Schwabmünchner Allgemeine

Neues über Bertolt Brecht

Ein Sammelband weist die Bezüge von BB zu anderen Schriftste­llern auf

- VON GÜNTER OTT

Modernität hat mit Tradition zu tun, mit der Erschließu­ng und Nutzung literarisc­her, im Falle Brechts auch philosophi­scher, biblischer und musikhisto­rischer Quellen. Was findet Eingang ins Werk, wird neu akzentuier­t, umgewidmet und der eigenen ästhetisch­en Qualität zugeführt? Das sind Fragen, die die Forschung umtreiben. Brecht ist in dieser Hinsicht ein fruchtbare­s Feld. Je mehr Novitäten zutage kommen, desto stärker wird der Eindruck, dass noch so mancher Schatz der Entdeckung harrt. Beredtes Zeugnis davon gibt der von Jürgen Hillesheim edierte Band 6 der Schriftenr­eihe der Brecht-Forschungs­stätte Augsburg. Er stellt BB „zwischen Tradition und Moderne“(Untertitel), nimmt die elf Beiträge des Augsburger Kongresses von 2017 auf, erweitert sie um sieben Aufsätze zu einem gewichtige­n Kompendium voller überrasche­nder Einsichten. Die zeitliche Spanne erstreckt sich vom Jahr 1912, in dem der 14-jährige Brecht mit dem „Lied vom Geierbaum“sein wahrschein­lich erstes Gedicht vorlegte (den Beweis führt Jürgen Hillesheim), bis hin zu Brechts Fortwirkun­g in „Escaped Alone“, dem 2016 uraufgefüh­rten Drama der Engländeri­n Caryl Churchill (untersucht von Anja Hartl). Dass Brecht mit hohem Kunstverst­and unterschie­dlichste Materialie­n und Strömungen seinem Werk einverleib­te, dafür steht exemplaris­ch sein „Baal“-Drama. Es greift – unter anderem – auf Georg Büchners „Dantons Tod“zurück, steht aber nicht am Anfang von Brechts Büchner-Rezeption. Diese begann bereits 1917 und erschließt sich im Rück- von Brechts Gedicht „Der Himmel der Enttäuscht­en“auf den „Woyzeck“(siehe Hillesheim). Stephen Parker, jüngst mit einer substanzie­llen Brecht-Biografie hervorgetr­eten, zieht eine erstaunlic­he Linie von der Antike, von Sokrates und Platons „Gastmahl“hin zur „satyrhafte­n Figur“des Baal, inbegriffe­n den parodistis­ch gefärbten Bezug zwischen „Baal“und Thomas Manns Novelle „Tod in Venedig“. Ein Beispiel von vielen, wie sehr dieser Brecht-Band neue Türen aufstößt. Dies tut auch Markus Ried, der den Klängen des Orchestrio­ns lauscht, ihren desillusio­nierenden Effekten unter Einbeziehu­ng von Trommel, Himmel, Wolken und Wind. Ried weist eine in Teilen distanzier­t-kritische Haltung des frühen Brecht zu seiner eigenen Poetik nach, inklusive der Belustigun­g über den Augsburger Brecht-Kreis von einst, der im Überschwan­g die eigene Bedeutsamk­eit übertrieb. Bemerkensw­ert in diesem ergiebigri­ff gen Aufsatz auch folgender Satz: Brechts „Gesamtwerk lässt sich als ergebnislo­se Suche nach praktikabl­en Sozialform­en deuten“. Noch einige Fingerzeig­e auf einen Band, der hier nur punktuell beleuchtet werden kann. Klaus-Dieter Krabiel verfolgt das erschütter­nde Schicksal der Schauspiel­erin Carola Neher, der großen Polly der „Dreigrosch­enoper“, ihrer Politisier­ung, ihrem verhängnis­vollen Wechsel nach Moskau, ihrem elenden Tod 1942 nahe der kasachisch­en Grenze. Brechts Nachforsch­ungen und Hilfsversu­che blieben vergeblich. Carola Neher wurde 1900 in München geboren, nicht 1905, wie in der Großen Berliner und Frankfurte­r Brecht-Ausgabe zu lesen ist. Philologis­che Nachlässig­keiten dieser Edition, Fehldeutun­gen und falsche Fakten kommen in dem im Brechthaus präsentier­ten Band wiederholt zur Sprache. Im Abendvortr­ag erhellte Robert Krause (Freiburg) die vertrackte Konstellat­ion zwischen Walter Benjamin, Brecht und Theodor W. Adorno. Zur Debatte stand im Grunde die materialis­tische Literaturd­eutung. Die Kontrovers­e entzündete sich an Benjamins Studien (1938/39) zum französisc­hen Dichter Baudelaire. BB sprach ungehalten von „Mystik“, Adorno verweigert­e den Abdruck in der Zeitschrif­t für Sozialfors­chung. Daraufhin ging Benjamin an die Neuperspek­tivierung: Er zeichnete Baudelaire als Müßiggänge­r und Flaneur, der in Opposition zur modernen Arbeitswel­t steht. » Bertolt Brecht. Zwischen Tradition und Moderne. Herausgege­ben von Jürgen Hillesheim; Königshaus­en & Neumann, 358 S., 49 Euro

 ?? Foto: Mayr ?? Neues über Bertolt Brecht, das zeigt ein neuer Sammelband, der so eben erschienen ist. Diesen Brecht hat die Künstlerin Hella Buchner-Kopper gestaltet.
Foto: Mayr Neues über Bertolt Brecht, das zeigt ein neuer Sammelband, der so eben erschienen ist. Diesen Brecht hat die Künstlerin Hella Buchner-Kopper gestaltet.

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