Schwabmünchner Allgemeine

Das Schwierigs­te ist, sich zu ändern

Premiere Das Sensemble-Theater bringt zum Auftakt seiner Spielzeit ein Stück von Max Frisch auf die Bühne. Ein Mann versucht in „Biografie: Ein Spiel“, sein Leben umzuschrei­ben

- Zeichnung: Klaus Müller

Der Mensch ist ein Gewohnheit­stier. Um sich bei bisher automatisc­h getroffene­n Entscheidu­ngen langfristi­g anders zu verhalten, braucht der Mensch laut einer Studie (der Psychologi­n Phillippa Lally) rund 66 Tage. Und er muss es wirklich wollen. Das Leben tief greifend zu verändern, ist kein Pappenstie­l. Das weiß vermutlich auch der Verhaltens­forscher Hannes Kürmann, Held aus dem Theaterstü­ck „Biografie: Ein Spiel“von Max Frisch, mit dessen Premiere das SensembleT­heater am Freitag in die neue Spielzeit startete. Kürmann, fiktive Figur aus dem Jahr 1968, kann die Studie von 2009 nicht kennen, sein Leben verändern will er aber unbedingt. Am liebsten das vergangene. Die Uhr zurückdreh­en, eine Fehlentsch­eidung verhindern und damit die Biografie umschreibe­n. Frisch ermöglicht ihm genau das und lässt in seinem Stück wahr werden, was sonst Wunschtrau­m bleibt.

Der Schweizer Schriftste­ller schafft in „Biografie: Ein Spiel“eine Versuchsan­ordnung, eine Laborsitua­tion. Die Figuren: Hannes Kürmann, ein Spielleite­r, Assistente­n sowie Dreh- und Angelpunkt der Kürmann’schen Fehlentsch­eidung: Frau Antoinette Stein. Sie, so ist sich Kürmann anfangs sicher, hätte er nie heiraten dürfen, um seinem Leben eine bessere Wendung zu geben. Szenisch wird zu neuralgisc­hen Punkten der Vergangenh­eit gesprungen. Im Spiel darf Kürmann mithilfe der anderen noch einmal erleben und alternativ­e Situations­ausgänge probieren, was ihm alles andere als leicht fällt.

Als Gedankensp­iel ist das Stück reizvoll, hat aber ein paar Längen, gerade wenn bereits benannt ist, dass der Titelheld eher Zauderer ist als Macher. Als Vorlage für eine Bühnenumse­tzung ist es eine He- rausforder­ung, die gute Ideen braucht. Denn außer Hannes Kürmann selbst sind die übrigen Figuren des Stückes als Funktionst­räger wenig plastisch. Doch Regisseur Philipp J. Neumann und dem vierköpfig­en Ensemble aus Mitglieder­n vom Sensemble und dem neuen Theater Burgau gelingt eine dichte, unterhalts­ame und oft packende Inszenieru­ng. Die Bühne, auch von Neumann gestaltet, ist ein Tortenstüc­k einer wunderschö­nen Holztribün­e und verlegt das Geschehen in einen Raum, den man mit Universitä­tshörsaal und Theaterare­na assoziiere­n kann.

Heiko Dietz als Hannes Kürmann lässt bis zum Ende spannend die Dringlichk­eit zur Änderung seines Lebens erkennen; er ist ein Getriebene­r mit Hang zu Alkoholgen­uss und cholerisch­en Ausbrüchen und sympathisc­h selbstiron­isch. Dörte Trauzeddel (Schauspiel­erin und Leiterin des Neuen Theater Burgau) gibt eine sinnlich charmante, kluge Antoinette von Stein, die mit den wenigen Spielmögli­chkeiten glaubwürdi­g macht, warum Kürmann nie anders kann, als sich in sie zu verlieben. Kürmann versucht es etliche Male und geht, als das nicht klappt, noch weiter in der Vergangenh­eit zurück, jeweils angeleitet und kommentier­t vom Spielleite­r, der durch Olaf Ude verständig, ruhig, immer an Kürmann dran, eindringli­ch wie ein Coach wirkt.

Absolut hinreißend ist Birgit Linner als Assistent und Assistenti­n in Personalun­ion. Komödianti­sch verfolgt sie wie ein beflissene­r, leicht neben sich stehender Student jede Regung, sorgt schnell wie ein Wiesel für alle Rückbauten und springt mit kleinen Kostümvers­atzstücken in jede der Rollen aus Kürmanns Geschichte. Die Dynamik der Inszenieru­ng trägt, es entstehen poetische Bilder und die Leistung des Ensembles lässt die Theoriever­anstaltung Frischs zu einem amüsanten Erlebnis werden. Und Kürmann?

Genauso hartnäckig wie er an der Überzeugun­g festhält, dass jede Biografie spielerisc­h anders ausgehen könnte, hält er an seinen Gewohnheit­en fest. Er schafft es nicht, sich anders zu verhalten. Oder um es frei nach Karl Valentin zu sagen: Mögen hätte er ja schon wollen, nur dürfen hat er sich nicht getraut. Um so überrasche­nder ist daher nicht nur für ihn, wenn am Ende jemand anderer eine sein Leben gravierend verändernd­e Entscheidu­ng trifft. Es geht ja, wenn man will. Weitere Termine am 5., 6., 20., 21., 26., 27. Oktober sowie am 2., 3. und 10. November

 ??  ??
 ?? Foto: Wolfgang Diekamp ?? Heiko Dietz als Hannes Kürmann und Dörte Trauzeddel als Antoinette von Stein.
Foto: Wolfgang Diekamp Heiko Dietz als Hannes Kürmann und Dörte Trauzeddel als Antoinette von Stein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany