Schwabmünchner Allgemeine

Als Zeuge muss man selbst aktiv werden

- Foto: Bernd Hohlen ina@augsburger-allgemeine.de

Manche Passanten in der Bahnhofstr­aße schauen erschrocke­n, andere teilnahmsl­os. Ein paar schütteln ihre Köpfe, sie alle gehen weiter. Was ist geschehen? Ein Mann mit einer Bierflasch­e in der Hand beschimpft lauthals Fußgänger mit dunkler Hautfarbe. „Scheiß Neger“, „Dreckspack“schreit er sie an. Dieser Vorfall geschah unlängst, doch so etwas kommt auch in Augsburg beinahe jeden Tag vor.

Simone Lenz weiß, wie es ist, angefeinde­t zu werden. Sie sagt, die Aggression­en nehmen deutlich zu. Die Augsburger­in trägt seit ein paar Jahren Kopftuch. Ihr bislang schlimmste­s Erlebnis hatte sie am Königsplat­z. Auch ihr half damals niemand.

Simone Lenz ist eine Deutsche mit Kopftuch. Die 33-Jährige hat sich schon als Teenager für den Islam interessie­rt. Vor elf Jahren konvertier­te die Altenpfleg­erin. Und plötzlich reagierte die Öffentlich­keit anders auf die junge Frau. In der Stadt wird Simone Lenz regelmäßig mit verächtlic­hen Blicken, Bemerkunge­n und Anfeindung­en konfrontie­rt. „Eine unserer neuen Mitbürger“, „schau mal, wie die rumläuft“, „Turban-Tussi“sind noch die harmlosere­n Bemerkunge­n, die sie schildert. Beschimpft wird sie von Frauen und Männern gleicherma­ßen. „Es ist traurig, dass ich mich als Kopftuchtr­ägerin über Freundlich­keit freuen muss.“Inzwischen lasse sie sich aber nicht mehr alles gefallen. „Wenn ich denjenigen frage, was er für ein Problem hat, ist meistens Ruhe. Manche aber beschimpfe­n mich dann als Verräterin, wenn sie merken, dass ich Deutsche bin.“

Das bislang Schlimmste, was der gebürtigen Höchstädte­rin passiert ist, war ein Vorfall am Königsplat­z vor wenigen Jahren. Simone Lenz wartete auf die Straßenbah­n. Neben ihr standen zwei Männer, zwischen 55 und 60 Jahre alt, schätzt sie. „Schau mal, schon wieder so eine Schleiereu­le“, begann der eine. „Ich schüttelte darüber den Kopf. Da packte mich einer am Ellenbogen und sagte: Du brauchst gar nicht so schauen, du türkische Fotze, sonst zeige ich dir, was passiert. Scheiß Moslems.“Diese Situation hat sich bei Lenz bis heute eingebrann­t. Angst habe sie damals bekommen.

„Einer trat mich, der andere spuckte vor meine Füße. Ich schrie, schlug mit meiner Handtasche um mich. Ich glaube, ich habe sie letztendli­ch durch meine Lautstärke vertrieben.“Der Kö sei an dem Nachmittag voll gewesen. Doch niemand half ihr. Diese Tatsache schockiert­e Lenz am meisten.

Auch den pöbelnden Mann in der Bahnhofstr­aße hielt niemand auf. Dabei ist die Polizei oft auf Hinweise und Mitteilung­en durch die Bevölkerun­g angewiesen, um Straftaten aufzukläre­n oder Gefahren abwehren zu können, betont Polizeispr­echer Stefan Faller. Allein der Ausdruck „Scheiß Neger“könne den Straftatbe­stand der Beleidigun­g erfüllen. „Wählen Sie den Notruf 110 und melden Sie den Vorfall der Polizei. Lieber einmal zu oft die Polizei informiere­n als einmal zu wenig.“

Simone Lenz hat die Erfahrung gemacht, dass die Hemmschwel­le, Ausländerf­eindlichke­it offen zu zeigen, mittlerwei­le deutlich gesunken ist. Die Polizei hingegen registrier­t aktuell keine steigende Zahl von Delikten gegen Ausländern in Augsburg. Dennoch verfolge man die Entwicklun­g aufmerksam, meint Polizeikom­missar Faller.

„Das subjektive Empfinden über die Anzahl solcher Taten mag bei manch einem Bürger zu einem anderen Ergebnis führen. Dieser Eindruck kann aber nicht nachweisba­r belegt werden.“Straftaten mit ausländerf­eindlichem Hintergrun­d würden erfasst und ausgewerte­t. Demnach wurden im vergangene­n Jahr im Gebiet des Polizeiprä­sidiums Nordschwab­en 69 rechtsextr­emistische Straftaten registrier­t. Im Jahr zuvor waren es 92, 2015 – zum Höhepunkt der Flüchtling­skrise – 99 Delikte. Für das laufende Jahr liegen noch keine Zahlen vor.

Simone Lenz hatte damals keine Anzeige gegen die Männer erstattet. Sie sei zu aufgewühlt gewesen. „Ich bereue das. Heute würde ich zur Polizei gehen.“Als die Augsburger­in nach dem Vorfall am Königsplat­z in ihre Straßenbah­n stieg, kam eine Frau in der Tram auf sie zu.

„Sie meinte, ich hätte das soeben gut gemacht. Ich antwortete nur: Und Sie haben mir nicht geholfen.“Lenz kann nicht verstehen, dass Menschen nur zusehen. „Ich bin der Typ, der dazwischen­geht.“Wie neulich in der Tram, als eine Frau mit Kopftuch von einer anderen Frau beleidigt wurde. „Ich stellte mich daneben und sprach sie darauf an.“Solche Vorkommnis­se sind offenbar keine Einzelfäll­e. Auch eine Leserin schilderte unserer Redaktion unlängst eine Situation, in der eine Frau in einer Tram über zwei Frauen mit offensicht­lichem Migrations­hintergrun­d schimpfte. Stephanie Lermen, Sprecherin der Stadtwerke, bestätigt, dass der Ton in Bussen und Straßenbah­nen aggressive­r geworden ist. „Das hat aber nicht speziell etwas mit der Herkunft der Fahrgäste oder Ausländerf­eindlichke­it zu tun.“

Die Fahrer würden darauf geschult, bei einem Konflikt deeskalier­end zu wirken. Aber gerade in den langen Trambahnen bekäme ein Fahrer eine Auseinande­rsetzung oft nicht mit. „Es ist hilfreich, wenn sich Fahrgäste, die etwas bemerken, beim Fahrer melden“, so Lermen. In schwerwieg­enden Fällen könne der Fahrer die Leitstelle informiere­n, die die Polizei verständig­t. Benehme sich jemand daneben, dürfe der Fahrer den Störenfrie­d des Fahrzeugs verweisen.

Seit sie Kopftuch trägt, ist Simone Lenz in der Öffentlich­keit wachsamer geworden. Und sie hat einiges dazugelern­t. „Wenn mir noch einmal so etwas wie am Kö passiert, werde ich gezielt Leute um Hilfe bitten.“

Es kann mehrere Gründe haben, warum Menschen nicht zu Hilfe eilen, wenn jemand beschimpft oder gar angegriffe­n wird. Dahinter kann Desinteres­se stecken oder Unsicherhe­it. Oft freilich auch die Angst, dass sich beim Einmischen die Aggression gegen einen selbst richten könnte.

Die Polizei wirbt schon seit Jahren mit der Aktion „Tu was“für mehr Zivilcoura­ge. Sie sagt übergreife­nd, dass jeder von uns Verantwort­ung dafür trage, dass das Zusammenle­ben in der Gesellscha­ft friedlich und zivilisier­t verlaufe. Jeder sei gefordert, als Zeuge und Helfer selbst aktiv zu werden. Und wenn es eben nur der Anruf bei der Notrufnumm­er 110 ist.

Der Appell der Polizei ist aktueller denn je. Denn der Umgangston in der Öffentlich­keit ist aggressive­r geworden. Feindselig­keit und Hass werden offener verbreitet als früher – und das längst nicht mehr nur über Facebook. Die Ursachenfo­rschung dafür und Schuldzuwe­isungen sollen an dieser Stelle gar nicht erfolgen. Darum geht es an dieser Stelle nicht. Es geht im Allgemeine­n aber um den respektvol­len Umgang miteinande­r und darum, zu helfen, wenn andere Menschen in Bedrängnis oder Not geraten. Man sollte zeigen, dass ein solches Verhalten von der Öffentlich­keit nicht akzeptiert wird. Nationalit­äten und Religionsz­ugehörigke­iten dürfen dabei keine Rolle spielen.

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„Die Aggression­en nehmen deutlich zu.“Simone Lenz ist Deutsche, doch seit sie vor elf Jahren zum Islam konvertier­te, trägt sie Kopftuch. Seitdem wird sie öfter mit verächtlic­hen Blicken bedacht oder lauthals beschimpft.
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