Schwabmünchner Allgemeine

Rebellion im Anzug

Theater Ulm Der neue Schauspiel­direktor zerlegt „Die Räuber“gekonnt

- VON MARCUS GOLLING

Ulm Ohne Pistole und Hut ist so ein Räuber nicht wirklich Furcht einflößend. Aber 2018 sind es ohnehin die entfesselt­en Biedermänn­er, die einem Angst machen sollten. Solche wie in Jasper Brandis’ Inszenieru­ng von „Die Räuber“am Theater Ulm: mittelmäßi­ge Typen in mittelmäßi­gen Anzügen. Doch der neue Schauspiel­direktor schickt nicht plakativ besorgte Bürger oder radikalisi­erte Loser in den Kampf gegen das System: Er zerlegt Friedrich Schillers Frühwerk in seine Einzelteil­e und prüft es auf seine Relevanz. Ein überzeugen­der Saisonstar­t.

„Die Räuber“könnte ein Stück zur heutigen Zeit sein, schließlic­h geht es um Menschen, die sich gegen Staat und Gesellscha­ft auflehnen, Freiheit nach eigenen Regeln suchen: jenseits der Väter, jenseits der Religion, jenseits der bürgerlich­en Moral. Karl Moors Räuberband­e ist eine Terrormili­z der Abgehängte­n. Und Bruder Franz, die Kanaille, ist aus dem Holz geschnitzt, aus dem auch die Potentaten von heute sind. Aber was ist denn der heulende alte Moor für eine Vaterfigur? Was soll man mit einer Frau wie Amalia anfangen, die nur aus Treue besteht? Und was tun mit dem überschäum­enden Männerpath­os?

Regisseur Brandis, der in Ulm auch schon Hans Henny Jahnns Ungetüm „Die Krönung Richards III.“bändigte, stellte sich diese Fragen – und macht den großen Klassiker zunächst klein: alle Figuren vor dem Vorhang, Text aufsagen, Regieanwei­sungen, vom Chor geflüstert.

Und wenn sich dann endlich die Bühne (Ausstattun­g: Andreas Freichels) öffnet, sieht man nur Raum und mittendrin ein goldenes Häuschen, das sich auf einem Podest dreht wie bei einem Werbespot der Bausparkas­se. Weil jetzt Amalia gebraucht wird, legt die einzige Schauspiel­erin (Marie Luisa Kerkhoff) unter dem Johlen der Kollegen mit einem Strip den Anzug ab und schlüpft ins Kleidchen: Eine Männerfant­asie ist entlarvt.

Die Inszenieru­ng nimmt Schillers Text da ernst, wo er es verdient hat, und liefert nicht gleich die Deutung mit. Keine Pegida, kein IS, kein Trump. Regisseur Brandis rückt die Sprache ins Zentrum, er beherrscht aber auch die Tricks des Regietheat­ers – und er lässt mit Selbstiron­ie, Humor und „Theater im Theater“an den richtigen Stellen die Luft heraus. Auch aus der Lokaldebat­te um das einen Spatzen zeigende neue Theaterlog­o. Es wird zum Erkennungs­zeichen der Bande, auch wenn Fiesling Spiegelber­g das berühmte Rad der Berliner Volksbühne vorschlägt. (Dieses entstand einst für eine „Räuber“-Inszenieru­ng von Frank Castorf.)

Was aber das Erfreulich­ste an den Ulmer Räubern ist: Das Ensemble, je zur Hälfte neue und schon bekannte Schauspiel­er, harmoniert auf der Bühne prächtig. Maurizio Micksch zeichnet Räuberchef Karl als wenig heldenhaft­en Zweifler mit kurzer Zündschnur; Benedikt Paulun schafft es, mit seinem differenzi­erten Körperspie­l sogar Momente des Mitgefühls für Oberbösewi­cht Franz zu erzeugen. Am Ende starker Applaus. O Termine Wieder am 3., 5. und 13. Oktober im Großen Haus. Weitere Vorstellun­gen bis Mitte Dezember.

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Foto: Martin Kaufhold Ungleiche Brüder: Franz (Benedikt Paulun, links) und Karl Moor (Maurizio Micksch).

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