Wandern mit dem Wind
Der Sturm „Fabienne“kündigt sich an, eine Klosterschwester erzählt von der Stille inmitten des Trubels und ein Reh blickt verdutzt um die Ecke. Die Etappe von Oberschönenfeld nach Deuringen erstreckt sich über zwölf Kilometer. Sie ist am Ende jeden Schrit
Oberschönenfeld Der Sturm kommt. „Fabienne“, so haben sie ihn getauft, wird zwar erst in den Abendstunden aufbrausen, doch schon am Vormittag rüttelt er an den Fenstern der Klosterstube in Oberschönenfeld. Es ist noch kein Gast in Sicht, aber die Servicekräfte eilen in Dirndl und Lederhosen durch den Raum. Das Geschirr klimpert, die Brezen baumeln bald am Holzgestell und der Chef trägt die Mangotorte herein. „Mittags geht es los, um 15 Uhr ist es hier voll“, sagt der Restaurantleiter. Von draußen hört man
Im Klosterladen liegen Souvenirs in den Regalen
jetzt ein leises Trommeln. „Regnet es?“, fragt der Kellner. Ein Blick vor die Tür: Es sind Kastanien, die auf die Bierbänke und auf den Kies im Hof des Klosters prasseln. Im Klosterladen liegen Bücher und Souvenirs in den Regalen und Kreuze hängen in allen Formen an der Wand. Holz, Glas, Metall. Die Zisterzienserinnen sind bekannt für ihre Verschwiegenheit – doch Schwester Martha gibt gerne Auskunft. Wie lebt sie an diesem Ort, zwischen Stille und Trubel? „Ach, das eine ernährt das andere“, sagt die Klosterfrau. Deshalb leite sie auch den Klosterladen. „Die Begegnungen mit den Menschen berühren mich. Ich nehme sie mit ins Gebet.“Und ich nehme diesen Eindruck mit auf den Weg, hinein ins kräftige Sonnenlicht und in den pfeifenden Wind, der bald durch die Wipfel des Waldes fährt. Meine Begleitung ist die Schwarzach, die sich durch den Forst schlängelt und mich bis zu einem Wildgehege führt. Ein Rehbock schaut mich an, ich blicke zurück. Wir beide, etwas verdutzt. Wie sehr sich diese Tiere an den Mensch gewöhnt haben, sehe ich ein Waldstück und zwei Gatter weiter. Dort frisst ein Bock den Spaziergängern seelenruhig Kastanien aus der Hand. Familien nutzen die Stunden vor dem Sturm für einen Spaziergang und zeigen ihren Kindern ein Stück Natur. In Gessertshausen treten meine Schuhe wieder auf Asphalt, bis der Weg hinter den Bahngleisen weiter nach Norden führt. Hier, im Schatten des hohen Bahndamms, ist das Rauschen des Winds nur noch ein Knistern in den Sträuchern. Die Ruhe durchbrechen allein die Züge, die auf dem Damm vorbeischnellen. Eine kleine Gartenanlage liegt am Rande der Schienen, dann folgen Wiesen und Äcker. Entlang der Felder erreiche ich schließlich Anhausen und die Gaststätte Strehler. Eine Wirtschaft mit rot-weiß karierten Tischdeckchen und hölzernen Eckbänken. Es ist kurz nach 14 Uhr und der Mittagsbetrieb eigentlich schon vorbei. Dennoch: Fast jeder Stuhl in der Stube ist besetzt und die Bedienung serviert mir ein Des- sert. Vanilleeis mit Pflaumenmus, purpur und dampfend. Zwei ältere Paare sitzen am Nebentisch. „Wir sind hier jeden Sonntag, seit 25 Jahren“, sagt eine der Damen. Und ihre Tischnachbarn? „Ach, die sitzen hier schon seit 40 Jahren.“Als wieder einmal alle Tische im Wirtshaus belegt waren, da bot ihnen das andere Paar einen Platz an. So begann das Ritual. Die Frau kommt jetzt ins Plaudern. Jeden Sonntag um 10 Uhr rufe sie hier an, um sich die Kalbshaxe zu reservieren. Denn die sei ganz schnell weg. Und vor dem Essen spaziere sie mit ihrem Mann noch eine halbe Stunde – nicht mehr und nicht weniger. Hat sie denn in all den Jahren schon einmal den berühmtesten Sohn Anhausens hier angetroffen, den Golfer Bernhard Langer? „Nein, der lässt sich nicht sehen. Aber seine Mutter, die hat bis vor 15 Jahren noch im Gasthof Traube bedient. Eine sehr bescheidene Frau.“Der Wirt steht hinter dem Tresen, beobachtet die Szene und lächelt. Der Familienbetrieb läuft gut – in dritter Generation, seit 1929. Ich mache mich wieder auf den Weg und passiere in Diedorf das Maskenmuseum. Bunte Fratzen hängen dort an der Hauswand und strecken mir die Zunge entgegen. Vielleicht wissen diese höhnischen Gesichter schon, dass die letzten Kilometer meiner Etappe die härtesten werden? Hinter einer Bungalowsiedlung mündet die Zivilisation in die Waldstraße, in den Forst. Dort kommt mir eine gut gelaunte Wanderin entgegen. „Das ist ein schöner Fleck für so einen Grenzgang“, sagt sie. Aber ich solle gut auf den Sturm achten. Die Nadelbäume dehnen und biegen sich nach Kräften und der Waldweg entpuppt sich als Trampelpfad, der nun steil bergauf führt. Ich ächze – fallende Blätter überholen mich im Wind und tänzeln an mir bergauf vorbei, bis ich endlich mein Ziel erreiche. Doch jetzt kann der Sturm kommen.