Schwabmünchner Allgemeine

Diese Bäume stören die ewige Grabesruhe

Natur Auf dem alten jüdischen Friedhof in Kriegshabe­r soll ein ganzes Wäldchen gefällt werden. Das sorgt für Diskussion­en, auch in der Israelitis­chen Kultusgeme­inde

- Foto: Michael Hochgemuth

sicher ist. Andere Bäume wachsen so nahe an den Grabsteine­n, dass es Probleme mit den Grabmälern gibt.

Joino Pollak vom Landesverb­and der Israelitis­chen Kultusgeme­inden ist zuständig für die verwaisten jüdischen Friedhöfe in Bayern. Er erklärt, warum die Bäume aus seiner Sicht weichen müssen. Pollak sagt, grundsätzl­ich seien Bäume auf jüdischen Friedhöfen nicht verboten. Auf dem Friedhof in Kriegshabe­r drohen aber zahlreiche alte Grabsteine zu kippen oder zu zerbrechen, weil Bäume zu nahe stehen. Wie Pollak weiter erläutert, würde durch den Verlust von Grabsteine­n nach dem jüdischem Glauben die „ewige Grabesruhe“gestört. Andere Bäume auf dem Friedhof seien vom Pilz befallen und nicht mehr verkehrssi­cher. Auch in diesem Fall bestehe Handlungsb­edarf.

Pollak betont weiter: „Die Gräber waren vor den Bäumen da.“Die Bäume auf dem Friedhof seien nicht gepflanzt worden. Sie seien vielmehr aus angeflogen­en Samen gewachsen. Allerdings räumt er auch ein: Es sei versäumt worden, sie im Laufe der vergangene­n 30 Jahre rechtzeiti­g zu entfernen.

In die neuen Pläne des Landesverb­andes und der Augsburger Kultusgeme­inde waren offenbar nicht eingeweiht. Landesrabb­iner Henry Brandt reagierte überrascht, als er auf Anfrage unserer Zeitung von der beantragte­n Baumfällun­g erfuhr. „Ich habe davon keine blasse Ahnung“, so Brandt. Er ist der Meinung, man ihn hätte fragen müssen, wenn aus religiösen Gründen Baume weichen sollen. Dies sei allerdings nicht geschehen, auch die Stadt habe ihn nicht in den Fall eingebunde­n.

Nach Auffassung des Landesrabb­iners gibt es keine verbindlic­he Vorschrift im Zusammenha­ng mit der jüdischen Halacha, wonach auf jüdischen Gräbern keine Bäume stehen dürfen. Brandt befürworte­t allerdings auch, dass im alten jüdischen Friedhof in Kriegshabe­r Bäume entfernt werden müssen, die Grabsteine zerstören oder die nicht mehr verkehrssi­cher sind.

Einige Anwohner des Friedhofs in Kriegshabe­r beklagen, dass ihnen wichtiges Grün verloren gehe. Sie wünschen sich, dass die Friedhofsb­äume stehen bleiben. Im Januar seien schon sehr viele Bäume und Büsche entfernt worden. In der „schönen grünen Wand“gebe es jetzt beträchtli­che Lücken. Nach Informatio­nen unserer Zeitung gibt es auch innerhalb der Israelitis­chen Kultusgeme­inde konträre Meinungen über die geplante Fällaktion. Einige Mitglieder seien darüber empört und würden „antijüdisc­he Reaktionen“befürchten, ist zu hören.

Fakt ist, dass es viele jüdische Friedhöfe mit umfangreic­hem Baumbestan­d gibt, beispielsw­eise in Fischach im Landkreis Augsburg, aber auch in deutschen Großstädte­n wie Berlin. Auch beim Landesverb­and der Israelitis­chen Kultusgeme­inden spricht man davon, dass es sehr viele alte jüdische Friedhöfe mit umfangreic­hen Baumbestän­den gebe. Pollak sagt, dort seien aber keine Grabsteine von der Zerstörung durch Bäume bedroht.

Augsburgs Umweltrefe­rent Reiner Erben ist auch für Friedhöfe in der Stadt zuständig. Er weist den Vorwurf zurück, die Stadt habe Beteiligte bei diesem sensiblen Thema nicht ausreichen­d informiert. Erben zufolge gab es Gespräche mit der Israelitis­chen Kultusgeme­inde und dem Landesverb­and, außerdem einen Ortstermin. Der Landesrabb­iner sei ebenfalls schriftlic­h über die Büroadress­e der Gemeinde eingeladen worden. „Wir wollten sicheralle stellen, dass die jüdische Gemeinde Augsburg dahinterst­eht“, sagt der Referent. Jetzt will Erben noch einmal gesondert auf den Landesrabb­iner zugehen.

Und wie geht es mit den Baumfällun­gen in Kriegshabe­r nun weiter? Pollak sagt, „wir wollen aktiv werden, sobald wir die Genehmigun­g von der Stadt bekommen“. Sonst bestehe die Gefahr, dass Jahrhunder­te alte Grabsteine auf dem denkmalges­chützten Friedhof unwiederbr­inglich verloren gehen. Wann die Stadt eine Genehmigun­g für die Abholzakti­on geben wird, ist noch offen. Im Umweltauss­chuss hatten Stadträte quer durch die Parteien umfangreic­he Prüfungen gefordert, bevor im jüdischen Friedhof an der Hooverstra­ße Fakten geschaffen werden.

Erben sagte, er werde sich in den kommenden Monaten die Grundlagen für eine Entscheidu­ng genau anschauen. Wenn Bäume fallen, muss nach der städtische­n Baumschutz­verordnung ein Ausgleich geschaffen werden. Die Israelitis­che Kultusgeme­inde müsste dann die Pflanzung von Ersatzbäum­en finanziell übernehmen, wenn sie so wie andere Antragstel­ler in Augsburg behandelt wird. Auch diese Frage sei noch nicht geklärt, sagt Erben.

 ??  ?? Auf dem jüdischen Friedhof in Kriegshabe­r wuchsen über viele Jahre hinweg Bäume, die dort eigentlich nicht stehen sollten. Nun fordert ein Teil der jüdischen Gemeinde, dass die Bäume gefällt werden. Anwohner protestier­en, weil ihnen dadurch wichtiges Grün verloren gehe. Wie der Streitfall ausgeht, ist offen.
Auf dem jüdischen Friedhof in Kriegshabe­r wuchsen über viele Jahre hinweg Bäume, die dort eigentlich nicht stehen sollten. Nun fordert ein Teil der jüdischen Gemeinde, dass die Bäume gefällt werden. Anwohner protestier­en, weil ihnen dadurch wichtiges Grün verloren gehe. Wie der Streitfall ausgeht, ist offen.
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Henry Brandt

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