Auf Wiedersehen, wütende Wespe
Ich weiß nicht, ob Sie sich noch erinnern, aber vor ein paar Wochen, als der Sommer noch lang und die Tage heiß waren, gab es etwas, das uns die lauen Wochen fast verdorben hätte. Ich spreche von der Wespe, diesem aggressiven, bösartigen Wesen, das heuer jede Sommerunternehmung mit Panik garniert hat. Wo man auch hinkam, wurde gefuchtelt und geschlagen, geklagt und gejammert. Fremde tauschten sich über BewegungsTechniken und Hausmittel aus, Wespenwissen wurde zum gefragten Gesprächsthema.
Menschen schossen unangekündigt vom Tisch auf und liefen davon, die Hände vor Nase und Mund gepresst, als würden sie vor einem Giftanschlag fliehen. Obst, Kuchen und Eis wurden in Nanosekunden verzehrt, um den Insekten keine Angriffsfläche zu bieten. Manchmal hörte man trotz allem einen spitzen Schrei: wieder ein Wespen-Opfer.
Vergangene Woche saß ich nun mit Kollegen beim Mittagessen in der Herbstsonne, als plötzlich eine einzelne Wespe vorbeischwirrte. Ich hatte die Insekten fast schon wieder vergessen. Aber da war sie, steuerte zwischen Teller und Glas hin und her, langsam und gemächlich, keine Spur von Raserei und Aggressivität. War die Wespe müde, erschöpft davon, unschuldige Menschen zu piesacken? War sie womöglich zur Besinnung gekommen und hatte dem Stechen für immer abgeschworen?
Vermutlich nicht. Und doch war auch ich ruhig. Ich horchte in mich hinein. Wo war die Panik? Wo die Feindseligkeit? Ich fühlte nichts von alledem. Verständnisvoll nickte ich der trägen Wespe zu. Sollte sie doch ruhig auch noch mal die Sonne genießen. Ich habe meinen Frieden mit ihr gemacht. Zumindest bis zum nächsten Sommer.