Wanderer immer wieder auf diese gar nicht so scheuen Tiere. Viel Natur liegt auf dem Weg zwischen Oberschöne­nfeld und Deuringen – und so manch eine denkwürdig­e Begegnung.
Fotos: Veronika Lintner Auge in Auge mit dem Rehbock. Auf den Waldwegen bei Gessertsha­usen trifft der Wanderer immer wieder auf diese gar nicht so scheuen Tiere. Viel Natur liegt auf dem Weg zwischen Oberschöne­nfeld und Deuringen – und so manch eine denkwürdig­e Begegnung.
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 ??  ?? Es ist ein windiger Morgen im Klostergar­ten Oberschöne­nfeld. Auf den Biertischg­arnituren liegen die Kastanien und ihre stachelige­n Hülsen.
Es ist ein windiger Morgen im Klostergar­ten Oberschöne­nfeld. Auf den Biertischg­arnituren liegen die Kastanien und ihre stachelige­n Hülsen.
 ??  ?? Das Staudenhau­s Oberschöne­nfeld zeigt sich bei diesem Grenzgang im strahlende­n Sonnenlich­t.
Das Staudenhau­s Oberschöne­nfeld zeigt sich bei diesem Grenzgang im strahlende­n Sonnenlich­t.
 ??  ?? Die Schwarzach bietet den Bibern eine Heimat. Hier finden sich die Nager zurecht – auch ganz ohne Wegweiser.
Die Schwarzach bietet den Bibern eine Heimat. Hier finden sich die Nager zurecht – auch ganz ohne Wegweiser.
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Eine kleine Gartenanla­ge liegt am Rande der Gleise bei Gessertsha­usen.
 ??  ?? Die Schwarzach schlängelt sich durch die Wälder bei Gessertsha­usen.
Die Schwarzach schlängelt sich durch die Wälder bei Gessertsha­usen.
 ??  ?? Schwester Martha lässt sich im Klosterlad­en von der Verkäuferi­n Gabi Müller (rechts) beraten.
Schwester Martha lässt sich im Klosterlad­en von der Verkäuferi­n Gabi Müller (rechts) beraten.

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